Im wirklichen Leben wäre das ein Fall für die Polizei: Die Adresse stimmt, der Name auf dem Klingelschild auch, aber die Frau, die die Tür öffnet, sieht völlig anders aus als beim letzten Mal. Dass die Irritation beim Wiedersehen mit Sophie Böhmler dennoch nur von kurzer Dauer ist, liegt einzig und allein an Elena Uhlig: Kurz vor Beginn der Dreharbeiten für zwei neue „Zimmer mit Stall“-Episoden hat sich Aglaia Szyszkowitz einen Bandscheibenvorfall zugezogen, wie die ARD-Tochter Degeto damals mitteilte. Eine Verschiebung der Dreharbeiten kam offenbar nicht in frage, also haben die Verantwortlichen nach Ersatz gesucht. Dass Uhlig so kurzfristig einspringen konnte, war pures Glück, doch wie nahtlos sie in die Rolle geschlüpft ist, obwohl sie nur eine Woche hatte, um sich vorzubereiten, ist außerordentlich beeindruckend. Zeit zum Proben gibt es bei gewöhnlichen Fernsehfilmen schon lange nicht mehr.
Dass die zehnte Episode der Reihe, „Das Blaue vom Himmel“, dennoch eher durchschnittlich ist, liegt nicht am Ensemble, das die neue Kollegin allem Anschein nach mit offenen Armen aufgenommen hat. Die Szenen mit Uhlig und Friedrich von Thun als Mitbewohner Barthl Fuchsbichler sowie Carolin Garnier als Tochter funktionieren derart gut, als hätten die drei schon immer zusammengespielt; Garnier, seit Episode zwei dabei, ist ohnehin der Sonnenschein der Reihe. Die Handlung erinnert dagegen stark an den ARD-Freitagsfilm „Das Wunder von Merching“ (2012). In dem ganz ähnlich konzipierten tragikomischen Drama verhindert die Sekretärin des Bürgermeisters mit einem frommen Betrug, dass ein oberbayerisches Dorf in den Nachbarort eingemeindet wird und damit auch seine eigene Pfarrei verliert; angesichts des düsteren Schicksals scheint die Madonnenstatue in der familieneigenen Kapelle in Tränen auszubrechen.
„Das Blaue vom Himmel“ erzählt im Grunde die gleiche Geschichte: Sophie erfährt, dass ihr die Privatinsolvenz droht. Kurz drauf hat eine alte Frau, die die Kapelle auf dem Anwesen sauber hält, eine Marienerscheinung. Der Geist der Mutter Gottes scheint in die Madonna zu fahren, die daraufhin blutige Tränen weint; „Das Wunder von Wiesenried“ lautete der Arbeitstitel. Prompt findet sich derart viel frömmelndes Volk in Sophies Pension ein, dass sie gar nicht weiß, wo sie die Leute unterbringen soll. Weil sie nun für Kost und Logis Wucherpreise nehmen kann und das hauseigene Brunnenwasser sündhaft teuer verkauft, ist sie im Nu und fast ohne schlechtes Gewissen aller Sorgen ledig.
Natürlich ist das Drehbuch Genre-gemäß hier und dort übertrieben, aber davon abgesehen verzichten Holger Gotha und Philipp Weinges weitgehend auf jenen besonderen Humor, der zum Beispiel Marcus H. Rosenmüllers Kinofilm „Wer’s glaubt, wird selig“ (2012) ausgezeichnet hat; in der Komödie mit Christian Ulmen will ein Wirt seine fanatisch religiöse Schwiegermutter heilig sprechen lassen, damit wieder Touristen ins Dorf kommen. „Das Blaue vom Himmel“ ist jedoch weitgehend ironiefrei und entsprechend harmlos, zumal das Autorenduo die Geldmacherei nicht mal auf die Spitze treibt. Selbst der Aluhut-Träger (Michael A. Grimm), der den Spuk für eine Inszenierung der Mächtigen hält, um die Einfältigen einzulullen, kommt halbwegs gut weg. Das ist alles ganz amüsant und kurzweilig, aber auch sehr episodisch konzipiert: Der Film (Regie: Filippos Tsitos) reiht Szene an Szene, ein echter Handlungsfluss kommt nicht zustande. Die Schlusspointe ist allerdings ein Knüller.
Die erzählerische Struktur der zweiten Episode ist ähnlich konzipiert, aber der Film wirkt insgesamt flüssiger; Regie führte der mit so gut wie allen wichtigen Film- und Fernsehpreisen ausgezeichnete Rainer Kaufmann. Mutig ist hingegen die Drehbuchidee (wieder Gotha und Weinges), die Hauptfigur konsequent negativ zu zeichnen: Nach einem Leitersturz ist Sophie sechs Wochen lang auf Hilfe angewiesen. Leidtragender ihrer schlechten Laune ist ausgerechnet Zwangsnachbar Barthl (Friedrich von Thun), der sich bereit erklärt hat, die Bewirtung der Pensionsgäste zu übernehmen. Die Botschaft der Geschichte basiert auf einem Sprichwort der nordamerikanischen Ureinwohner: Man soll einen Menschen nicht beurteilen, bevor man nicht eine gewisse Strecke in seinen Mokassins zurückgelegt hat. Zu Beginn des Films gerät Sophie mit einem Rollstuhlfahrer aneinander. Kurz drauf sitzt sie selbst im Rollstuhl, was Paul (Daniel Rodic) mit unverhohlener Befriedigung zur Kenntnis nimmt, als er gemeinsam mit Lebensgefährtin Lucija (Franziska Schlattner) in der Pension einkehrt. Seine Revanchegelüste sind damit allerdings noch längst nicht befriedigt. Das Pärchen hat eine einträgliche Betrugsmasche entwickelt: Entdecken sie eine Einrichtung, die nicht den Vorschriften genügt, weil zum Beispiel die Toiletten nicht behindertengerecht sind, gibt sich Lucija als Gewerbeaufsicht aus und kassiert ein fettes Bußgeld; Sophie soll nach Pauls Willen ordentlich für ihre Unhöflichkeit büßen.
Klugerweise haben Gotha, Weinges und Kaufmann dennoch darauf verzichtet, die Figuren mit eindeutigen Vorzeichen zu versehen: Pauls Haltung, eine Mischung aus Verbitterung und Selbstmitleid, ist ebenso nachvollziehbar wie Sophies Unzufriedenheit; selbst Lucija entpuppt sich als Frau mit Herz. Einzige durch und durch negative Figur ist wie gehabt der intrigante Jungböck, der die Gelegenheit nutzen will, um Sophie abwählen zu lassen. Der Film, dessen Titel „Kuhhandel“ allerdings etwas rätselhaft wirkt (der treffendere Arbeitstitel lautete „Sophies tiefer Fall“), hat zwar seine komischen Momente, ist aber trotzdem nicht in erster Linie Komödie. Für Heiterkeit sorgen vor allem Uhligs Slapstick-Einlagen, die angesichts der schmerzhaften Folgen eigentlich nicht lustig, aber witzig inszeniert sind. Hörenswert wie stets ist die muntere Musik der „Bananafishbones“-Brüder Sebastian und Peter Horn.