Gerichtsmediziner Dr. Fred Abel (Tim Bergmann) hat einmal mehr seine Kompetenzen überschritten und muss sich den süffisanten Fragen des Staatsanwaltes (Dietmar Bär) stellen. Ausgerechnet ein alter Gefährte, der Elite-Soldat Lars Moewig (Jarreth Merz), soll der gesuchte Killer sein, der sich auf versehrte Frauen als Opfer spezialisiert hat. Abel hat den alten Haudegen zwar jahrelang nicht gesehen – aber dieser verdiente Kunduz-Veteran ein Serienmörder?! Der Mediziner mag es nicht glauben, erst recht nicht, nachdem er mit dessen Partnerin (Christina Hecke) gesprochen hat. Die ist entsetzt, liegt doch die an Leukämie erkrankte Tochter im Sterben. Und so nimmt sich Abel selbst in die Pflicht, ermittelt eigenmächtig und kontaktiert ohne Befugnisse ausländische Behörden. Der Mörder, bald als Miles-and-More-Killer tituliert, hat seine blutigen Spur über ganz Europa verteilt. Das beschleunigt die Ermittlungen nicht gerade. Die Zeit jedoch drängt, will Lars Moewig seine Tochter noch einmal lebend sehen. In Brüssel nimmt Abels Ermittlungsarbeit mit der taffen Lilou Meran (Anita Olatunji) Fahrt auf, während die Lebensgefährtin des Mediziners, Staatsanwältin Lisa Suttner (Annika Kuhl), auch in Berlin alle Hände voll zu tun bekommt.
Foto: Sat 1 / Britta Krehl
Bewertung im Detail: „Zerschunden“ erhält von mir 3,5 Sterne, während sich die dritte Episode, „Zerbrochen“, fette 4 Sterne mehr als verdient hat.
Abscheuliche, ekelerregende Morde sind sein Metier, Dienstverstöße bleiben seine Spezialität, und der Tod scheint ihm näher zu sein als das Leben, die Liebe und die Nähe zu seiner Partnerin. Dr. Fred Abel, die Sat-1-Reihenfigur nach den Romanen des namhaften Forensikers Michael Tsokos, ist ein Arbeitstier. Dieser Mann „flüchtet in seinen Beruf, um drängenden Ängsten und Fragen zu entgehen“, so sein Darsteller Tim Bergmann. Und offenbar hatte dieser manische „Leichenaufschneider“ auch Zeiten, als das Tier im Manne sein Handeln bestimmte. Auch er war Soldat bei einer Sondereinheit, ein harter Hund – wodurch der Rollenwechsel vom Forensiker zum Profiler glaubwürdiger gerät. Wie sein unter Mordverdacht stehender Kriegskamerad hat auch er ein Trauma. Das aber reicht weiter zurück als bis Afghanistan. Als Kind musste Abel den Tod seines Vaters miterleben, 48 Stunden mit ihm eingesperrt in einem Unfallwagen. Was im ersten Film „Zersetzt“ beiläufig zur Sprache kommt, erfährt im dritten Film, „Zerbrochen“, seine psychologische Auflösung. Und in der mittleren Episode, „Zerschunden“, findet seine Zeit beim Militär Erwähnung, in der Abel zu Kamikaze-Aktionen neigte. Er ist überzeugt: Jeder Mensch besitze alle Anlagen, um ein Mörder zu werden – und schließt sich selbst da nicht aus. Der Gerichtsmediziner hat ein massives Gewaltproblem, seine Wut kann er nicht gut zügeln; Autoritäten begegnet er entsprechend forsch. Die Haltung des omnipräsenten Helden prägt auch die Geschichten von „Ein Fall für Dr. Abel“, die stets auch den Menschen hinter dem Täter zu zeigen versuchen.
Soundtrack: „Zerschunden“ = Lou Doillon („Same Old Game“). „Zerbrochen“ = Wigbert („Balance“), David Bowie („Heroes“), Monolink („Swallow“), Rah Band („Clouds Across The Moon“), Fifth Harmony („That’s My Girl“)
Foto: Sat 1 / Marc Bossaerts
Die Figurenpsychologie sprengt in dieser Thriller-Reihe nie den Rahmen des Genres – und sie besitzt dennoch eine größere emotionale Evidenz als die Plots mit ihren altbekannten Versatzstücken, die mit ihren narrativen Elementen ähnlich verfahren wie ein Serienmörder mit seinen Opfern. Ohnehin ist Handlungslogik nicht die Stärke dieser „bigger-than-life“-Thriller, denen das Sat-1-Marketing absurderweise den Stempel „True-Crime“ verpasst hat. Zwar wurden die Grundmotive der Filme von Tsokos Romanen übernommen – doch in ihrer knalligen filmischen Anmutung führen die Abel-Thriller eher das fort, was vor zwei Jahrzehnten als „TV-Movie“ Fernsehgeschichte machte. Allerdings mit zeitgemäßer Bildersprache. Nicht umsonst hat Sonja Rom für ihre Bildgestaltung von „Zersetzt – Ein Fall für Dr. Abel“ den Bayerischen Fernsehpreis bekommen. Und auch in den beiden neuen Episoden sucht die Kamerafrau nach ungewöhnlichen optischen Lösungen. Die Einstellungsgrößen wechseln rasant von einem Extrem ins nächste, mal sind die Protagonisten nur in Aus- und Anschnitten zu erkennen, dann sieht man Menschen im Gespräch, nicht als die üblichen Talking Heads, sondern in einer Totalen. Auch viel Bewegung gehört zum visuellen Konzept der Filme, die allesamt Hansjörg Thurn („Die Wanderhure“) inszeniert hat.
Wurde in „Zersetzt“ das abgehalfterte Genre Serienkiller-Thriller filmästhetisch wiederbelebt, so gelingt in „Zerschunden“ dieses Kunststück nicht. Das liegt vor allem am Plot, dem schwächsten der drei Filme. Zwar gibt es wie beim Auftakt zwei parallele Erzählstränge, hier der unermüdliche Abel, dort die verzweifelte Frau mit ihrem todgeweihten Kind – doch die Engführung von A- und B-Plot wirkt ausgedacht, allein aus Spannungszwecken konstruiert. Der Zuschauer besitzt keinerlei Bezug zu Frau, Kind oder Abels unschuldigen Kumpel in U-Haft. Da kann sich Christina Hecke noch zu mühen. Einigen wahrnehmungspsychologisch aufregenden Momenten zum Trotz (Detailbilder, Reißschwenks, Unschärfen, Sprünge, rasante Montage) lassen die emotionalen Mängel der Geschichte letztlich keinen filmischen Flow entstehen. Allenfalls auf der Zielgeraden mit dem deutsch-belgischen Buddy-Geplänkel und einer finalen imposanten Parallelmontage löst dieser – wie alle Abels – sicher nicht zufällig im Kino-Format gedrehte Fernsehthriller ansatzweise das Versprechen von „Zersetzt“ ein.
Foto: Sat 1 / Marc Bossaerts
„Zerbrochen“ funktioniert hingegen sehr viel besser. Der Held, der offensichtlich nicht geeignet ist als Ehemann und Vater, hat über Nacht zwei 17jährige Kinder. Eingeflogen aus dem Senegal, lernen die beiden gut gelaunten Teenager gleich die Schattenseiten des coolen Berliner Nachtlebens kennen. Sie kreuzen die Wege des sogenannten „Darkroom-Killers“ (Arnd Klawitter) und werden in ein belgisches Bordell für besonders perverse Praktiken entführt. Hier glaubt man nicht nur dem Helden seine Empathie, auch für den Zuschauer besitzt diese Geschichte sehr viel mehr emotionale Berührungspunkte: Man segelt quasi mit im multiperspektivischen Spannungsfluss mehrerer Erzählebenen. Da ist Abel, dem von einer sehr bestimmten Psychologin (Mariele Millowitsch) „eine traumatisierte affektgesteuerte Dissoziation“ bescheinigt wird und dessen Trauma-Auflösung näher rückt, da ist der verhängnisvolle Weg seiner Kinder Richtung Belgien, da sind die potenziellen Freier für dieses „Frischfleisch“ aus dem Senegal, da ist auch jener Lars Moewig, der Tatverdächtige Kumpel aus „Zerschunden“ wieder, der für den in Berlin gebundenen Abel jetzt die Rolle des knallharten Schnüfflers on the road übernehmen muss, und da ist vor allem der Serienkiller selbst – ihn als Zuschauer zu kennen, hilft nicht nur dabei, die Motive dieses armen Würstchens besser zu verstehen, sondern steigert auch die sogenannte Wie-Spannung.
Auch „Zerbrochen“ ist nichts für Genre-Feingeister, ist aber ein gut gebauter TV-Thriller, der nicht auf bestialisches Morden fokussiert ist, sondern der auf dramaturgische Qualitäten in Form vielfacher Spannungsverflechtungen setzt. In „Zerschunden“ ist das zweifelhafte Vergnügen, sich offen an abnormem, menschenverachtendem Verhalten zum Zwecke der Unterhaltung zu ergötzen, eher sekundär, primär geht es hier um das Verstehen menschlicher Abgründe, bei dem das Unterhaltungsbedürfnis stärker durch klassische Suspense-Muster als durch den „Widerspruch zwischen Faszination und Abscheu“ (Bergmann) befriedigt wird. Und am Ende versteht der Zuschauer endlich auch Dr. Abels seltsames Verhalten besser. Er weiß nun, weshalb Tim Bergmann häufig einen bedeutungsschweren Blick aufsetzt und sich seine Figur häufig so seltsam verhält. Jetzt erscheint einiges, das in „Zerschunden“ aufgesetzt und knallig wirkte, plötzlich psychologisch stimmig. Es wäre also besser gewesen, hätte man die horizontale Linie der beiden (oder auch der drei) Filme nicht auf zwei getrennte Episoden verteilt, sondern sie in einen Zwei- oder Mehrteiler verpackt oder die beiden Filme zumindest nicht mit dem Abstand einer ganzen Woche ausgestrahlt. (Text-Stand: 5.10.2019)