Zeit der Zimmerbrände

Ochsenknecht, Letkowski, Langmaack, Naefe. Sich die Realität schön phantasieren

Foto: SWR / Christiane Pausch
Foto Rainer Tittelbach

Ein junger Millionär hält einen abgehalfterten Eishockeytrainer für seinen Vater – und dieser spielt die Familienzusammenführung einfach mal mit. Lustvoll variiert Drehbuchautorin Beate Langmaack die Volksweisheit „Familie kann man sich nicht aussuchen“, indem sie sie umkehrt und zeigt, was wäre, wenn man sich den Wunschvater selbst backen könnte. Die warmherzige Geschichte dieses mit Ochsenknecht und Letkowski bestens besetzten Films von Vivian Naefe entwickelt mehr Zwischentöne, als man anfangs vermutet, leidet dennoch unter dramaturgischen Schwächen, die sich vor allem wirkungsästhetisch auswirken.

Eishockeytrainer Harry hat schon bessere Tage gesehen. Nach einem mehrjährigen Gastspiel in Kanada kehrt er in seine alte Heimatstadt Freiburg zurück. Mit Arbeit sieht es schlecht aus. Aber da ist ja noch Benjamin Hinz, den er einst als Jungspund trainiert hat und der heute als Scherzartikelfabrikant Millionen umsetzt. Dieser will plötzlich in seinem Ex-Trainer seinen Vater erkennen. Eigentlich ist es weniger die Aussicht auf Geld, als dieser glückliche Gesichtsausdruck von „Benny“, endlich das gefunden zu haben, nach dem er sein Leben lang gesucht hat, die Harry mitspielen lässt. Wenig später zieht der bei Benny und dessen Freundin Britta ein, ein Job steht auch in Aussicht und sogar neues Liebesglück winkt – zumindest vorübergehend – in Gestalt von Anna, der Frau aus der Feuerwehrzentrale. Und der junge Mann, der für andere Spaß produziert, will jetzt endlich auch mal selbst Spaß haben. Ben pubertiert vor sich hin und hält sich mehr an seinen „Vater“ als an seine Zukünftige. Das kann nicht lange gut gehen. Zumal Bens Tante Harry glaubt, dass dieser nie und nimmer auch nur eine einzige Liebesnacht mit ihrer verstorbenen Schwester verbracht haben kann.

„Zeit der Zimmerbrände“ sorgt gleich doppelt für eine weihnachtliche Bescherung. Das erste Heiligabend steht ganz im Zeichen des endlich gefundenen Vaters; das zweite zielt dann eher in Richtung Freundschaft. Autorin Beate Langmaack spielt die Umkehrung der Volksweisheit „Familie kann man sich nicht aussuchen“ lustvoll durch und zeigt, was wäre, wenn man sich den Wunschvater selbst backen könnte. Für einen Spaßproduzenten, dessen materieller Erfolg ihm so ein bisschen den realistischen Blick verstellt, ist es ein Leichtes, diese (Allmachts-)Phantasien zu entwickeln. Dagegen hat der lieber nur als väterlicher Freund agierende Harry, dem das Lügen beinahe seine neue Liebe gekostet hätte, keine Chance. Je länger der Film dauert, umso dichter verwebt Langmaack die Motivstränge und umso mehr atmet der Subtext aus einer Geschichte, die anfangs dahinplätschert und deren Protagonisten eine Zeit brauchen, bis sie sich ins Herz der Zuschauer „gespielt“ haben. Da ist es wenig hilfreich, dass man viele ähnliche Ochsenknecht-Rollen auf jenen Harry projiziert: so hält man den Plot am Anfang für platter, als er am Ende ist. Und der Kanada-Teil der Exposition ist dramaturgisch völlig überflüssig und filmisch eine arge Geschmacklosigkeit, was das Szenenbild und das peinlich gebrochene Deutsch angeht, das Jeanette Hain sprechen muss. Die gesamte erste Hälfte läuft Zeit der Zimmerbrände“ emotional und komödiantisch untertourig und, was das Vater-Sohn-Lügen-Motiv angeht, ist Tiefgang schwer zu erkennen.

Zeit der ZimmerbrändeFoto: SWR / Christiane Pausch
Harry (Ochsenknacht) hat großes Gück? Erst der Sohn, dann noch eine tolle Frau (Marie-Lou Sellem). „Zeit der Zimmerbrände“

Erst nachdem eine Wohlfühlstimmung zwischen den Figuren und beim Zuschauer etabliert ist, beginnt die TV-Komödie zu leben: Jetzt ist man an die Figuren herangerückt, hat sie endgültig „liebgewonnen“. Damit wächst aber beim Zuschauer auch die Wahrscheinlichkeit, dass das alles so nicht bleiben wird. Man befürchtet die baldige Enttäuschung des zum überglücklichen ewigen Jungen mutierenden Geschäftsmannes. Und dem Helden droht, dass auch er bald mit gebrochenem Herzen dastehen wird. Die Folge ist: der Identifikationsprozess zieht an, die „Spannung“ steigt. Und so hat man auch insgesamt den Eindruck, dass die Story so langsam ihren Rhythmus findet. Plötzlich nimmt man auch Zwischentöne wahr und erkennt im Weg der Charaktere – wie sich zwei Menschen gegenseitig die schmerzliche Wahrheit schön phantasieren – das Wesentliche dieser Geschichte. Dass das so spät passiert, bleibt jedoch ein Manko, das selbst in Zwischentönen erfahrene Schauspieler wie Uwe Ochsenknecht, Christoph Letkowski und Marie-Lou Sellem nicht einfach überspielen können. Auch Vivian Naefe hoffte offenbar, dass es der durch Jytte-Merle Böhrnsen zum Quartett erweiterte Haupt-Cast schon richten würde. Die Zeiten aber, dass Wünschen noch geholfen hat, sind vorbei. So produziert „Zeit der Zimmerbrände“ zwar keine Seifenblasen, wie es im Film selbst geschieht, bleibt aber unter seinen Möglichkeiten. (Text-Stand: 8.11.2014)

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Fernsehfilm

Arte, SWR

Mit Uwe Ochsenknecht, Christoph Letkowski, Jytte-Merle Böhrnsen, Marie-Lou Sellem, Petra Zieser

Kamera: Peter Döttling

Schnitt: Florian Drechsler

Soundtrack: Bob Dylan

Produktionsfirma: Polyphon

Drehbuch: Beate Langmaack

Regie: Vivian Naefe

Quote: ARD: 3,53 Mio. Zuschauer (11,5% MA)

EA: 05.12.2014 20:15 Uhr | Arte

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