Zeit der Kannibalen

Blomberg, Schüttler, Striesow, Weigl, Naber. Angst um ein erbärmliches Leben

Foto: WDR / Farbfilm Verleih
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„Zeit der Kannibalen“ erzählt von drei Unternehmensberatern, die in den ärmsten Ländern der Welt unterwegs sind. Abgeschottet von der sozialpolitischen Wirklichkeit des jeweiligen Landes beleben diese modernen Menschenfresser im Schafspelz die uniformen Hotelzimmer mit Zynismus und westlicher Arroganz. Johannes Naber ist mit seinem zweiten Film ein großer Wurf gelungen: kein leichter Stoff, keine gefällige Umsetzung, Formwille und „Sinn“ gehen Hand in Hand. Es gibt viele gute Kritiken zum Kinostart 2014. Deshalb beschränkt sich tittelbach.tv zur TV-Ausstrahlung auf Auszüge aus drei Rezensionen der Qualitätspresse und Teile einer Preis-Laudatio, an der ttv maßgeblich beteiligt war.

„Zeit der Kannibalen“ ist eine ironische Elegie auf den Neokapitalismus: Die Unternehmens-Berater Öllers (Striesow) und Niederländer (Blomberg) sind ein eingespieltes Team. Ihr Leben spielt sich in Hotels in Schwellen- und Entwicklungsländern ab: In klimatisierten Räumen treffen die Vertreter der „Company“ ihre Kunden und unterbreiten ihnen dubiose Vorschläge zur Profitmaximierung. Da werden sie mit dem Selbstmord eines Kollegen konfrontiert, der gerade die heiß begehrte Beförderung erhalten hat. Als kurz darauf die neue Kollegin Bianca März (Schüttler) auftaucht, beginnt der selbstzerstörerische Kampf jeder gegen jeden.

Zeit der KannibalenFoto: WDR / Farbfilm Verleih
Irgendwie muss man ja die Zeit rumkriegen. Während draußen ein Bürgerkrieg ausbricht, träumen die Unternehmensberater von der Errettung der Welt durch den Turbo-Kapitalismus. Sebastian Blomberg & Devid Striesow

Auf Zeit online schrieb Oliver Kaever am 21.5.2014:
„Der Film ist ein Kammerspiel, das den Ort des Geschehens überhöht, es zum Fetisch macht, zum Zeichen der Überhebung der Protagonisten über die Welt da draußen.
Zeit der Kannibalen ist eine treffend verdichtete Groteske. Der Film erinnert an das pralle Theaterstück Der Gott des Gemetzels von Yasmina Reza. Ähnlich wie dort bietet das Drehbuch seinen drei Darstellern eine Bühne, auf der sie ihre Figuren mithilfe von Dialogen, wie man sie in dieser Schärfe und stilistischen Brillanz in deutschen Filmen lange nicht gehört hat, Schicht um Schicht zerlegen.
Sebastian Blomberg, Katharina Schüttler und Devid Striesow ergreifen die Gelegenheit, in die Vollen zu gehen, und lassen dennoch Raum für Zwischentöne. Ihre Charaktere sind nicht einfach Knallchargen; sie sind schwache Menschen, die mit einer beständigen, geradezu panischen Angst vor Statusverlust und Absturz leben. Niederknien möchte man vor allem vor der Leistung Devid Striesows, der zu großer, bösartiger Form aufläuft.“

Auf Spiegel online schrieb Kirsten Rießelmann am 26.5.2014:
„In ihrem mit mathematischer Präzision ablaufenden Arbeitsalltag – Telefonate mit der Travel Agency und dem Back Office („Schickt mal die Milestones rüber, aber pronto!“), Continental Breakfast, Meeting, Flieger, Rollkoffer-Rollen über dezent sounddesignte Hotelflure, Massage – haben beide so ihre Neurosen entwickelt: Niederländer packt seinen Koffer nach der Uhr und demütigt Hotelangestellte wegen Nichtigkeiten. Öllers führt recht unbeherrschte Telefonate mit seiner Frau und bezahlt danach die Roomservice-Dame für Casual Sex.
Mit zunächst noch schadenfrohem Grinsen schaut man zu, wie aus großmäuligen Besserwissern drei wimmernde, kotzende Bündel werden, die Angst um ihr erbärmliches Leben haben. Und das Grinsen wandelt sich, fast ohne dass man es merkt, in Entsetzen. „Zeit der Kannibalen“ ist eine großartig geschriebene und gespielte Groteske, eine tiefschwarze Komödie, wie man sie in ihrer Klug- und Gewitztheit, aber auch in ihrer kompromisslosen Härte aus Deutschland nicht erwartet hätte.“

Auf Welt.de schrieb Hanns-Georg Rodek am 21.5.2014:
„Oh, wie selten kommt diese Chance, einen deutschen Film als von der ersten bis zur letzten Minute perfekt zu loben! Deshalb ergreifen wir sie: Johannes Nabers zweiter Film „Zeit der Kannibalen“ (nach dem „Albaner“) weiß exakt, worauf er hinaus will, er besitzt die Mittel, ans Ziel zu gelangen – und er erreicht es. Bis dorthin haben wir geschwankt zwischen Amüsement und Ekel, Ungläubigkeit und Grusel, Empörung und Genugtuung, und wenn nach 85 Minuten das Licht wieder angeht, beginnt ein Gedanke zu rumoren: Sind Typen wie dieser Öllers und dieser Niederländer vielleicht auch schon daran, deine Existenz zu zerstören?“

Zeit der KannibalenFoto: WDR / Farbfilm Verleih
Mit Vorliebe schikaniert Niederländer (Sebastian Blomberg) die Hotelbediensteten, während Öllers (Striesow) gerne mal ein Zimmermädchen zum bezahlten Sex nötigt.

Produzentin Milena Maitz und Drehbuchautor Stefan Weigl bekamen auf dem Emder Filmfest 2014 für „Zeit der Kannibalen“ den Creative Energy Award. Die Laudatio wurde von mir geschrieben, sie enthält aber auch Gedanken von den weiteren Jurymitgliedern: von Regisseur Stephan Wagner, Drehbuchautorin Katrin Bühlig und Kritiker-Kollege Volker Bergmeister.

Über acht Jahre haben die Produzentin Milena Maitz und der Autor Stefan Weigl gegen alle Widerstände an ihrer Vision festgehalten: der Vision eines Einraumfilms. „Zeit der Kannibalen“ erzählt von drei Unternehmensberatern, die in den ärmsten Ländern der Welt unterwegs sind. Abgeschottet von der sozialpolitischen Wirklichkeit, beleben diese modernen Menschenfresser im Schafspelz die uniformen Hotelzimmer mit Zynismus und westlicher Arroganz. Gedreht wurde im Studio: aus nur einem realen Raum wurden mit Hilfe verschiedener Perspektiven mehrere Spielflächen geschaffen und so die ganze Welt in diesen Mikrokosmos hineingeholt. Durch die konsequente, offensiv vertretene Reduktion der Mittel wird eine Raum-Illusion erzeugt, die nicht auf realistischen Augenschein setzt, sondern auf Stilisierung und kluge Abstraktion und die sich – radikal wie selten in einem Film – im Kopf des Zuschauers bildet.

Die Grundlage der Magie dieses Extrem-Kammerspiels, der genetische Code, ist das kreative Miteinander von Drehbuch und Produktion. Es ist die gegenseitige Befruchtung einer Produzentin, die von Anfang an an die Kraft der Reduktion geglaubt hat, und eines Autors, der nach zahlreichen Hörspielen sein erstes Drehbuch voller geschliffener, bitterböser Dialoge verfasst hat, ein Drehbuch, das durchaus auch als Lektüre, als Theaterstück oder als Hörspiel reüssieren könnte. Die gegenseitige Verzahnung dieser beiden Gewerke ist die kreative Energie, die diesen Film ermöglicht und ästhetisch beflügelt hat.

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Kinofilm

Arte, BR, WDR

Mit Sebastian Blomberg, Katharina Schüttler, Devid Striesow

Kamera: Pascal Schmit

Szenenbild: Tim Pannen

Schnitt: Ben von Grafenstein

Produktionsfirma: studio.tv.film

Produktion: Milena Maitz

Drehbuch: Stefan Weigl

Regie: Johannes Naber

EA: 12.02.2016 20:15 Uhr | Arte

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