Tilmann P. Gangloff
Fellini, Bergman, Woody Allen. Es ist zwar keiner der Drahtzieher, der diese Vorbilder bemüht, aber einer der Hauptdarsteller: Oliver Stokowski nennt „Zeit der Helden“ in der Tat im selben Atemzug wie mit einigen der wichtigsten Kinoregisseure überhaupt. Damit tut er der Serie keinen Gefallen, denn die Aussage weckt Erwartungen, die die Produktion nicht erfüllen kann. Allerdings gilt das auch für den Namen des Regisseurs; zu den Meriten Kai Wessels zählen immerhin Mehrteiler wie „Klemperer“ und „Die Flucht“. Von dieser Liga aber ist „Zeit der Helden“ weit entfernt, und das nicht allein wegen des deutlich niedrigeren Budgets: In der Theorie klang das Experiment weitaus faszinierender als in seiner Manifestation als TV-Serie.
„Zeit der Helden“ ist für das deutsche Fernsehen eine Innovation: Die Serie ist zwar Fiktion, aber in Echtzeit. Wenn man am 25. März abends um 20.15 Uhr einschaltet, ist es wie weiland Ende der 50er Jahre bei den Schölermanns („Unsere Nachbarn heute Abend: Familie Schölermann“) auch in der Serie 20.15 Uhr. Und während das Fernsehen Vorgänge sonst gern verdichtet und auf einen Schnitt reduziert, dauern die Dinge in dieser „dokumentarischen Fiktion“ (Wessel) so lange, wie sie eben dauern. Deshalb verbietet es sich auch, Vergleiche zur ebenfalls in Echtzeit erzählten US-Serie „24“ anzustellen: „Zeit der Helden“ schaut dem Leben bei der Arbeit zu, und das ist vom Thriller ähnlich weit entfernt wie die „Lindenstraße“.
Foto: SWR / zero one film / Tom Trambow
Auch sonst sind die Parallelen zu einer Soap (ob Daily oder Weekly) unübersehbar: Die Schauplätze wechseln mitunter unmotiviert, die Nebenfiguren sind längst nicht so herausragend besetzt wie die Protagonisten, und die mutige Bildgestaltung hat zur Folge, dass Menschen mit nachlassendem Sehvermögen im Zwielicht nicht alles erkennen werden. Kameramann Nicolay Gutscher hat mit einer extrem lichtempfindlichen Kamera gearbeitet. Die Bilder sind daher nicht wie üblich sorgfältig ausgeleuchtet, was ihren Naturalismus erhöht: Wo es kein Licht gibt, ist es dunkel; wie im Leben eben. Das rückt die Serie in die Nähe der Dogma-Produktionen, was der Normalzuschauer getrost als Warnung verstehen darf.
Für Wessel ist allerdings wichtig, dass die Technik nur Mittel zum Zweck sei: „Dass sich die Machart formalästhetisch von anderen Fernsehfilmen unterscheidet, sollen die Zuschauer eher subkutan wahrnehmen. Die Serie wird nicht über die Bilder funktionieren, sondern über die Menschen, von denen wir erzählen.“ Und genau hier liegt das Problem. Trotz namhafter Schauspieler wie Stokowski, Julia Jäger und Inka Friedrich hält sich die Faszination in Grenzen. „Zeit der Helden“ soll Einblicke in den Alltag geben, aber Alltag hat jeder Zuschauer selbst zuhause. Die Konflikte mögen im Detail durchaus interessant sein, werden jedoch regelmäßig zerredet. Dabei stammt das Drehbuch immerhin von den Grimme-Preisträgern Beate Langmaack und Daniel Nocke. Produktionsfirma zero one hat auch schon die Aufsehen erregende TV-Dokumentation „24h Berlin – Ein Tag im Leben“ (RBB/Arte, 2009) hergestellt.
Foto: SWR / zero one film / Tom Trambow
Anerkennung und Aufmerksamkeit hat das Experiment dennoch verdient, zumal sich die Dramaturgie des Niedergangs – auch das eine Parallele zum wahren Leben – schleichend vollzieht: Zu Beginn der Karwoche geht das Leben noch seinen gewohnten Gang, doch bis Karfreitag wird das beschauliche Dasein der beiden Paare im Zentrum existenzielle Risse bekommen. SWR und Arte betten die gemeinsam finanzierte Serie ins Umfeld ihres Programmschwerpunkts „40+: Jetzt oder nie! Midlife und andere Katastrophen“, den beide Sender in der Karwoche (25. bis 29. März) im TV & im Internet (www.zeitderhelden.de) anbieten. „Zeit der Helden“ wird Montag bis Freitag jeweils ab 20.15 Uhr (45 Minuten) und ab 22.00 Uhr (30 Minuten) ausgestrahlt. Hinzu kommen diverse Dokumentationen und Spielfilme. Sämtliche Sendungen befassen sich mit dem Phänomen der Mildife-Crisis, weshalb Wessel und Gutscher die Straße, in der sich ein Großteil der Geschichte abspielt, immer wieder aus der Vogelperspektive zeigt: Die Serie spielt in Weinheim, doch Weinheim ist überall. Aber bei allem Respekt vor dem Wagemut der Sender und der Produktionsfirma: „Die Grenzen des Fernsehens erweitern“, wie Wessel hofft, wird das Projekt nur in der Theorie.
Da Tilmann P. Gangloff vor vier Wochen nicht die Möglichkeit hatte, mehrere Folgen zu sehen, ergänzt Rainer Tittelbach die Kritik durch seine sehr viel positiveren Eindrücke (die Sterne-Wertung kombiniert die unterschiedlichen Einschätzungen)
Rainer Tittelbach
Das Genre heißt nicht umsonst „Serie“. Auch ein Kritiker sollte eine Ahnung davon bekommen, wie der spezielle Reiz des Seriellen in einer spezifischen Produktion funktioniert oder eben nicht. Mit immerhin drei Folgen ausgestattet, ließ sich nachvollziehen und bestätigen, was Regisseur Kai Wessel in TV-Spielfilm zur erhofften Rezeptionsweise sagt: „In der ersten Folge lernt man die Figuren kennen, tut sich vielleicht mit der einen oder anderen schwer, in der zweiten wird man warm, und dann kann man nicht mehr aufhören.“
Foto: SWR / zero one film / Tom Trambow
„Zeit der Helden“ mag formal an eine Soap erinnern, ist aber durch die reduzierte Ensemblegröße und die Beschränkung auf fünf Stunden Länge von Anfang an konzentriert wie ein offenes realistisches TV-Drama (was sich auch im durchgängigen Thema, „Midlife-Crisis“, spiegelt) und näher bei den Figuren als es bei Endlos-Seifenopern der Fall ist. In „Zeit der Helden“ sind die Charaktere – trotz etwas seltsamer Verhaltensweisen – klar umrissen: Da ist die still vor sich hin leidende Hausfrau (Julia Jäger), die etwas sucht, was ihrem Leben Sinn geben könnte. Da ist die leitende Managerin, die sich etwas Ruhe beim Skiurlaub gönnen möchte. Und da sind die beiden Männer dazu: der Elektroinstallateur (Oliver Stokowski) und der Lichtgestalter (Thomas Loibl), beide nicht allzu Helle. Und schließlich sind da noch der Schaumschläger auf der Überholspur (Patrick Heyn), der Selbstwert im Keller, die Tacho-Nadel am Anschlag, und das adrette Escort-Fräulein (Palina Rojinski).
Dialogwechsel wie „Na, was gibt’s so bei dir?“ (Vater) – „Ich muss pinkeln“ (Sohn) wird man in keiner Soap finden. „Zeit der Helden“ wirkt wie eine dramaturgisch, dramatisch und ästhetisch verfeinerte „Lindenstraße“ mit „Desperate Housewives“-Ambitionen. In der süddeutschen Vorstadt lauern allerdings vornehmlich realistisch anmutende Obsessionen hinter Gartenzaun und Haustür, die wenig Überhöhung erfahren. Zwischen Alltagsroutine und Unzufriedenheit zweier Mittelstandsfamilien zirkuliert die Handlung. Allein den Männern traut man ein Stück weit dunkle Energien zu. Vor allem Oliver Stokowski spielt seinen braven Familienernährer wie einen, der im Nebenberuf mindestens „Idiot“ (wenn nicht Psychopathen-Spießer) ist – eine Figur, die nicht nach dem abbildrealistischen Prinzip funktioniert und den amerikanischen Premium-Serien noch am nächsten kommt. Ansonsten sollte man nicht große Vergleiche anstellen (mit „24“ oder Woody Allen), sondern sehen, dass diese Serie eine Serie ist mit kleinem Budget, die der SWR fürs Dritte und für Arte stemmt, ein serielles Experiment, das die Möglichkeit des Mediums als Programmflächen-Strukturierer intelligent nutzt und die durchaus Schule machen sollte. Allein in punkto Licht-Realismus hätte das Experiment ein wenig geschmeidiger ausfallen, einige Innenräume eine Spur heller ausgeleuchtet sein können – denn vermutlich will man zur Prime-Time im SWR ja nicht nur „Debüt-im-Dritten“-Zuschauer begrüßen.
Regisseur Kai Wessel über die Bewegungsfreiheit der Schauspieler beim Dreh:
„Wir haben uns entschlossen, die Technik weitestgehend in den Hintergrund zu stellen und den Schauspielern größtmögliche Freiheit zu geben, damit sie sich bewegen und handeln können, wie sie wollen, wie es für eine Szene richtig ist, um ein authentisches Gefühl zu kreieren, wie man es aus John Cassavetes- oder Dogma-Filmen kennt … Wir haben uns entschlossen, eine zweite Kamera einzusetzen, um den Schauspielern auch in andere Räume folgen zu können.“