Aus dem bunten Swinging London ins graue Hamburg: Die Feministin und namhafte Buchautorin Zarah Wolf (Claudia Eisinger) tauscht ihre Unabhängigkeit als Publizistin gegen eine Stelle als stellvertretende Chefredakteurin in einem der mächtigsten deutschen Medienhäuser. Die Mittdreißigerin will bei „Relevant“, dem auflagenstärksten Wochen-Magazin, etwas bewegen, will politische Frauenthemen lancieren, sieht sich aber einer breiten Front unverbesserlicher Machos und Ignoranten gegenüber. Zarah wurde gegen den Willen von Chefredakteur Hans-Peter Kerckow (Torben Liebrecht) eingestellt; der Verleger-Fuchs Frederik Olsen (Uwe Preuss) hat den Deal mit ihr eingefädelt, die weibliche Leserschaft und vor allem die Auflagenzahlen im Blick. Nach außen lässt er indes verlautbaren, er wolle die Wolf „zur mächtigsten Frau Deutschlands“ machen. Die fühlt sich anfangs nur blockiert, nimmt dann aber den Kampf gegen Besitzstandwahrer und Redaktionsroutinen an. Als erstes lässt sie ein sexistisches Titelbild in einer Nacht- und Nebelaktion austauschen, dann begleitet sie für eine viel beachtete Aufmacherstory („Mein Bauch gehört mir“) eine Gruppe schwangerer Frauen auf ihrer Fahrt nach Holland, wo sie straflos abtreiben dürfen. Ihr feministischer Ungehorsam handelt ihr immer wieder Ärger ein, kostet ihr sogar den Job – vorübergehend, denn Zarah weiß, wie sie sich immer wieder ins Spiel bringt. Ein Exklusiv-Interview mit einer vom Nationalsozialismus und ihrem gefeierten Mitläufervater traumatisierte Diva kann selbst Chef Kerckow nicht ablehnen, der ohnehin zunehmend Respekt vor der Arbeit und dem Kämpfernaturell der engagierten Kollegin zu haben scheint.
Diese Frau hat Power, Humor, sie kann charmant sein und weiß Menschen geschickt für ihre Belange einzusetzen. Sie versteht es, die populäre Plattform „Relevant“ für ihre feministischen Ideen zu nutzen, sie kennt die Spielregeln der Kommunikation, besonders die der Mächtigen – was eine gute Voraussetzung ist, um sie zu brechen und nicht immer diplomatisch sein zu müssen. Die Heldin der ZDF-Serie „Zarah – Wilde Zeiten“ kommt mit Cabrio vorgefahren, sie weiß um ihre Ausstrahlung, im Gepäck hat sie jede Menge Selbstbewusstsein, nah an der Grenze zur Selbstüberschätzung. „Das Heft umzugestalten“, dieser Freudsche Versprecher kommt ihr beim Antrittsbesuch über die Lippen, „mit zu gestalten“, korrigiert sie sich lächelnd. Diese Zarah Wolf, hinreißend verkörpert und ikonografisch perfekt getroffen von Claudia Eisinger, kann sich einen solchen Fauxpas leisten: Sie sieht blendend aus, ist attraktiv, sie versteht sich zu kleiden, was ihr „draußen“ einen Vorsprung verschafft vor den grauen Herren, die sich auf ihren Redakteurssesseln den Hintern platt sitzen. Lästern anfangs die Schreibtisch-Machos, die sich zunehmend als verunsicherte Vertreter der Spezies Mann zu erkennen geben, noch ein bisschen, so ist dieser Wolf doch schwer beizukommen: Sie lässt sich nicht reduzieren auf „hässliche Emanze“ oder „scharfer Feger“ – und so bleibt sie für die Platzhirsche eine doppelte Bedrohung.
Wie es der Titel nahelegt, hat auch dramaturgisch die Heldin die Nase vorn. Ihre Geschichten stehen im Zentrum der sechs Folgen: ihr Kampf mit Chefredakteur und Herausgeber, der sich in jeder Folge im Ringen um die jeweilige Titelgeschichte des Wochenmagazins spiegelt, aber auch Zarahs Privatleben ist von Belang, ihre krebskranke Mutter, der geheimnisvolle Vater oder auch ihr spürbares Interesse an der flippigen Tochter des Herausgebers. In der zweiten Reihe stehen die, die es unmittelbar mit Zarahs Arbeit zu tun bekommen, ihre beiden Vorgesetzten, und eben jene Praktikantin Jenny „Big Daddy“ Olsen (gespielt von Svenja Jung), die keiner erotischen Erfahrung abgeneigt ist. Die anderen durchgehenden Rollen bleiben zwar gefühlt am Rande, geben den Hintergrund, gleichsam alltagsnah und serientypisch pointiert, und treten in den Vordergrund, wenn sie gebraucht werden für die aktuelle Geschichte. Mitunter haben aber auch die Nebenfiguren ihre eigenen Momente, beiläufige kleine Szenen, die Andeutungen machen, sich aber erst in einer späteren Folge verdichten wie beispielsweise die Methode des spielsüchtigen Chefgrafikers, sich seine Arbeit doppelt bezahlen zu lassen. Überhaupt zeichnet sich die Serie durch ihre große dramaturgische Dichte aus. Ein Working-Place-Drama mit seinem Netz an Inderdependenzen bringt dafür ja von vornherein beste Voraussetzungen mit. Wenn der Chefredakteur privat leidet und seinen Schmerz im Alkohol ertränkt, hat dies Auswirkungen auf seine Arbeit, sein Verhältnis zum Herausgeber („Sie machen Ihren Job nicht“) und auf den Konkurrenzkampf mit seiner Stellvertreterin. Und so landet Zarah dann auch einen Big Point, als sich Kerckow seinen Depressionen hingibt. Bei einer Filmpremiere macht sie eben jenes Interview mit der in Paris lebenden deutschen Schauspieler-Diva klar. Wenig später aber sind sich Kerckow und Zarah zum ersten Mal menschlich nah. Beide haben eine geliebte Person verloren. Der Schmerz verbindet sie.
„Der Abwehrkampf der Alpha-Männer gegen Frauen in Führungspositionen, Sexismus in den Medien, häusliche Gewalt, ungleiche Bezahlung, der ganz alltägliche Chauvinismus – das sind Themen, die in den 70ern auf die Agenda kamen und 2017 nichts an Brisanz verloren haben.“
„Keine unserer Figuren hat ein reales Vorbild, aber wir haben uns natürlich schamlos in der Wirklichkeit bedient.“ (Eva & Volker A. Zahn)„Die erzählerische Konzeption hieß Zurückhaltung. Es geht um die Wahrhaftigkeit der Figuren und die Beiläufigkeit des Erzählens. Darum versuchen wir, uns in formaler, technischer und Look-bestimmter Hinsicht zurück zu nehmen. Den Figuren zu folgen, bedeutet, ihnen nicht voraus zu eilen in bildgestalterischer Interpretation. Finden, nicht formen.“ (Robert Berghoff, Kameramann)
„Wir wollten Geschichten erzählen, denen man die Herstellung nicht ansieht, die nicht mit historischen Attributen hin- und herwedeln. Vor uns passieren große und kleine Geschichten – Dramen und Absurditäten – und wir sind nur leise dabei und stehen hoffentlich nicht im Weg.“ (Richard Huber, Regisseur)
Die 1970er Jahre waren beseelt von dem Glauben an eine gerechtere Welt. Die gesellschaftlichen Verkrustungen der Nachkriegszeit bröckelten, vieles schien plötzlich möglich zu sein: mehr Demokratie, der Marsch der 68er durch die Institutionen, die Gleichberechtigung der Frau. Eine entscheidende Rolle spielten dabei die Medien. Neben dem Spiegel war der Stern das wichtigste Wochenmagazin jener Jahre. An seiner Geschichte hat sich das Autoren-Duo Eva und Volker A. Zahn, das sich für das Biopic „Kolle – ein Leben für und Sex“ schon ein mal in die Zeit der sozialen Utopien, der Pop(p)kultur und der kreisenden Joints zurückversetzen durfte, offenbar ein Stück weit orientiert. Auch „Relevant“ sitzt in Hamburg, ihre Auflage von fast 1,2 Millionen Lesern ist identisch mit der des Stern Anfang der 1970er Jahre. Und auch dort gab es immer wieder Ärger wegen der grenzwertigen Titelbilder, deren offener Sexismus mit frauenfeindlichen Tendenzen oft im Gegensatz zu den journalistisch hochwertigen Reportagen stand. Der von der Serienheldin propagierte engagierte, programmatische Journalismus mit Haltung zeigte sich auch in den Kampagnen des Stern, der es mit der journalistischen Distanz anders hielt als beispielsweise der sich als Nachrichtenmagazin verstehende Spiegel.
„Mein Bauch gehört mir“ heißt es im Magazin „Relevant“; eine ähnliche Geschichte machte 1971 reale Pressegeschichte: „Wir haben abgetrieben“, hieß die spektakuläre Titelstory im Stern. Die Initiatorin hieß natürlich nicht Zarah Wolf, sondern Alice Schwarzer. Auch der Fotograf Helmut Newton, der in der Serie jene deutsche Diva fotografieren soll, hat Stern-Geschichte geschrieben: sein Grace-Jones-Titelfoto war 1978 Ausgangspunkt für eine „Sexismus-Klage“ gegen den Verlag. Auch andere Zeitgeist-Zitate und mythische Konstellationen haben die Autoren dezent & als lustvollen Mehrwert für Seventies-Kenner in die Handlung eingestreut. Da ist beispielsweise der fiktive Rockmusiker Tom Stroker, der ein John-Lennon-Zitat variieren darf: „Ich bin der neue Je-sus“. Eine inszenierte Talkshow-Szene erinnert an Zeiten, als in diesem Live-Genre noch blank gezogen oder mit der Axt auf Studio-Tische eingeschlagen wurde. Und was Romy Schneider konnte, das kann die fiktive Diva Bella, die Katharina Heyer als Typus junge Marlene Dietrich atemberaubend überzeugend gibt, schon lange: „Sie gefallen mir, Sie gefallen mir sogar sehr.“ Das Schicksal dieser Bella Hausmann und ihres Übervaters, dem Nazi-Mitläufer und nationalen deutschen Denkmal, erinnert an die Grundkonstellation bei den Georges. Außerdem werden in die Folgen immer wieder kurze Doku-Sequenzen, die ein paar Schlaglichter der Zeit geben, eingeschnitten – stylish und mit Splitscreen, aber insgesamt angenehm moderat. Das Gleiche gilt für die Musik, viel Stones und ein wenig Sixties-lastig.
„Zarah – Wilde Jahre“ besitzt für hiesige Verhältnisse ein ungewöhnliches Konzept: eine Primetime-Serie als historisches Drama, das ein Stück weit auch deutsche Emanzipations- und Mediengeschichte schreibt. Der Serie liegt ein gut recherchiertes Drehbuch zugrunde, bei dem man auch im Detail erkennen kann, dass hier ehemalige Journalisten am Werke waren. Die „Relevant“-Mitarbeiter besitzen bei aller – vermeintlich klischeehaften – Überspitzung einen wahrhaftigen Kern, und einige entpuppen sich im Laufe der Handlung als vielschichtiger, als auf den ersten Blick angenommen. Die Besetzung kommt bis in die kleinsten Rollen ohne Schwachpunkte aus. Die Gewerke nehmen einen mit in die Zeit, suchen aber auch – wie die Geschichte – Zugang zum Hier & Heute. Zwar kommt bekanntlich alles wieder, aber eine Erscheinung wie diese Zarah Wolf, ob im samtenen Hosenanzug oder im unverschämt knappen Mini und in ähnlicher weiblicher Kriegsbemalung, wäre auf den Straßen von Berlin oder Hamburg auch heute ein Hingucker, keine, bei dem man sich wundern würde. Nichts wirkt in „Zarah“ übertrieben ausgestellt (nicht einmal die Hosen). Ausstattung und Kostüm lenken nicht von den Geschichten ab, ein sicheres Händchen besitzt Regisseur Richard Huber („Dr. Psycho“, „Tatort“) selbst bei der Darstellung einer augenzwinkernd angedeuteten Sex-Orgie. Überhaupt, Drama-Serie klingt zu schwer für diese ZDF-Serie, von der sich der krimimüde Teil der Fernsehzuschauer noch sehr viele Folgen erhoffen wird. Dramedy erfasst „Zarah“ ebenso wenig. Wozu auch Genre-Kategorien, einfach gucken!
Soundtrack
Folge 1: T. Rex („Get It On“), Royal Deluxe („Born For This“), Howard Carpendale („Das schöne Mädchen von Seite 1“), The Rolling Stones („You Can’t Always Get What You Want“), Santana („Oye Como Va“), Aretha Franklin („Respect“), The Mamas & The Papas („Monday Monday“), Yefferson Airplane („Watch Her Ride“), Deep Purple („Child In Time“), Rolling Stones („As Tears Go By“), The Doors („Break On Through“)
Folge 2: The Doors („The End“), Lynn Anderson („Rose Garden“), James Brown („Sex Machine“), The Emotions („Best Of My Love“), Curtis Mayfield („Move On Up“), Dean Martin („Sway“), Tony Marshall („Schöne Maid“), Nick Drake („Day Is Done“), The Rolling Stones („Paint It Black“)
Folge 3: Dexter Gordon („Where Are You“), David Bowie („The Jean Genie“), The New Seekers („I’d like To Teach The World To Sing“), Christie („Yellow River“), John Lennon („Mind Games“), The Rolling Stones („Wild Horses“), Francoise Hardy („Comment te dire adieu“), Jaques Brel („Ne me quitte pas“), Hans Albers („La Paloma“), Freddy („Schön war die Zeit“)
Folge 4: Erik Silvester („Venga Toro“), Zarah Leander („Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“), Christian Anders („Es fährt ein Zug nach nirgendwo“), Stevie Wonder („Superstition“), Miles Davis („Round Midnight“), Wencke Myhre („Flower Power Kleid“), Tony Christie („Amarillo“), Carole King („Will You Love Me Tomorrow“), Thin Lizzy („Whisky In The Jar“)
Folgen 5+6: Tony Bennett („The Shadow Of Your Smile“), Bill Withers („Use Me“), Zarah Leander („Nur nicht aus Liebe weinen“), The Doors („When The Music’s Over“), Stretch („Why Did You Do It“), Middle Of The Road („Chirpy Chirpy Cheep Cheep“), Sammy Davis Jr. („The Candy Man“), Robertha Flack („Killing Me Softly“), Chicago („If You Leave Me Now“), Pink Floyd („The Great Big Gig In the Sky“)