Rasant geht es los. Ein Mann wird verfolgt, rettet sich in seine Wohnung, löscht PC-Dateien, zerstört die Festplatte. Der Verfolger versucht, die Tür aufzubrechen. Dann übergießt der Mann den Rechner mit Benzin, zündet ihn an und fängt selbst Feuer. Schnitt. Es geht ins Waldorf-Astoria. Das ist die Welt des jungen Hotelmanagers und Familienvaters Lukas Franke (Matthias Schweighöfer). Der hat einen Kongress im Haus, als plötzlich der Strom ausfällt. In ganz Berlin. In der Dunkelheit suchen sich Hacker Lukas als Opfer aus. Mit einer gefälschten E-Mail locken sie ihn in die digitale Falle und installieren eine unlöschbare Malware auf all seinen Systemen – vom Smartpone übers Pad bis zum Fernseher. Er ahnt nichts. Geschafft kommt er nach Hause. Seine Familie und seine Freunde erwarten ihn bei Kerzenschein: Lukas hat Geburtstag, wird 36. Am Morgen folgt dann das böse Erwachen. Ein Unbekannter sendet seltsame und kompromittierende Nachrichten und Fotos, Lukas’ digitale und persönliche Identität werden Stück für Stück umgeschrieben. Doch damit nicht genug: Das LKA um Kommissarin Jansen (Catrin Striebeck) durchsucht sein Haus, verhört ihn und verdächtigt ihn, Mitglied einer Terrororganisation zu sein. Bald schon steht nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das seiner Frau Hanna (Alexandra Maria Lara) und seines kleinen Sohnes auf dem Spiel. Lukas will wissen, wer dahinter steckt, nimmt erst Kontakt mit einem Untergrund-IT-Spezialisten (Louis Hoffmann) auf, tut sich dann im Verlauf der zweiten Folge mit der hilfsbereit scheinenden Lena Arandt (Karoline Herfurth) zusammen, die ebenfalls Opfer des oder der Hacker geworden ist. Gemeinsam wollen sie herausfinden, wer hinter der Verschwörung steckt und warum ausgerechnet sie beide Ziel der Angriffe geworden sind.
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Matthias Schweighöfer (zuletzt: „Vier gegen die Bank“) ist die zentrale Figur der hoch intensiven Thriller-Serie über Hacker und Computer-Terrorismus. Er ist Hauptdarsteller, Regisseur und mit seiner Firma Pantaleon Film auch Produzent von „You Are Wanted“. Er ist das, was die Amerikaner auch „Showrunner“ nennen, der hauptamtliche Macher hinter den Kulissen und das Gesicht der Serie. Den Stoff liefert Arno Strobel, Informatiker und Bestseller-Autor. Der hat es mit „Der Sarg“, „Trakt“ oder „Die Flut“ schon in die Spiegel-Bestsellerliste geschafft, auch „You Are Wanted“ erscheint zum Serienstart als Buch. Die Vorlage in ein Drehbuch verwandelt haben Christoph Bob Konrad, Richard Kropf und Hanno Hackfort, die schon für die Vorabendserie „Koslowski & Haferkamp“ zusammengearbeitet haben und von denen auch die neue TNT-Serie „4 Blocks“ (Premiere im Sommer) stammt.
„You Are Wanted“ ist Deutschlands erste Original-Serie auf einem der großen Streaming-Portale. Das Thema des sechsteiligen Hacker-Epos ist nicht gerade neu, aber aktuell und brisant. Die Amerikaner haben sich schon früh damit beschäftigt („Staatsfeind Nr. 1“) und hierzulande gab es 2015 den eindrucksvollen WDR-Thriller „Im Netz” mit Caroline Peters zum Thema Identitätsdiebstahl. Jetzt also Matthias Schweighöfer. Der hat sich bei der Inszenierung stark an amerikanischen Vorbildern orientiert. Die Episoden-Eröffnung setzt stets auf Action und (An-)Spannung, lässt den Zuschauer rätseln, erst dann geht es rein in die eigentliche Geschichte des Lukas Franke. Das Handlungsmuster ist bekannt: Ein Mann wird zur Zielscheibe, keiner glaubt ihm und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu beweisen, dass er unschuldig ist, wenn er sein altes Leben wieder zurück haben möchte. Dieses Motiv ist fast so alt wie die Filmgeschichte. Interessant ist aber, wie das hier umgesetzt wird.
Schweighöfer inszeniert – unterstützt von Bernhard Jasper – sehr trendy. Schnelle Schnitte, pulsierende Musik, die Kameraperspektiven wechseln rasant, das Erzähltempo ist flott, ein paar Ruheinseln gönnt er seinem Helden, aber zumeist ist dieser unter Druck und in Gefahr. Man merkt der Serie an, dass sie für den internationalen Markt gemacht wurde und weltweit Publikum sucht. Deutschland-Spezifisches sucht man in der Geschichte vergeblich, die Skyline von Berlin oder Frankfurt – die kennt man auf der ganzen Welt. Auch die Charaktere wirken glatt, besitzen wenig Tiefe und werden erzählerisch rein funktional eingesetzt. Woher sie kommen, das ist egal, wohin sie gehen, was mit ihnen und ihrem Umfeld in dieser speziellen Situation passiert – darum geht es. Alles ist dem Prinzip Thriller untergeordnet. Die Welt der Hacker und Cyber-Terroristen ist so in Szene gesetzt, wie man sie sich landläufig vorstellt. Da könnte man fragen: Müssen Hacker eigentlich immer Kapuzenpullover tragen, ist das so etwas wie eine Dienstuniform? Und überall sind Kameras. „Stell dir vor, ich bin Gott“, sagt der Unbekannte (Thomas Schmauser), als er via Telefon Handlungsmacht über Lukas ergreifen will und ihn ein Paket nach Frankfurt bringen lässt. Nicht Big Brother is watching you, sondern Antipode, eine Hackergruppe, die wie bei Anonymus im realen Leben eine eigene Maske hat. Und die Verschwörer sehen alles – bis in den letzten, verborgenen Winkel.
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Matthias Schweighöfer, zuletzt fast ausschließlich Komödien zugeneigt, beweist mit „You Are Wanted“, dass er vor der Kamera auch im Thrillerfach bestehen kann. Er überspielt nicht, sein Lukas ist ein hemdsärmeliger Held, sympathisch, empathisch, einer, mit dem man mitleiden kann und soll. Um ihn herum starke Frauen (Lara & Herfurth) und böse Buben (Schmauser), die Besetzung ist klug und ein wenig markttechnisch gewählt und dürfte auch international bestehen. Der Anfang ist also gemacht: Eigenproduzierte deutsche Fiction ist nun nicht mehr nur die Sache von (öffentlich-rechtlichen) Fernsehsendern… (Text-Stand: 11.3.2017)
Gegen-Meinung:
„Ein Feuerwerk handwerklicher Unzulänglichkeiten untergräbt die Glaubwürdigkeit der uninspirierten Hacker-Story. Mit einer konfusen Mischung aus kryptischen Auslassungen und umständlichen Auswalzungen erzählt das Autorenteam (Hanno Hackfort, Bob Konrad, Richard Kropf) die Geschichte eines Mannes, der so unglaubhaft gezeichnet ist, dass bis zum Ende der sechsteiligen Serie noch nicht einmal nachvollziehbar ist, dass er eigentlich einen Hotelmanager verkörpert … Übertroffen werden solche unplausiblen Konstellationen im Handlungsaufbau noch von unfreiwillig komischen Dialogen, sofern man sie versteht, denn manche sind aufgrund von übertriebenem Nuscheln völlig unverständlich.“ (Manfred Riepe: Funkkorrespondenz)