Wunschkinder

Victoria Mayer, Godehard Giese, Dorothee Schön, Emily Atef. Wahrhaftige Gefühle

Foto: WDR / Alexander Fischerkoesen
Foto Rainer Tittelbach

Ein Paar, Anfang 40, lässt sich auf das Abenteuer einer Auslandsadoption ein. Vom Jugendamt gibt es grünes Licht, doch die russischen Behörden haben strenge Vorschriften, beißen sich an Regularien fest, zeigen wenig Sinn für das Kindeswohl. „Wunschkinder“ ist weniger ein Film über eine Adoption, das TV-Drama erzählt vor allem die Geschichte einer besonderen Beziehung, einer Liebe, die über Jahre eine Unmenge an Belastungsproben aushalten muss. Diese Geschichte ist ein Wechselbad der Gefühle, das von den überzeugenden Charakteren und den realitätsnahen Situationen getragen wird. Dem sachlichen Drehbuch entspricht die klare Inszenierung: der goldene Mittelweg zwischen Arthauskino und Themenfilm, zwischen Zeigen und Informieren. Victoria Mayer & Godehard Giese sind die ideale Besetzung.

Ein Paar lässt sich auf das Abenteuer einer Auslandsadoption ein
Berlin 1999. Bei Marie (Victoria Mayer) und Peter (Godehard Giese) steht nach Jahren im Zeichen von Beruf und Karriere seit einiger Zeit die Familienplanung im Mittelpunkt. Das Ehepaar wünscht sich sehnsüchtig ein Kind, versucht es mit künstlicher Befruchtung – mehrfach vergeblich, erst beim vierten Mal scheint die aufreibende Hormonbehandlung, der sich Marie unterziehen musste, von Erfolg gekrönt zu sein. „Wir sind schwanger“, verkünden die beiden im Millennium-Jubel vorübergehend überglücklich ihren Familien und Freunden. Nach einer Fehlgeburt macht sich das Paar langsam mit dem Gedanken einer Adoption vertraut. Da Peter schon 43 ist, kommt allerdings nur noch eine Auslandsadoption in Frage. Während sich ihre Bekannten, Sandra (Silke Bodenbender) und Martin (Arnd Klawitter), für ein thailändisches Kind entscheiden, würden Peter und vor allem Marie gern ein russisches Kind adoptieren. Das Jugendamt stuft sie für geeignet ein, doch die russischen Behörden haben strenge Vorschriften, beißen sich an Regularien fest, zeigen wenig Sinn für das Kindeswohl. Und so sieht sich das Paar immer wieder neuen juristischen Situationen ausgesetzt, die sich mehr und mehr auch als Herausforderungen erweisen für dessen Liebe.

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Sandra (Silke Bodenbender) und Martin (Arnd Klawitter) haben gute Argumente für eine Auslandsadoption. Marie (Victoria Mayer) und Peter (Godehard Giese) sind anfangs noch zögerlich. Doch dann entdeckt Marie wieder ihre Liebe zu Russland.

Eine Liebe, die sich besonderen Belastungsproben ausgesetzt sieht
Das TV-Drama „Wunschkinder“ ist nicht in erster Linie ein Film über eine Adoption, sondern es erzählt vor allem die Geschichte einer Liebe, die über mehrere Jahre ganz besondere Belastungsproben aushalten muss. „Mit jedem anderen Partner könnten Sie vielleicht eine Familie gründen“ – mit dieser nicht allzu sensiblen Bemerkung von Maries Frauenarzt zu Beginn des Films wird die romantische Liebe durch die Biologie auf den Prüfstand gestellt. „Wenn ich Peter so sehe mit meinen Nichten, dann wünsche ich ihm fast heimlich ’ne Frau, mit der er Kinder haben kann“, sagt Marie, worin sich vor allem eines spiegelt: ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl ob der eigenen Unfruchtbarkeit. Aber eine Trennung ist für beide während des vierten IVF-Versuchs genauso wenig ein Thema wie vor oder in der ersten Adoptionsphase. Erst später, als die russische Justiz die Adoption ihres Wunschkindes, das sie in einem Kinderheim bereits besucht und zu dem sie eine enge Beziehung aufgebaut haben, mit ihrem ungerechten Urteil verhindert, scheinen beide nicht immer dasselbe Ziel zu verfolgen. Marie will den aussichtslosen Kampf mit der russischen Bürokratie aufnehmen, während Peter – als ein zweiter Adoptionsantrag zur möglichen Option wird – die Gefahr sieht, dass sich das Paar verlieren könnte. „Ich hab so Angst. Egal, was am Ende passiert, egal, welches Kind wir am Ende bekommen, wir werden immer daran denken müssen, dass das andere Kind im Heim zurückbleiben musste. Und das wird immer zwischen mir und Marie stehen…“

Goldener Mittelweg zwischen Zeigen und Themeninfos vermitteln
Vorlage für diesen Fernsehfilm von Emily Atef („Das Fremde in mir“) nach dem Drehbuch von Dorothee Schön (Grimme-Preis für „Frau Böhm sagt nein“ und „Der letzte schöne Tag“) ist der autobiografische Roman „Wunschkinder – Geschichte einer Adoption“ von Marion Gaedicke. Das Buch zu schreiben war für die Autorin zunächst „ein Prozess der Verarbeitung“, später dann eine Art Mutmacher für Menschen in ähnlichen aussichtslosen Situationen. Den 400-Seiten-Roman verdichtete Schön zu einem Drama mit klassischen Wendepunkten, mit berührenden Momenten voller Tragik, Hoffnung und Verzweiflung. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, das erfreulicherweise von seinen Charakteren, den realitätsnahen Situationen getragen wird und ganz ohne künstliche Dramatisierung auskommt. Die Nebenfiguren sind Repräsentanten des Schicksals oder Ansprechpartner, um das Innenleben der Hauptfiguren transparenter zu machen, oder sie bilden einen Kontrast zu Marie und Peter – wie das befreundete Ehepaar mit dem gleichen Schicksal, dessen Ehe allerdings am massiven Kinderwunsch und den Unwägbarkeiten der Auslandsadoption scheitert. Bei der Gratwanderung, die jeder Autor eines guten modernen Themenfilms gehen muss, die zwischen einem Realismus des bloßen Zeigens & dem Unterbringen von themenspezifischem Basiswissen, entschied sich die im Bearbeiten schwerer Dramen erfahrene Autorin erfolgreich für den goldenen Mittelweg. Der Zuschauer bekommt mit, was die Prozedur der künstlichen Befruchtung vor allem für eine Frau heißt. Die psychologischen Aspekte werden mehr oder weniger offen angesprochen: das Unbehagen an der Fehlbarkeit des eigenen Körpers („fett, unfruchtbar und bald arbeitslos“), das Gefühl des Versagens („als wär’ man ohne Kind nur ein halber Mensch“), vielleicht auch die Angst, deshalb verlassen zu werden, der soziale Erwartungsdruck, egal, ob objektiv vorhanden („na endlich, wurde aber auch Zeit“) oder nur als Projektion empfunden. Nachvollziehbar erscheint auch eine Szene, in der die unfruchtbare Freundin sich nicht freuen kann für die Hauptfigur, bei der es nun doch „geklappt“ hat. Auch Informationen zu den verschiedenen Adoptionsformen werden gegeben. Familie und Freunde, die Situation am Arbeitsplatz und die gemeinsame Geschichte des Paares, das sich noch vor dem Mauerfall in der DDR kennenlernte, finden knapp und präzise Eingang in die Geschichte. Bei aller Emotionalität behält der Film 90 Minuten lang seine sehr sachliche Tonlage bei.

WunschkinderFoto: WDR / Alexander Fischerkoesen
Voller Erwartung. Das mögliche russische Alkoholsyndrom bei Kleinkindern schreckt Marie (Victoria Mayer) und Peter (Godehard Giese) nicht. Und dann die nette Sonja (Jana Lissovskaia), die sofort nach der Ankunft mit den beiden ins Kinderheim fährt!

Dem sachlichen Drehbuch entspricht die klare filmische Umsetzung
Dieser Form mustergültiger Klarheit, ohne scheinbar jede Redundanz, entspricht die filmische Umsetzung durch Emily Atef. Trotz der zahlreichen Dialoge und Informationen, die unverzichtbar für die Geschichte sind, gelingt es ihr dennoch, dass „Wunschkinder“ beim Zuschauer den Eindruck hinterlässt, es sei ein vor allem vom Bild getragener Film. Da sind die Gesichter, immer wieder in Großaufnahme, die für ihre Figuren sprechen, die Blicke, das Spiel der Augen, die schlimme Ereignisse emotional kommentieren. Da sind die Körper, die sich berühren, umarmen, sich Trost spenden: Bild gewordene Beziehung. Der Erzählfluss ist dem Alltag abgelauscht, und die Inszenierung orientiert sich ebenso stimmig wie markant an einem realistischen Bildkonzept. Kunstlos werden die Szenen einer Ehe montiert, in Szenenbild und Kostüm dominieren Grau(blau)töne, dazu blasse Farben und Schwarz als Kontrast. Die matte Farbgebung entspricht der zumeist gedämpften Stimmung der Protagonisten. Sie haben schon so viel miteinander durchgemacht; ihre Erschöpfung ist spürbar, es herrscht große Nachdenklichkeit, und gegen Ende liegen die Nerven blank. Tun wir das Richtige mit dem Adoptionsantrag? scheinen sie sich immer wieder mal zu fragen. „Was haben wir schon zu verlieren?“, sagt der Mann. „Uns“, antwortet die Frau lächelnd. Darauf er: „Aber nicht, wenn wir zusammenhalten.“ Erst im Kinderheim leben die beiden zwischenzeitlich wieder auf.

Dokumentarischer Touch, ideale Besetzung & wahrhaftige Gefühle
Victoria Mayer (40) und Godehard Giese (44) sind – man muss es so deutlich sagen – eine Traumbesetzung: keine bekannten Namen, Gesichter (wie) von nebenan, also zwei, die das Realismuskonzept des Films durch und durch verkörpern. Mayer („Alpha 0.7 – Der Feind in dir“), bisher wenig in größeren Rollen zu sehen, empfiehlt sich mit „Wunschkinder“ für weitere hohe Aufgaben. Auch für Giese („Das Hotelzimmer“), allerdings seit Jahren einer unserer auffälligsten unauffälligen Supporting Actors, ist das die längst überfällige Hauptrolle zur Primetime. Diese zwei sind das absolute Herzstück des Films. Ob in Großaufnahme oder in den Innenraum-Halbtotalen – Sie verkörpern zwei Menschen, die partnerschaftlich, sanft und achtsam miteinander umgehen und die man als Zuschauer auf ihrer Reise begleitet, so wie man am Leben von Menschen teilhat, die einem sympathisch sind, mit denen man mitfühlt und die in diesem Fall in 90 Minuten zu Freunden werden. Entsprechend lange hallt dieser Film nach. Dazu trägt nicht zuletzt die eindrucksvolle und gleichsam unaufdringliche Bildgestaltung von Alexander Fischkoesen bei, insbesondere in den Russland-Sequenzen (gedreht in Polen): die Zugfahrten, die dem Paar wie dem Zuschauer Zeit zum Nachdenken geben, die postsozialistischen Widersprüche, beiläufig in der Architektur eingefangen, und vor allem die Sequenzen im russischen Kinderheim. Kleine Kinder, große Augen, spielend, mampfend, nachdenklich, traurig, weinend, ernst, frech grinsend, lächelnd – so beginnt auch der Film. Mit diesen dokumentarischen Bildern gibt Emily Atef ein realistisches Versprechen, das der Film auch in seinen Spielszenen erfüllt. Zeigen und Erzählen – ohne viel Drama und großes Gewese. Dennoch ist man am Ende zu Tränen gerührt. (Text-Stand: 31.12.2016)

WunschkinderFoto: WDR / Alexander Fischerkoesen
Geschichte und Inszenierung stehen im Zeichen eines wahrhaftigen Realismus‘, den man so konsequent selten zur Primetime sieht. Die kleinen Kinder sind geradezu dokumentarisch eingefangen. Dies macht sehr stark den Charme des Films aus.

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Fernsehfilm

ARD Degeto, WDR

Mit Victoria Mayer, Godehard Giese, Silke Bodenbender, Arnd Klawitter, Jana Lissovskaia, Ruth Reinecke, Ernst Stötzner, Marina Weis, Ivan Shvedoff

Kamera: Alexander Fischerkoesen

Szenenbild: Silke Fischer

Kostüm: Dorothée Kriener

Schnitt: Bernd Euscher

Musik: Christoph M. Kaiser, Julian Maas;

Soundtrack: James Brown („I Feel Good“)

Produktionsfirma: X Filme Creative Pool

Produktion: Michael Polle

Drehbuch: Dorothee Schön

Regie: Emily Atef

Quote: 2,68 Mio. Zuschauer (8,2% MA)

EA: 26.01.2017 20:15 Uhr | ARD

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