„20 Stunden“. Ein Mann im Krieg
Krimi und Komödie: Das passt. Aber Thriller und Komödie: Das ist eine Gratwanderung, die ein gutes Gespür verlangt, weil die Gegensätze im Grunde unvereinbar sind. Wie so etwas trotzdem funktionieren kann, beweisen die „Wolfsland“-Schöpfer Sönke Lars Neuwöhner und Sven S. Poser sowie Regisseur Cüneyt Kaya, der mit „20 Stunden“ seinen ersten Film für die Reihe gedreht hat, mit dieser elften Episode. Die eigentliche Handlung beginnt heiter: Das Görlitzer Kripo-Duo „Butsch“ Schulz und „Kessie“ Delbrück (Götz Schubert, Yvonne Catterfeld) wuchtet an einem Sonntag ein Sofa in die neue Wohnung des Kommissars und tauscht dabei allerlei Sprüche aus. Im Treppenhaus begegnen die beiden dem Vermieter, der sich freut, dass nun ein Polizist im Haus wohnt, denn offenbar geht hier etwas vor sich, das ihm große Sorgen bereitet. Er nimmt sein Geheimnis jedoch zunächst mit ins Grab, denn unmittelbar darauf wird er erstochen. Schulz und Delbrück hören Schreie und eilen ein Stockwerk höher, doch die Kamera bleibt in der Wohnung des Kommissars: Der Mörder ist über den Balkon des Opfers ins Wohnzimmer von Schulz geflüchtet. Da der Täter das Haus nicht verlassen hat, muss es sich um einen der Bewohner handeln.
Bis hierher ist „20 Stunden“ ein ganz normaler TV-Krimi, kurzweilig zwar und auch recht witzig, aber nicht weiter aufregend, wäre da nicht der Auftakt: Der Prolog ist Thriller pur, mit donnernder Action-Musik (Andreas Weidinger), Viola Delbrück als Geisel und einer Bombe. Der Kontrast zur Rückblende sorgt für eine interessante Dissonanz, und diesem reizvollen Gegensatz bleiben Buch und Regie fortan treu: Die Kommissarin stößt im Keller auf ein Waffenlager. Es gehört Gunnar Wendt (Lasse Myhr), der die Polizistin überwältigt, sodass mit dem zweiten Akt bereits das Finale startet: Wendt ist ein Untergangsfanatiker, der sich für den Tag der Abrechnung mit Handgranaten und Sprengstoff eingedeckt hat. Schulz hat derweil Stefan Gröba (Paul Wollin) verhaftet, einen weiteren Mieter, der sich verdächtig gemacht hat; damit ist der Fall für Kommissariatsleiter Grimm (Stephan Grossmann) geklärt.
Was zunächst wie ein überflüssiger Handlungsappendix wirkt, wird sich später zur Tragödie entwickeln, womit „20 Stunden“ eine weitere Farbe erhält. Dennoch bleibt Wendt die zentrale Figur, zumal ihm auch noch Schulz und Staatsanwältin Konzak (Christina Große) in die Hände fallen. Wendt lässt die beiden gefesselt zurück und beginnt mit Delbrück eine Irrfahrt, die schließlich zu einer bizarren Szene im Stadtzentrum führt, als das Auto plötzlich von jugendlichen Fans umringt wird. Kaya („Asphaltgorillas“), der für die ARD-Tochter Degeto nach seinem Kinofilm „Ummah – Unter Freunden“ auch das Donnerstagskrimi-Einzelstück „Dimitrios Schulze“ gedreht hat, orientiert sich in diesem Moment unübersehbar an den Bildern jenes Ereignisses, das als Geiselnahme von Gladbeck (1988) eins der dunkelsten Kapitel der bundesdeutschen Mediengeschichte darstellt; damals hat der Verbrecher Hans-Jürgen Rösner in der Kölner Fußgänger eine Pressekonferenz gegeben.
Das ist selbstverständlich nicht komisch, aber grotesk, und passt daher zum Tonfall der Ebene mit Schulz und Konzak, die Wendt mit Handschellen aneinander gefesselt hat. Kaya hat die Szenen mit dem unfreiwilligen Gespann stellenweise wie eine Komödie inszeniert, ohne dabei die Sorge um das Leben Delbrücks zu nivellieren. Für ein weiteres heiteres Element sorgt die Mutter der Kommissarin (Petra Zieser): Rose Delbrück lässt sich als ehemalige Richterin von den Beschwichtigungen Grimms nicht beeindrucken. Der wiederum wird zur tragischen Figur der Geschichte, denn da ist ja noch die Nebenebene mit dem zu Unrecht beschuldigten Mieter, und das ist nicht die letzte unerwartete Wendung des bildgestalterisch vorzüglich umgesetzten Buchs (Kamera: Christoph Chassée): Der Film endet mit einem überraschenden Finale…
„Das dreckige Dutzend“. Zurück auf die Straße
Der Titel klingt nach Western, aber „Das dreckige Dutzend“ (1967) ist ein Kriegsfilm. Im Krieg befindet sich auch die Görlitzer Kripo. Das können Schulz und Delbrück allerdings noch nicht ahnen, als am Ufer der Neiße eine Leiche eines Trödelhändlers entdeckt wird. Dieser Fall wird sich ohnehin ganz anders entwickeln, denn nach dem verhängnisvollen Fehler des Vorgesetzten in „20 Stunden“ ist Delbrück vorübergehend zur Abteilungsleiterin ernannt worden. Schon allein die Idee, die Kommissarin quasi an den Schreibtisch zu fesseln, wo sie ständig von diversen klingenden Telefonen genervt wird, macht „Das dreckige Dutzend“ – übrigens auch die zwölfte Episode der Reihe – zu einem besonderen Film. Davon abgesehen ist die Handlung zunächst nicht weiter aufregend. Der Händler war regelmäßig im angrenzenden Ausland unterwegs, um sich dort Antiquitäten zu besorgen. Im Inland hat er Tipps von einem Rettungssanitäter (Johannes Allmayer) bekommen, wenn damit zu rechnen war, dass ältere Herrschaften nicht mehr lange zu leben haben. Das ist moralisch zwar fragwürdig, aber nicht strafbar. Warum also sollte jemand den Trödler, dessen Geschäfte eher schlecht als recht liefen, umbringen? Und was hat dieser Fall mit dem vermeintlichen Herztod jenes Mannes zu tun, den Schulz im Rahmen des letzten Falls verhaftet hat? Beide Männer waren Mitglieder desselben Fitnessclubs, aber die Vermutung des Kommissars, dort werde ein schwunghafter Handel mit Steroiden und Anabolika betrieben, lässt sich nicht beweisen.
Diese inhaltliche Verknüpfung ist die zweite clevere Idee; das Drehbuch stammt auch diesmal wieder von Neuwöhner und Poser. Der Film beginnt mit einer Szene, die bereits in „20 Stunden“ zu sehen war, diesmal allerdings aus der Perspektive von Stefan Gröba erzählt: Schulz hämmert an die Wohnungstür, Gröba verbrennt Unterlagen in seiner Badewanne. In der Haft, stellt sich raus, ist er keineswegs eines natürlichen Todes, sondern an einer Überdosis Morphin gestorben; ein weiteres Rätsel, zumal dieser Suizid nicht der letzte bleiben wird. Von „Freitod“ kann ohnehin keine Rede sein; die Selbsttötungen sind vielmehr das Ergebnis einer höchst perfiden indirekten Mordmethode. Dahinter steckt ein Mann (Hendrik Heutmann), der keine Gefangenen macht. Trotzdem steht Felix Herzogenraths Regiepremiere für „Wolfsland“ unter einem anderen Vorzeichen als „20 Stunden“. Der erste Film war wegen der Entführung Delbrücks ein fesselnder Thriller, „Das dreckige Dutzend“ orientiert sich stärker am üblichen Krimimuster, weshalb die Geschichte naturgemäß weniger an den Nerven zerrt. Buch und Regie hatten in „20 Stunden“ zudem für einen reizvollen Kontrast gesorgt, weil die Handlung aller Spannung zum Trotz immer wieder mit heiteren Elementen durchsetzt war. Einen ähnlichen Effekt gibt es diesmal auch, allerdings als Romanze: Zwischen Schulz und Staatsanwältin Konzak entwickelt sich sehr sachte eine mit sympathischer subtiler Ironie umgesetzte Liebesbeziehung. Konzak, die zuvor für die Staatsanwaltschaft in Dresden gearbeitet hat, ist es auch, die den Titel erklärt: „Dreckiges Dutzend“ ist der Name einer kriminellen Organisation, die sich offenbar wie eine Krake in Sachsen ausbreitet.
Herzogenrath, der immer wieder Impressionen aus dem Stadtbild einstreut, ist ohnehin ein Regisseur für Zwischentöne, dessen Krimis („Nord bei Nordwest“, „Usedom“) in der Regel sehenswert sind; oft genug, wie etwa der letzte „Taunuskrimi“ („Muttertag“, 2022) oder „Das Lied des toten Mädchens“ (ARD, 2021), auch mehr als das. Gerade deshalb fallen die Szenen mit Petra Zieser aus dem Rahmen dieser ansonsten sehr stimmigen „Wolfsland“-Episode: Rose Delbrück, in „20 Stunden“ noch ein belebendes Element, erweist sich als unnötig übergriffige Person; was im ersten Film witzig war, wirkt nun nervig. Der clevere Schluss nach dem originellen Showdown in einem Bowlingcenter ist mehr als bloß eine Andeutung, dass die Geschichte über das dreckige Dutzend noch längst nicht zu Ende erzählt ist.