Agnes (Ulrike C. Tscharre) und Gregor (Roeland Wiesnekker) führen eine glückliche Ehe. Die vorherigen Beziehungen der beiden endeten im Schmerz. Sie hat aus ihrer ersten Ehe drei erwachsene Kinder, er hat seine erste Frau an den Krebs verloren. Die zweite Chance wollten sie deshalb besonders gut nutzen – sprich: achtsam, familienfreundlich und dem neuen Partner zugewandt sein. Siebzehn Jahre hat das vorbildlich funktioniert. Beide haben noch eine gemeinsame Tochter bekommen, und auch sie, die pubertierende Helena (Emilie Neumeister), ist wohlgeraten, obgleich ein bisschen verwöhnt. Als Agnes bei der „Tafel“ einsteigt und in ihrem sozialen Engagement aufgeht, beginnt es in ihrer Ehe langsam zu kriseln. Dass sie nicht weiterhin ausschließlich die Familie zum Mittelpunkt ihres Lebens machen möchte, versteht der von Verlustängsten geplagte Gregor zwar rational, aber emotional kann er mit dem Aufbruch seiner Frau nur schwer umgehen. Und so gerät die eingespielte Beziehung zunehmend in eine Schieflage – und steht schließlich bald für beide auf dem Prüfstand.
Foto: NDR / Sandra Hoever
Die Liebe hat ihre Phasen. Aber auch jeder Mensch hat seine individuellen Lebensphasen. Bei den beiden Hauptfiguren des ARD-Fernsehfilms „Wo ist die Liebe hin“ klappt die Synchronisation dieser beiden Phasen nicht mehr. Die Frau braucht Veränderung, der Mann will Kontinuität. Sie ist beflügelt von ihren neuen „sinnvollen“ Aufgaben, die Öffnung tut ihr gut und mit ihrer Kollegin bei der „Tafel“ (Anneke Kim Sarnau) hat sie eine weitere wichtige Bezugsperson hinzugewonnen. Er scheint hingegen in einem verhängnisvollen Muster festzhängen; nach dem Tod seiner Frau drohen die nächsten Verlusterfahrungen. Denn nachdem es in der Ehe nicht mehr rund läuft und er auch als freiberuflicher Graphiker Probleme bekommt, ist abzusehen, dass er bald auch noch seinen besten Freund verlieren wird: Der krebskranke Bernhard (Rainer Bock) will sich nicht behandeln lassen, lieber geht er mit Schmerzmitteln, Zigarette und Weinglas in den Tod. „Alles soll so bleiben, wie es war“, das wäre seine Hoffnung. Das klingt ähnlich wie der Satz, den der einsilbige Gregor an Agnes richtet: „Ich mochte die alte Phase.“ Doch dann gibt Bernhard, der mit seiner Conny (Uygar Tamer) Jahrzehnte eine gute, abwechslungsreiche, aber auch streitbare Beziehung geführt hat, seinem Freund noch einen letzten guten Rat. Ob dieser Sturkopf ihn beherzigen wird? Vielleicht, vielleicht ist aber auch die in der Beziehung „vorangegangene“ Agnes nicht gewillt, ewig auf ihren Partner zu warten. Vor ein paar Jahren hatten sie noch so viele gemeinsame Pläne für die Jahre, wenn die ersten Kinder ihrer Patchworkfamilie aus dem Haus sind.
Das Intro, das Situationen und Bilder des Films vorwegnimmt, deutet es bereits an: In „Wo die Liebe hinfällt“ geht es um die kleinen Dinge des Lebens, die Zwischentöne in Partnerschaften, das Schöne, das Schmerzliche, das Vergängliche. Herbstliche Melancholie liegt über den Bildern. Die Szenen werden meist nur angespielt, alles geht seinen stillen Gang, von der „perfekten Beziehung“ über die ersten Misstöne bis zur handfesten Krise. Viel muss nicht gesagt werden. Manchmal reicht es, wenn die Kamera die kleine Familie bzw. das Paar zwei Minuten beim Abendbrot beobachtet – fast ohne Schnitt und statisch, womöglich ein Hinweis darauf, dass diese Beziehung stagniert. In der Kommunikation des befreundeten, sich häufig fetzenden Freundespaar steckt jedenfalls mehr Leben. Auch wenn Ulrike Tscharre und Roeland Wiesnekker ihre Charaktere zu Menschen aus Fleisch und Blut machen, Individuen mit einer spezifischen Vorgeschichte, so weiß jeder einigermaßen lebenserfahrene Zuschauer sofort, was hier Sache ist. Diese Geschichte dürfte für die ARD-Zielgruppe äußerst anschlussfähig sein – und dass Frauen die treibenden Kräfte in einer modernen Beziehung sind und Männer lieber den konservativen Part geben, das ist mehr als nur ein Klischee.
Foto: NDR / Sandra Hoever
Der gut besetzte, angenehm leise gespielte und inszenierte Film erzählt eine vermeintlich kleine Geschichte, fein beobachtend, psychologisch genau, ohne dabei übermäßig die Gesellschaft mit zu reflektieren. Die Paare bewegen sich im gehobenen Mittelstand, nicht jeder Job ist krisensicher, darüber plaudert man gelegentlich, aber materielle Sorgen muss sich hier keiner machen. Die weibliche Hauptfigur darf allerdings mit ihrem ehrenamtlichen Engagement, mit ihrer Hilfe für eine junge Frau aus prekären Verhältnissen und mit einem Satz, den auch schon ihre Mutter oder sogar ihre Großmutter hätte sagen können, ihre gerade (wieder)entdeckte soziale Ader untermauern: „Ich finde, wir wissen gar nicht, wie gut es uns geht.“ Wer so etwas sagt oder gar „Nimm mir das nicht weg“ ist keine Frau, die gerade die Emanzipation für sich entdeckt hat und auf Konfrontation aus ist. Diese Agnes will einfach nur ein bisschen Veränderung. Dass dadurch das traute Familiensystem plötzlich zusammenzubrechen droht, zeigt, dass die Fassade dieser Ehe vielleicht doch immer schon kleine Risse hatte, die nur keiner der beiden wahrzunehmen in der Lage war.
Der Blick der Autorinnen Katrin Ammon und Martina Borger ist nicht allein wegen den Männern auf dem Regiestuhl (Alexander Dierbach) und hinter der Kamera (Ian Blumers) kein geschlechtsspezifischer. Dass Bewegung attraktiver ist als Stillstand, keine Frage. Beide Partner-Positionen sind aber gleichermaßen psychologisch motiviert und gut nachvollziehbar. Der Konflikt wird entwickelt, ausagiert, aber nicht bewertet. Allerdings wirkt dieser Ehealltag und die zwei Gegenmodelle etwas didaktisch. Dieser Eindruck mag ein Stück weit dadurch entstehen, dass die Autorinnen in „Wo ist die Liebe hin“ keine Vielzahl ablenkender Subplots auftürmen, sondern klar und konzentriert ihre Geschichten(n) erzählen – sodass vor allem das Paradigmatische daran in den Blick geraten kann. Dagegen gefeit sind vor allem die Zuschauer*innen, die hinschauen wollen – und dabei diese schönen kleinen Momente erhaschen. Diese Blicke, die beiläufigen Berührungen, die schleichenden Veränderungen in Körpersprache oder Tonfall, der spürbare Kloß im Hals der sich voneinander Entfernenden, die rituellen Raucherpausen, die alltagsnahen, oft nur angerissenen Gespräche unter Freunden, die sarkastischen Sprüche… Das mag alles „nichts Weltbewegendes“ sein, wie Autorin Katrin Ammon im Presseheft-Interview selbst einräumt, aber es ist sehr bewegend.