Paul (Mehdi Nebbou) und Christine (Ulrike C. Tscharre) leben seit geraumer Zeit getrennt. Beide haben mittlerweile wieder neue Partner, doch die Beziehungen laufen noch nicht rund. Das liegt auch an ihrer gemeinsamen Tochter Sarah (Janina Fautz), die ihren Eltern die Trennung nicht verzeihen kann und sich diesen Sommer mehr denn je als fünftes Rad am Wagen fühlt. Nicht nur, dass ihrem Musiker-Vater seine Arbeit zuletzt wichtiger war als beispielsweise ihr Geburtstag, jetzt wird sie auch noch ins Ferienlager abgeschoben, damit Paul mit seiner Flamme (Britta Hammelstein) auf Tournee gehen und auch Christine mit ihrem neuen Langweilerfreund (Daniel Drewes) ungestört wegfahren kann. Immerhin kommt Sarahs beste Freundin Charlie (Marie Bendig) mit ins Ferienlager. Doch kaum sitzen die beiden Mädchen gemeinsam im Wagen, gibt es zwischen ihnen schon Streit – es geht um einen Jungen, auch die Art, wie Charlie den drei Mal so alten Paul ansieht, bringt Sarah auf die Palme. Wenig später ist Charlie tot. An einer Talsperre treibt nur noch ihr Rucksack im See – und Sarah klebt verängstigt am Geländer. Auf dem Weg zur Polizei wird das Mädchen immer kleinlauter, dann gesteht sie ihrem Vater: „Es war kein Unfall, ich hab’ sie geschubst.“
Foto: WDR / Martin Valentin Menke
Wenn sich die Phantasien der Pubertät mit der Popkultur kurzschließen, gebären sie nicht selten Werwölfe, Vampire oder anderes Teufelszeug. In „Wir Monster“ ist es das reale „Halbwesen“ (halb Kind, halb Erwachsener) selbst, das sich zu einem menschlichen Monster auszuwachsen scheint. Wie anders ist es zu erklären, dass das Mädchen nach dem folgenschweren Schubser sehr viel leichter in den Alltag zurückzufinden scheint als ihre geschockten Eltern. Dieses typische Trennungskind scheint es sogar genießen zu können, Vater und Mutter weider gemeinsam um sich zu haben und ihrer Aufmerksamkeit sicher zu sein. Eine juristische Lösung schließen die Eltern früh aus, denn ihre Tochter ist bereits 14 und den Spießrutenlauf bei der Polizei und vor Gericht wollen sie ihr ersparen. Doch dann steht auf einmal der Vater jener Charlie bei der „Familie“ auf der Matte. Sarahs Eltern reagieren völlig unverhältnismäßig auf dessen Besuch, und es kommt zu Handgreiflichkeiten. Es bleibt die Frage: „Was, wenn der zur Polizei geht?“ Antwort: Die beiden müssen ihm zuvorkommen! Da die Alkoholprobleme des Mannes aktenkundig sind, hat sich die Situation für Sarah schlagartig geändert. Aus dem „Sie ist ein Monster“ wird plötzlich ein „Wir sind Monster“. Den Eltern ist das durchaus bewusst, aber was tut man nicht alles für sein Kind!?
„Wir Monster“ erzählt vom Fluch der bösen Tat und von der Eigendynamik, die ein gebeichteter Mord nach sich zieht. Der klar strukturierte, zwischen Plot & Psychologie klug austarierte, mehr das Alltägliche als das Genrehafte suchende Debütfilm von Sebastian Ko („Tatort – Kartenhaus“), der mit Autor Marcus Seibert auch am Drehbuch schrieb, treibt von Minute zu Minute deutlicher in eine (Familien-)Tragödie, aus der es kein Entrinnen geben kann. Obwohl die Zwangläufigkeit der Handlung recht bald vom Zuschauer erkannt werden dürfte, hält der Film – auch Dank einer überraschenden, aber nicht ganz unerwarteten Wende nach 50 Filmminuten – bis zum Ende seine Spannung. Trotz eines kleinen Budgets gelingt es Sebastian Ko, den Zuschauer in diesen Film förmlich hineinzuziehen. Das liegt vor allem an den alltagsnahen Charakteren, die einem sympathisch sind (nicht zuletzt auch durch die Besetzung) und mit denen man auch deshalb so heftig mitfiebert, weil diese drei – wie man selbst – eben keine Profi-Betrüger, keine erfahrenen Kriminellen sind. Selbst wenn der Vater des „vermissten“ Mädchens als Sündenbock ins Spiel gebracht wird, so weiß man doch nie, was bei diesen mit der Situation völlig überforderten Eltern als Nächstes kommen wird. Wird das Geheimnis also bis zum Ende ein gehütetes bleiben? Oder kommen vielleicht sogar noch neue Geheimnisse hinzu, die ebenso zwanghaft geheim gehalten werden müssen? Weil Ko und Seibert durch ihre Erzählhaltung den Zuschauer zum Verbündeten machen, anstatt ihn nur aus kühler Distanz am Geschehen teilhaben zu lassen, sollte man sich im Fernsehsessel am Ende ruhig auch ein bisschen mitschuldig fühlen. Schließlich wollten wir 90 Minuten lang, dass diese Kleinfamilie irgendwie davon kommt: Wir Monster! (Text-Stand: 25.1.2017)