Auf St. Pauli brennt noch Licht. So ein bisschen Party würde der Ehe von Melanie und Ali Struttmann mal ganz gut tun. Doch keine Chance, die gemeinsame Fliesenfirma und Baby Bobby halten die beiden auf Trapp. Spaß gibt es allenfalls mal solo – so genehmigt sich die ausgebrannte Melanie mit ihren Freundinnen Emma und Loretta ein verlängertes Wellness-Wochenende in Salzburg. Das ist Alis Chance zu beweisen, dass er auch mal allein klar kommt mit dem Sohnemann. Das allerdings geht gehörig schief. Und überhaupt kommt alles ganz anders als geplant. Die zwei Freundinnen haben heimlich das Reiseziel geändert: jetzt geht es nach Ibiza – Halligalli statt Gurkenmaske. Doch die drei werden auf einen Morgenflug umgebucht. Was tun solange? Feiern lässt sich auch auf der Reeperbahn. Dass den dreien dort Stunden später in einem Bumslokal Ali auf der Bühne etwas vorstript, das wirft ein paar Fragen auf. Was hat der brave Gatte mit dem Rotlichtkönig Rocky Harkensen zu schaffen? Und wo ist Bobby? Und was haben Ali und seine Freunde aus ihrer Vorzeigevilla gemacht?
Foto: ZDF / Stephan Persch
Lars Becker lässt mal wieder – allerdings komödiantisch! – eine Nachtschicht schieben. Das ZDF-Lustspiel „Wir machen durch bis morgen früh“ kombiniert das vom Chaosprinzip geleitete „Kopfüber-durch-die-Nacht“-Muster amerikanischer Beziehungskomödien wie „Die Zeit nach Mitternacht“ oder „Date Night“ mit einem deutschen Humorverständnis, das vornehmlich mit Überzeichnung unterhalten möchte. Aber sind besoffene Mädels und bekiffte ewige Jungs, die durch die Hamburger Nacht irren, aufgescheucht vom Kiez-König, der Polizei und vom Vater der Heldin, der nicht mehr Rudi sondern Rosa heißt, abendfüllend? Viel zu selten treibt die Handlung strukturiert ins Absurde. Running Gags, das Schmiermittel jeder guten Situationskomödie, muss man suchen im Plot von Daniel Schwarz, Thomas Schwebel und Lars Becker. Auch die Sprache hat in punkto Komik etwas Unentschlossenes: sich lieber zu keinem Witz hinreißen lassen, da kann wenigstens auch kein Rohrkrepierer dabei herauskommen. Auch die Typenkomik, Rohde als Kiez-Kaiser oder Maximilian Simonischek als Kiffer-König, gelingt nur in Maßen. Der Film lebt neben seiner zeitlichen Begrenzung vor allem von seinem hohen Tempo, in dem die Protagonisten immer wieder in neue, überraschende, genregemäß indes wohlbekannte Situationen geraten. Auch der Erzähl-Rhythmus ist eine Qualität Beckers. Doch was nützt die Hülle, wenn der Kern nicht stimmt.
Die altbackene Ausgangssituation, die sich problemlos auf eine frühe 1960er-Jahre-Komödie mit Heinz Erhardt, Walter Giller, Ralf Wolter, Trude Herr und Nadja Tiller übertragen ließe, zündet jedenfalls nicht. Sturmfreie Bude, endlich mal die Sau rauslassen, Alkohol bis zum Anschlag, Party bis der Arzt kommt. Es gelingt der Geschichte weder, aus dem albernen ewigen Jungs- und Mädels-Ding auszubrechen, noch eine den Zeitgeist der Geschlechter spiegelnde Ebene in die Handlung einzuziehen. Es wird geblödelt bis morgen früh und ein Satz wie „Ich fang jetzt wieder an zu rauchen und ich hab gesoffen und ich hab ’nen Unfall gebaut und ich war im Knast und das allerbeste – es hat einen Scheiß-Spaß gemacht“ hat leider Seltenheitswert und wird gleich Sekunden später wieder ausgehebelt von rührseligen Momenten („Gegen Gefühle kann man nichts machen“), die in diesem eindeutig als Chaos-komödie mit Ehe-Thema-Anbindung gestarteten Film „gefühlt“ nichts verloren haben. Die Nebenhandlung mit dem transsexuellen Vater vertieft nichts, sondern verwässert eher das Beziehungsthema der Hauptfiguren. Und Peter Heinrich Brix als Frau, die der Heldin ein Vater sein will, kommt bei allem Bemühen nicht über eine müde Schmunzelnummer hinaus.
Foto: ZDF / Stephan Persch
Soundtrack:
Mr. Probz („Waves“ – Robin Schulz Remix), Jan Delay („St. Pauli“), Madonna („Like a Virgin“), Booker T & MGs („Green Onions“), Bee Gees („Stayin‘ alive“), Bruce Springsteen („Glory Days“), Cyndi Lauper („Girls just wanna to have fun“), David Bowie („Let’s Dance“), Justin Timberlake („Sexy Back“) und Charles Bradley („You put the Flame on it“) als Abspann-Song
Und so verspielt „Wir machen durch bis morgen früh“ Vieles von dem, was das Genre hergeben könnte, und er vertändelt sich gelegentlich auch beim Wechselspiel der Tonlagen. Die durchweg gute Besetzung reißt einen dennoch immer wieder mit und löst zumindest ein Stück weit das ein, was wohl die Konzeption (wenn es so etwas überhaupt gab) dieser Komödie war. Es ist die Lust an der Idiotie, der völligen Infantilisierung, der Regression, die einen all das tun lässt, was für einen Erwachsenen gemeinhin verboten ist. Dieser Gedanke als Antrieb für einen Fernsehfilm hat freilich etwas Anarchisches. Aber dafür ist diese Komödie ästhetisch nicht durchgeknallt und dramaturgisch nicht stringent genug. Bleibt das, was einem der Film im Kern erzählt: unter anderem die Geschichte vom neuen Pantoffelheldentum, das sich in uralte spießige Männerrituale flüchtet, wenn es dem Nudelholz der Gattin einmal entkommen kann, oder das Gleichnis vom verhängnisvollen Nestbautrieb, welcher für andere Triebe ziemlich tödlich sein kann (Nachbarin Uta weiß das). Die Hysterie, mit der Mann und Frau ihre kurzzeitige Freiheit feiern, sagt selbstredend etwas über das „einfache“ Milieu aus, in dem der Film spielt. Andererseits – und das wäre ein weiteres Argument „für“ diese ZDF-Komödie – lässt sich unschwer hinter aufgesetzter Romantik die Loriotsche Prämisse erkennen: Frauen und Männer passen eigentlich nicht zusammen. (Text-Stand: 29.9.2014)
Foto: ZDF / Stephan Persch