Wie ein Orkan braust der Mann durch sein eigenes Leben und fegt alles hinweg, was sich ihm in den Weg stellt. Die Menschheit hat Franz Brenninger fein säuberlich in zwei Kategorien eingeteilt: auf der einen Seite die Arschlöcher, auf der anderen er selbst. Er ist ein Gefühlsberserker, den nur Musik zur Raison bringen kann. Wenn er Schuberts „Winterreise“ hört, wird er plötzlich ganz weich. Spätestens als sich Brenninger schließlich selbst ans Klavier setzt, eine sanfte Melodie erklingen lässt und mit zarter Stimme vom „Leiermann“ singt, ist man ergriffen von der Erkenntnis, wie viel Sensibilität in diesem groben Klotz steckt.
Sepp Bierbichler ist ja ohnehin ein Schauspieler von imposanter Präsenz. In der Rolle des Metallhändlers jedoch, der sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, zum alten Eisen zu gehören, ist Bierbichler ein Ereignis. Wenn Brenninger, immer wieder „Arschloch“ grölend, in die Filmhandlung einführt, grimmig seine Briefe sortiert („Arschlochpost“) und jenen, die ihm nahe stehen, tiefe Wunden zufügt, gelingt es Bierbichler, widersprüchlichste Reaktionen hervorzurufen: einerseits ist man abgestoßen, andererseits fasziniert von diesem Ungetüm, das sein Leben bis zur bitteren Neige auskosten will. Die Zeile aus dem Refrain des Rock-Songs, den Brenninger in ohrenbetäubender Lautstärke hört, ist kein Zufall: „They say I’m going insane“. Ohnehin hat die Musik neben dem grandiosen Hauptdarsteller und der Bildgestaltung einen großen Anteil an der Wirkung des Films. Dem Komponisten Antoni Lazarkiewicz gelingt eine reizvolle Mischung aus den von Bierbichler selbst vorgetragenen Schubert-Balladen, einigen rockigen Liedern und der vom Akkordeon geprägten Filmmusik.
Foto: BR / Marco Nagel
Es wäre beinahe egal, welche Geschichte Hans Steinbichler in seinem zweiten Kinofilm nach „Hierankl“ (ebenfalls mit Bierbichler) zu erzählen hat; es genügt zunächst völlig, Brenninger bei seiner Raserei zuzuschauen. Aber dann ergibt sich doch noch eine Handlung. Ein Brief ist keine „Arschlochpost“: Ein afrikanischer Geschäftsmann bietet Brenninger an, sich an einer Geldwäsche zu beteiligen. 15 Millionen Dollar sollen über sein Konto fließen, um auf diese Weise die kenianischen Steuern zu sparen. Brenningers Anteil beliefe sich auf 5 Prozent.
Nun weiß jeder einigermaßen vernunftbegabte Mensch, dass man bei solchen Deals nur den Kürzeren ziehen kann. Auch Brenninger zögert. Trotzdem trifft er sich mit dem Kenianer. Beim Notar lässt der die Katze aus dem Sack: Sein deutscher Geschäftspartner soll 50.000 Dollar als Sicherheit hinterlegen. Brenninger ist wieder mal außer sich, wird aber immer noch nicht schlau. Mit der Lüge, Geld für eine unumgängliche Operation seiner halbblinden Frau (Schygulla) zu brauchen, bringt er seinen Sohn dazu, einen Bausparvertrag aufzulösen. Als der Kenianer weitere 50.000 Dollar fordert, fällt auch bei Brenninger endlich der Groschen. Gemeinsam mit der türkischen Ethnologiestudentin Leyla (Sibel Kekilli in ihrer ersten größeren Rolle seit „Gegen die Wand“), die ihm bei den Verhandlungen als Übersetzerin beisteht, reist er nach Afrika, um sein Geld zurückzuholen. Es wird eine Reise ohne Wiederkehr.
Leider verliert der Film viel von seiner Wucht, wenn das ungleiche Gespann in Kenia eintrifft. Andererseits ist auch dies Teil der Geschichte, weil Brenninger dank der zwar fragil wirkenden, gleichzeitig aber willensstarken Türkin endlich zur Ruhe kommt. Der Berserker erscheint nun buchstäblich in völlig anderem Licht. Bella Halben, Steinbichlers Stammkamerafrau, deren eigenwillige Bildgestaltung auch sein sehenswertes TV-Debüt „Bella Block: Mord unterm Kreuz“ prägte, taucht das winterliche Bayern in ein tristes Licht; Leylas gelber Regenmantel ist bei weitem der einzige Farbfleck. Im sonnendurchfluteten Kenia aber gehen die Bilder regelrecht auf, wie Knospen in der Frühlingssonne; und Brenningers Passionsgeschichte findet endlich ihr friedliches Ende. (Text-Stand: 30.4.2009)