Wilsberg – Die Nadel im Müllhaufen

Lansink, Korittke, Kanis, Klink, Neuwöhner/Geb, Enlen. Hommage an die Müllmänner

Foto: ZDF / Thomas Kost
Foto Tilmann P. Gangloff

Die sechzigste „Wilsberg”-Episode hält, was der Wortspieltitel verspricht: „Die Nadel im Müllhaufen“ (ZDF / Warner Bros.) von Martin Enlen ist eine amüsante Krimikomödie mit einigen Anspielungen und viel Augenzwinkern. Die Geschichte ist auf den ersten Blick nicht weiter ungewöhnlich: Eine Frau bittet den Privatdetektiv, nach ihrem verschwundenen Ex zu suchen. Der Mann hat bei der Müllabfuhr gearbeitet, und je tiefer Wilsberg im Müll wühlt, umso mehr Unrat fördert er zutage. Die besten Dialogzeilen hat Overbeck, der überzeugt ist, die Müllmafia habe Münster fest im Griff und wolle ihn aus dem Weg räumen. Und für Ekki geht ein Kindheitstraum in Erfüllung: „Undercover“ heuert er bei der Müllabfuhr an.

„Wilsberg“ ist ein Phänomen: Während rundherum seit Jahren die Quoten bröckeln, weil es immer mehr Sender und nun auch noch Streamingdienste wie Netflix und Amazon gibt, haben die Filme über den zerknautschten Privatdetektiv aus Münster mehr Zuschauer als je zuvor; zuletzt wurde erstmals die Acht-Millionen-Marke übersprungen. Mit regelmäßig über zehn Prozent Marktanteil beim jungen Publikum haben die entspannten Krimis zudem auch in einer Zielgruppe Erfolg, die sich vom klassischen Fernsehen angeblich längst abgewendet hat. Das ist natürlich kein Zufall, wie auch Folge Nummer sechzig mit dem schönen Titel „Die Nadel im Müllhaufen“ belegt. Der Film ist innerhalb der Reihe gar nicht mal hochklassig, aber er entspricht einem Standard, der das Ergebnis eines fast 25 Jahre währenden Prozesses ist; und das gilt nicht nur für das fünfköpfige Ensemble, dem selbst nach so vielen Jahren keine Abnutzungserscheinungen anzusehen sind. Bestes Beispiel für die amüsierte Grundhaltung, mit der die Krimis entstehen, ist diesmal der Abspann mit der berühmten Titelmelodie aus Francis Ford Coppolas Mafia-Klassiker „Der Pate“; Kriminaloberkommissar Overbeck (Roland Jankowsky) war ohnehin die ganze Zeit überzeugt, die Mafia habe ihre Finger im Spiel. Aber der Reihe nach: Eine Frau bittet den Privatdetektiv (Leonard Lansink), ihren Ex-Gatten zu suchen. Er arbeitete bei der Müllabfuhr und war einer „üblen Schweinerei“ auf der Spur, wie er ihr geschrieben hat; kurz drauf wird er tot in einem Müllcontainer gefunden. Weil in seiner Mitteilung von „der Familie“ die Rede ist, zählt Overbeck eins und eins zusammen: Müll plus Familie gleich Mafia. In der Tat kommt Wilsberg dank tätiger Mithilfe von Kumpel Ekki (Oliver Korittke) einem Verbrechen auf die Spur, das durchaus die Bezeichnung „üble Schweinerei“ verdient hätte, aber die Botschaft des Ex-Manns hat einen anderen Hintergrund.

Wilsberg – Die Nadel im MüllhaufenFoto: ZDF / Thomas Kost
Nicht nur für Micha (Daniel Christensen) ist der Vater von Elena (Anne Kanis) ein Bonze. Die Ex-Frau des toten Müllmanns ist zur radikalen Aussteigerin geworden.

Es hat in letzter Zeit deutlich ungewöhnlichere „Wilsberg“-Themen gegeben; gerade im Vergleich mit der im Frühjahr ausgestrahlten Episode „Prognose Mord“, in der es um „Big Data“ und die Vorhersage von Verbrechen ging, erzählt „Die Nadel im Müllhaufen“ auf den ersten Blick eine ganz normale Krimihandlung. Der Reiz liegt darin, wie diese Geschichte erzählt wird. Als erstes sorgt Wilsberg dafür, dass sich der verblüffte Ekki im Rahmen einer Resozialisierungsmaßnahme als entlassener Häftling bei der Müllabfuhr wiederfindet. Immerhin erfüllt er dem braven Finanzbeamten auf diese Weise einen Kindheitstraum, und weil die Bilder von den „Königen der Straße“ leitmotivisch mit einem rockigen Song von ZZ Top unterlegt sind, wirkt der Job in der Tat ziemlich cool; so gesehen ist der Film auch eine Verbeugung vor den Müllmännern. Ekki empfindet eine kindliche Freude an seiner neuen Rolle, und er spielt den vermeintlichen Schwerverbrecher gleichzeitig derart überzeugend, dass ihn Schichtführer Klaschka (Timo Jacobs) prompt zu einem krummen Ding einlädt.

Das Drehbuch schrieben Duo Sönke Lars Neuwöhner und Natalia Geb, Regie führte Martin Enlen; von dem Trio stammt auch die ungewohnt ernste „Wilsberg“-Folge „Kein Weg zurück“ (2015). Diesmal signalisiert schon das Titelwortspiel eine gewisse Unbeschwertheit. Es gibt zwar die üblichen Spannungsszenen, wenn Wilsberg wieder mal irgendwo rumschnüffelt, jeden Moment entdeckt werden kann und bei einer dieser Gelegenheiten beinahe unter einem Müllsack erstickt, aber die Grundstimmung des Films ist gerade auch dank der amüsanten Dialoge eher heiter: weil der gegen Ironie immune Overbeck seine Chefin Anna Springer (Rita Russek) mit ständigen Hinweisen auf die Mafia nervt („Wer sich mit der Mafia ins Bett legt, wacht mit einem Pferdekopf wieder auf“) oder weil Anna und Ekki trotz jahrelanger leidvoller Erfahrung immer wieder auf Wilsbergs kleine Tricks reinfallen. Keine Witzfigur ist dagegen die Frau, die alles ins Rollen bringt: Elena, die Ex-Gattin des toten Müllmanns, ist eine radikale Aussteigerin, die von weggeworfenen Lebensmitteln lebt und sämtlichen Repräsentanten der Staatsmacht mit tiefem Misstrauen begegnet. Alle anderen sparen zwar nicht mit Seitenhieben auf diese Frau, aber der Film macht sich nie über sie lustig, im Gegenteil: Anne Kanis versieht die von ihrer Familie verstoßene sanfte Elena zwar mit einer anrührenden Fragilität, verkörpert sie aber gleichzeitig würdevoll als Persönlichkeit mit konsumkritischen Prinzipien. Auch das ist neben dem Verzicht auf plakative Gewalt ein sympathisches „Wilsberg“-Merkmal: Figuren werden nur dann der Lächerlichkeit preisgegeben, wenn sie es nicht anders verdient haben. Die Frauen kommen in dieser Geschichte (wenn auch mit einer Ausnahme) ohnehin gut weg. Für Alex (Ina Paule Klink), aushilfsweise bei „Münster Müll“ Pressesprecherin, Personalleiterin und Rechtsbeistand in einer Person, gilt das ohnehin, aber auch ihre Chefin Isabell (Genija Rykova) ist nicht unsympathisch. Von den illegalen Nebengeschäften ihres Angestellten Klaschka weiß sie zwar nichts, aber das hindert Overbeck nicht daran, sie als regionale Repräsentantin der Mafia zu betrachten. Deshalb hat er immer wieder Albträume, in denen Isabell ihn ermorden will. Enlen inszeniert diese Nachtmahre mit Augenzwinkern: Wenn der Kommissar von Müllcontainern zerquetscht zu werden droht, erinnert das unübersehbar an Abenteuerfilme, in denen der Held in einer Gruft festsitzt, deren Wände immer näher rücken. „Wilsberg“-Fans, die auf das Stichwort „Bielefeld“ warten, werden gleich doppelt belohnt: mit einem Hinweisschild in einer Kneipe und mit einem Epilog, der Overbeck große Befriedigung verschaffen würde.

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Reihe

ZDF

Mit Leonard Lansink, Oliver Korittke, Anne Kanis, Ina Paule Klink, Rita Russek, Roland Jankowsky, Genija Rykova, Daniel Christensen, Julika Jenkins

Kamera: Philipp Timme

Szenenbild: Oliver Mugalu

Kostüm: Sonia Bouabsa

Schnitt: Monika Abspacher-Uhlmann

Musik: Martin Unterberger

Soundtrack: Stretch („Why Did You Do It?”, Titelsong), ZZ Top („La Grange“), Nino Rota (Titelmelodie „Der Pate“)

Redaktion: Martin R. Neumann

Produktionsfirma: Warner Bros. ITVP Deutschland

Produktion: Anton Moho, Sabine de Mardt

Drehbuch: Sönke Lars Neuwöhner, Natalia Geb

Regie: Martin Enlen

Quote: 6,54 Mio. Zuschauer (25,7% MA); Wh. (2021): 6,56 Mio. (20,9% MA)

EA: 08.09.2018 20:15 Uhr | ZDF

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