Eine Home-Story bei den Honeckers im chilenischen Exil
Ein junger Kellner aus Frankfurt/Oder träumt in der Nach-Wendezeit von einer Karriere als Journalist. Johann Rummel (Max Bretschneider) ist ein cleveres Kerlchen, schlawinert sich – natürlich als Kellner verkleidet – mit seinem fotografierenden Kumpel Maik (Max Mauff) in die Garderobe von Prominenten. Doch das Selfie mit Heino, gespielt von Heino, ist noch keine Story. „Heino in Unterhosen, das wäre eine Story“, erklärt die erfahrene Reporterin „Schnelle Elke“ (Suzanne von Borsody). Johann Rummel hat eine bessere Idee: ein Interview mit Erich Honecker, der gerade in der chilenischen Botschaft in Moskau Zuflucht gefunden hat. Johann schreibt einen Brief an den „lieben verehrten Genossen Erich Honecker“, erhält als Antwort eine Art Autogrammkarte („Vorwärts immer, rückwärts nimmer“) und wird tatsächlich später vom ehemaligen DDR-Staatschef und seiner Frau Margot im chilenischen Exil empfangen. Seine Home-Story bei den Honeckers wird zur Eintrittskarte für eine Zeitungskarriere. Der Clou: Der irre Plot ist nicht von einem Fantasie-begabten Drehbuch-Autor frei erfunden, sondern beruht auf einer wahren Geschichte, die „Bild“-Lesern bekannt vorkommen dürfte.
Foto: Degeto / Frederic Batier
Zweifelhafter Journalismus, aber ein großartiger Komödienstoff
Weder „Bild“ noch Mark Pittelkau, der Klarname des Reporters, werden freilich erwähnt, auch nicht im Abspann. Am Ende fährt die Kamera nur über einen Haufen Fotos, in dem sich die echten unter die fiktiven Aufnahmen mischen. Vielleicht fürchteten die Macher ein wenig den zweifelhaften Ruf von Deutschlands größter Boulevard- und Krawall-Zeitung. Und sich mit einer falschen Identität als vermeintlicher Jungkommunist „das letzte große Interview“ bei dem bereits todkranken Greis zu erschleichen, ist journalistisch ohne Zweifel grenzwertig, zumal der Ertrag abgesehen von einem voyeuristischen Blick in Honeckers Privatleben bescheiden war. „Mich ekelt das an“, schrieb Mats Schönauer bei Bildblog.de, als sich „Bild“ 2014 aus Anlass des 20. Todestages von Honecker mit einer Neu-Auflage von Pittelkaus Serie selbst feierte. Dessen damalige Methoden als Möchtegern-Reporter sind keine Ruhmestaten, aber ebenso gewiss ein großartiger Komödienstoff. Mit diesem Zwiespalt ringt der Film von Matthias Pacht (Buch) und Philipp Leinemann (Regie), der in seinen besten Szenen satirische Züge trägt. Pacht und Produzent Christian Rohde sprechen von einem „beeindruckenden Schelmenstück. Wir wollen dabei nicht beschönigen, aber auch nicht verurteilen“.
Soundtrack: u.a. R.E.M. („Shiny Happy People“), David Bowie („Space Oddity“ / „Modern Love“), Klaus Lage („1000 und 1 Nacht“), Nazareth („Dream On“), João Kurk („Time“); außerdem: die Nationalhymnen der UdSSR und der DDR sowie „Brüder zur Sonne zur Freiheit“
Foto: Degeto / Frederic Batier
Dem Unbedarften gelingt wider alle Wahrscheinlichkeit der große Coup
Johann Rummel ist eine ambivalente Figur: Einerseits ein hartnäckiger, einfallsreicher, stets optimistischer junger Mann, der andererseits unerklärlich naiv und begriffsstutzig sein kann. Max Bretschneider knipst dazu sein strahlendes Lächeln je nach Bedarf an und aus. Der etwas plumpe Charme ist vermutlich bewusst gewählt, denn „Willkommen bei den Honeckers“ gewinnt seinen genrebedingten Spaß auch dadurch, dass hier einem Unbedarften wider alle Wahrscheinlichkeit der große Coup gelingt. Johann und Maik gehen manchmal entsprechend tollpatschig vor: Den Kontakt zu Honeckers Arzt Krozowski (Thomas Thieme) suchen sie an einem FKK-Strand – allerdings haben sie nicht mitbekommen, dass hier Nacktbaden nicht mehr gestattet ist. Die Altkommunisten werden mit den Mitteln der Situationskomödie karikiert. „Nenn mich nie wieder Genosse, du Spinner“, bellt Krozowski. Und Karl Eduard von Schnitzler (Bernd Stegemann), der legendäre DDR-TV-Moderator des „Schwarzen Kanals“, fürchtet die Nachbarn, wenn Johann & Maik lauthals die Internationale anstimmen.
Die DDR ist schon Geschichte, aber durchaus noch präsent
Komisch ist auch die Szene auf der Post: Johann will dringend ein Paket abheben, gerät aber an einen extrem misstrauischen Beamten, den man sich vor wenigen Jahren noch gut in einer anderen Funktion und in einem anderen Ministerium vorstellen kann. Vieles hat hier mal beiläufig, mal offenkundiger eine Bedeutung als ernsthaftes Zeit- und Stimmungsbild, natürlich auch Ausstattung und Szenenbild (beispielhaft: die Bar, in der Johann und Maik arbeiten). Auf die Musik-Auswahl mit David Bowies „Space Oddity“ als wiederkehrendem Motiv trifft das nur bedingt zu. Die DDR ist zu Beginn der 1990er Jahre schon Geschichte, aber noch präsent; die Plattenbauten und alte Seilschaften existieren noch – ebenso wie die Furcht vor den Ex-Kadern (bei Johanns Mutter Susanne, gespielt von Inka Friedrich). Zugleich fällt den Menschen die Umstellung auf die neue Zeit schwer, die Konflikte zwischen Ossis und Wessis kündigen sich an. Vor einem Plattenbau steht ein ausgeschlachteter Trabi mit der gesprayten Aufschrift „Donnerstag ab zwei ist der Osten Wessi-frei.“ Und Maik ist eher der mutlose Typ, der schnell aufgibt und immer Bedenken hat – die Figur wirkt etwas klischeehaft wie der Ossi, der nicht dynamisch genug ist für die neue Zeit. Auch die Liebesgeschichte erfüllt nicht nur den Zweck romantischer Auflockerung. Der Bruder von Jenny (Cornelia Gröschel), Johanns hübscher Freundin, zählt zu den Mauer-Opfern. Dass Johann so scharf auf ein Treffen mit Honecker ist und sogar zur Tarnung einen Bund der Jungkommunisten gründet, kommt deshalb bei Jenny gar nicht gut an.
Foto: Degeto / Frederic Batier
Brambach als Honecker: ein Gespenst, Mitleid erregend, unverbesserlich
Nach einer knappen Stunde wechselt der Schauplatz, und der Film beginnt gewissermaßen mit seiner größten Herausforderung neu, denn die Honeckers sind schließlich als Figuren der Zeitgeschichte ein ganz besonderes Kaliber. Martin Brambach spielt Erich Honecker brillant: klapprig, zitternd, im Reden einschlafend. Ein Gespenst, Mitleid erregend, unverbesserlich. Nicht weniger eindrucksvoll Johanna Gastdorf als überaus misstrauische Margot Honecker, die buchstäblich die Augen weit offen hält und bei Bedarf Journalisten mit dem Gartenschlauch von der Mauer „schießt“ – auch diese Szene ist der Realität abgeschaut. Die Honeckers werden hier nicht, wie man befürchten könnte, zu albernen Witzfiguren. Aber ein Unbehagen über die allzu menschliche Darstellung des einst mächtigen DDR-Staatschefs und seiner ebenfalls für politische Verfolgung verantwortlichen Frau und Ex-Ministerin bleibt. Mit einem knappen Dialog halten Pacht und Leinemann dagegen. Jennys Mutter (Judith Engel), deren Sohn an der Mauer starb, fragt Johann nach der Rückkehr aus Chile: „Johann, wie war er?“ „Alt und sehr krank“, antwortet Johann. „Gut“, sagt sie erleichtert.
Journalismus in den 1990er Jahren: Analog und in Männerhand
Eine Komödie wie „Willkommen bei den Honeckers“ ist kein Ort für eine ausführliche Geschichtslektion, nicht einmal am „Tag der Deutschen Einheit“, an dem sie erstmals ausgestrahlt wird. Auch wiegen der unterhaltsame Aberwitz des Plots und das überzeugend skizzierte Zeitbild die Zweifel ein Stück weit auf, ob man eine reißerische Boulevard-Serie unbedingt als Primetime-Fernsehfilm „feiern“ muss. Zur Not kann man sich einfach an dem beachtlichen Ensemble erfreuen. Bei dem historischen Komödienstoff in kleinen Nebenrollen mitzuspielen, daran hatten einige Darsteller offenbar viel Spaß. Mišel Matičević und Godehard Giese sind die hemdsärmeligen Macher-Typen in den Redaktionen, einmal sitzt in einer winzigen Nebenrolle auch Ronald Zehrfeld dabei. Da wundert man sich nicht mehr, wenn Anneke Kim Sarnau als Redaktionssekretärin herein tänzelt und in der Männerrunde um Aufmerksamkeit heischt. Diese, emanzipatorisch betrachtet, nicht sehr vorbildliche Rollenverteilung spiegelt allerdings die Realität der analogen 1990er Jahre wider, in denen männliche Alpha-Tiere in den Chef-Etagen des Journalismus das Sagen hatten. Und in denen noch folgende Dialoge möglich waren: „Das muss in die Chefredaktion, noch heute.“ „Nach Berlin?“ „Ja.“ „Wie denn?“ Antwort nach einem Blick auf die Uhr: „Taxi“.