Die Zwillingsschwestern Isa und Doreen aus Döbeln bei Leipzig sind unzertrennlich. Im Sport wie im Leben. Für ihre Leistungen im Rudern werden sie 1988 mit Ferien im Pionierlager am Balaton-See in Ungarn belohnt. Danach soll es für die beiden Nachwuchshoffnungen der DDR nach Berlin gehen, ins Internat. Als sie nach der Ankunft in Ungarn den Bus verpassen und zu Fuß unterwegs sind, werden sie von zwei jungen Männern aus Hamburg im VW-Käfer mitgenommen. Eine Begegnung mit Folgen: Doreen und Arne verlieben sich. Plötzlich ist alles in Frage gestellt, die Zukunft in der DDR, die Gemeinsamkeit der Schwestern.
Sonnenschein und warme Sommerfarben, verträumte Gitarrenmusik, die ungelenke Annäherung von jungen Männern und Frauen, zarte Erotik in kurzen Hosen und Badeanzügen – der Film beginnt in schönster Ferienlager-Idylle. Und als liebevolle Reminiszenz der 80er Jahre. Wunderbar die Ausstattungs-Details, die knallbunten West- und die piefigen Ost-Klamotten. Das Parfüm der West-Yuppies („Cool Water“), die Schminke der Mädchen aus dem Osten. Deutschland trifft sich in der Disco, die einen sagen Strohhalm, die anderen Trinkröllchen. Aber die Musik verbindet. Auch wenn Depeche Mode, The Cure und die Pet Shop Boys in Döbeln „nur bei Westwind“ zu hören sind. So schlecht klangen die Achtziger doch nicht! Und als Liebesbeweis bekommt Doreen ein Mixed-Tape von Arne.
Die politische Situation ist lange Zeit kein großes Thema. Gut, die beiden Frauen dürfen sich nicht erwischen lassen, aber hier in Ungarn trennt keine Mauer Ost und West, sondern nur ein unbewachter Zaun, über den sich leicht klettern lässt. Und mit einem Loch, durch das sich Zärtlichkeiten und Küsse tauschen lassen. Ein Bild, das aufgeladen ist durch die historischen Ereignisse wenig später: Denn zuerst erhielt der „Eiserne Vorhang“ in Ungarn Löcher, die Bilder der Außenminister Ungarns und Österreichs, die ein Stück Grenzzaun herausschnitten, gingen im Juni 1989 um die Welt.
Friederike Becht und Franz Dinda spielen das junge Liebespaar ganz hinreißend. Große Gefühle, auch zwischen den beiden Schwestern. Becht und Luise Heyer als Isa sind in ihren ersten Hauptrollen eine Entdeckung, ganz ungekünstelt wirkt die Innigkeit zwischen den Frauen, umso glaubwürdiger der schmerzhafte Prozess der Trennung. Arne will Doreen überreden, sich gemeinsam mit Isa über die Grenze nach Hamburg schmuggeln zu lassen. Die deutsch-deutsche Wirklichkeit als unauflösbares persönliches Drama, ohne ideologisch vordergründige Botschaften. Kein Klischee eines Stasi-Agenten turnt durchs Ferien-Lager, nur zwei überaus brave junge Betreuer werfen ein Auge auf die hübschen Schwestern. Und ihr Trainer schlägt sich am Ende auf die menschenfreundliche Seite.
Der dritte Film von Robert Thalheim (nach „Netto“ und „Am Ende kommen Touristen“) beruht auf der von Produzentin und Co-Autorin Susann Schimk selbst erlebten Geschichte. Allerdings waren Schimk und ihre Schwester Handballerinnen, die „Versetzung“ der Filmfiguren in einen Ruder-Zweier ergibt zweifellos ein stärkeres Bild. Gedreht wurde in dem Pionierlager, in dem die Schwestern damals tatsächlich ihre Sommerferien verbrachten. Thalheim verzichtet auf dramatisierende Kniffe, etwa auf deutsch-deutsche Flucht-Action. Hier wird, sieht man mal von den Liebes-Treffen am Zaun ab, nichts künstlich überhöht. „Westwind“ bleibt bei seiner Geschichte, vertraut seinen Figuren. Das wirkt zwar in seiner ganzen Ferienlager-Romantik mit dem heutigen Wissen etwas naiv, aber noch ein Jahr vor dem Mauerfall erschien das Ende der DDR und der deutsch-deutschen Teilung undenkbar. Auch daran erinnert der stimmige Film mit seiner sommerlichen, nostalgisch angehauchten Leichtigkeit.