Die Handlung klingt nach einem (Kitsch-)Melodram erster Güte, aber Drehbuch und Regie sind ausgesprochen behutsam mit dem Stoff umgegangen. Auch die Schauspieler haben einen großen Anteil daran, dass die Geschichte zwar berührt, aber nie penetrant auf die Tränendrüse drückt. Dabei lässt schon der Titel das Schlimmste erwarten. „Wer liebt, lässt los“: Das klingt nach Abschied für immer. Aber es kommt ganz anders in diesem ZDF-Sonntagsfilm.
Der Film beginnt mit einer familiären Idylle: Sportjournalist Stephan (Pasquale Aleardi) und Licht-Designerin Luise (Ursula Karven) führen eine vorbildliche Ehe. Anstrengend ist allein der pubertierende Sohn, Johnny (Markus Quentin), ansonsten aber ist am Vorabend von Stephans alljährlichem Skiausflug mit seinen Freunden alles in bester Ordnung. Als Stephan in den Schweizer Bergen einer verunglückten Snowboarderin zu Hilfe kommen will, ändert sich sein Leben schlagartig: Er stürzt ab und fällt ins Koma. Als er endlich wieder erwacht, ist er ein Anderer geworden. Auch wenn er und die Frau nur wenige Momente gemeinsam verbracht haben: Dieses extreme Erlebnis war von einer derartigen Intensität, dass es die beiden Menschen stärker zusammengeschweißt hat als die 14 Jahre Ehe mit Luise.
Es ist nicht leicht, eine Nahtod-Erfahrung sichtbar zu machen, wenn man religiösen Kitsch oder filmische Klischees vermeiden will. Regisseurin Judith Kennel, bekannt durch die ausschließlich von ihr inszenierte ZDF-Krimireihe „Unter anderen Umständen“, verlässt sich auf die Kraft der Dialoge. Stephan stilisiert die Frau zur Lichtgestalt. Ganz entscheidend für das Verständnis seiner Liebe ist daher die Figur des Krankenhausseelsorgers, den Marcus Mittermeier mit angemessenem Ernst und einer gewissen Beharrlichkeit versieht. Er fungiert quasi als Vermittler zwischen der abstrakten Position Stephans und Luises nachvollziehbarem Wechselbad der Gefühle aus Verwirrung, Empörung und Verzweiflung: Erst bangt sie um das Leben ihres Mannes, dann muss sie ausgerechnet in der Phase der Erleichterung einen weiteren Schicksalsschlag verkraften. Ähnlich wichtig für die dramaturgische Balance des Films ist Gaby Dohm als Stephans resolute Mutter. Sie ist der pragmatische Gegenentwurf zum Seelsorger, der naturgemäß offen für spirituelle Erfahrungen ist.
Sämtliche Darsteller spielen ihre Rollen mit großer Glaubwürdigkeit, was ganz entscheidend dazu beiträgt, dass man bereit ist, der Geschichte zu folgen. Klug war es zudem, Patrizia (Christina Hecke), die neue Frau in Stephans Leben, konsequent als Randfigur praktisch ohne Dialog zu inszenieren; wie soll man auch eine Lichtgestalt verkörpern? Details wie die Uhr, die Stephan einst vom verstorbenen Vater geerbt hat und die er schließlich als Metapher für sein altes Leben Luise überlässt, tragen ebenfalls dazu bei, das Schicksal aller Beteiligten nachvollziehbar zu gestalten. Handlungsergänzungen wie Luises Ärger am Arbeitsplatz oder die Probleme mit Johnny sorgen außerdem immer wieder für realistische Anknüpfungspunkte. Ein ungewöhnlicher Stoff und ein gerade für diesen Sendeplatz ungewöhnlicher Film, der es seinem Publikum nicht leicht machen will.