Endlich weiße Weihnachten! Die Reisenden und das Personal auf einem eingeschneiten Flughafen sind jedoch so gar nicht glücklich darüber. Auf zugigen Terminals, in Notunterkünften, im Sicherheitsbereich oder im sterilen Flughafenhotel den Heiligabend abzusitzen, das wird für einige Paare zum Alptraum – und für andere zumindest unvergesslich bleiben. Während draußen der Schneesturm wütet, liegen drinnen die Nerven blank. Gerade ist Martin (Max von Pufendorf) dabei, seine Geliebte Eva (Lisa Bitter) zu verabschieden, da wird er freudestrahlend von seiner Frau Katharina (Meike Droste) begrüßt. Die Klostermanns, sie (Elena Uhlig) polternde Domina, er (Michael Lott) ein Ehemann von der ganz traurigen Gestalt, befinden sich im Dauerstress. Rentner Karl Höfer (Ernst Stötzner) geht es auch nicht gut; sterbenskrank sein und das auch noch vor der Ehefrau (Ruth Reinecke) verheimlichen, das kostet doppelt Kraft. Und die schwangere Anja (Sarina Radomski) verkauft zwar auf dem Flughafenweihnachtsmarkt Lebkuchenherzen, aber zum Herzen ihres Freundes Sebastian (Tim Kalkhof) findet sie keinen Zugang. Ein Schulfreund (Daniel Donskoy) auf der Durchreise verschlimmert eher noch die Situation. Überall niedergeschlagene Gesichter. Selbst der Flughafen-Weihnachtsmann (Henning Baum) macht da keine Ausnahme, und auch das Christkind (Xenia Tiling) ergeht sich ob des falschen Weihnachts-Tamtam in Sarkasmus.
Es scheint eine besondere Art von höherer Gewalt zu sein, die die Menschen in der Weihnachtsdramödie „Wenn das fünfte Lichtlein brennt“ zum Innehalten zwingt. Autor Arndt Stüwe („Leo und Marie – Eine Weihnachtsliebe“) hat eine clevere, also eher unhimmlische Versuchsanordnung geschaffen. Nicht nur der Wechsel zwischen den erzählten Beziehungen ist bestens austariert. Geheimnisse wie der Gehirntumor des älteren Herren werden knapp, knackig und in diesem speziellen Fall schön schräg dem Zuschauer präsentiert. Dazu ein depressiver Weihnachtsmann und ein zynisches Christkind – das weckt die Erwartungen jener Zuschauer*innen, die die klebrigen Weihnachtsschmonzetten satthaben. Indem Stüwe ein ganzes Füllhorn an alltäglichen Problemen ausschüttet, wird der Eindruck verhindert, es nur mit Banalitäten und emotionalen Stereotypen zu tun zu haben. Jede der Geschichten erzählt von einer Krise, und obwohl sie nicht vertieft werden (was bei 90 Minuten schwer machbar ist), hat man das Gefühl, dass die narrative Essenz ausreichend ist. Das liegt mit an der flinken Rotation der Beziehungsepisoden. So kann man Szenen immer wieder selbst zu Ende denken oder zumindest weiterfühlen – und eine gewisse Spannung für den Handlungsverlauf mitnehmen. Bisweilen wirken die Szenenunterbrechungen sogar wie kleine Cliffhanger.
Keine Angst, dieses ausgefeilte dramaturgische Konzept bleibt dem normalen Zuschauerblick verborgen; es funktioniert einfach zu gut. „Wenn das fünfte Lichtlein brennt“, diese Dramedy von Stefan Bühling („Das Wichtigste im Leben“ / „Rübezahls Schatz“), hat bei allen von den Figuren formulierten Vorbehalten gegenüber Weihnachten auch viele warmherzige, berührende Momente. Ein Film, der am 24. Dezember spielt, kommt ohne das Motiv einer (wenn auch nicht unmittelbaren) Geburt nicht aus. Und was ist das Pendant zu neuem Leben in einem Film, der ein einziges Kommen und Gehen ist? Solchen hochemotionalen Augen-Blicken kann auch das konsumfreudige Glitzerkostüm eines seelenlosen Flughafens nichts anhaben. Im Gegenteil. Gerade hinter diesen öffentlichen Hochglanz-Bildern eines christlichen Festes lassen sich private Geheimnisse lösungsorientiert lüften und eheliche Scheinheiligkeiten schön doppelsinnig aufdecken. Weihnachten, von vielen heruntergespielt in seiner Bedeutung, von der Mehrzahl der Menschen aber als das Familienfest der Feste mit Sehnsüchten und Erwartungen aufgepumpt, wird als eben dieses gesellschaftliche Ritual in diesem vielleicht besten Weihnachtsfilm der letzten Jahre mitreflektiert. Im Rahmen der Erzählung ist Weihnachten zugleich Katalysator für die unausgesprochenen Probleme zwischen Menschen und denen, die ihr eigentlich am nächsten stehen. Mit Botschaften hält sich der Film zurück. Mal den Mund aufmachen kann helfen. Die filmisch reizvolleren Varianten sind allerdings beherzte Griffe in die Mini-Bar oder ein mehrdeutiger Blick. Und manchmal kann es schon genügen, wenn sich zwei Hände zaghaft kurz berühren.
Schnellschuss-Happyends gibt es jedenfalls nicht in „Wenn das fünfte Lichtlein brennt“. Ohnehin verabschiedet sich hier jeder zu seiner Zeit. Manche Probleme lassen sich einfach schneller lösen als andere. Dennoch ist diese ARD-„Endlich Freitag“-Produktion der Kölner Bantry Bay ein klassischer Ensemblefilm. Gerade wenn man neben der Konfliktsituation nicht allzu viel mehr weiß über die Figuren, ist es an den Schauspielern, ihren Rollen ein Stück weit mehr Leben und vor allem ein individuelles Gesicht zu geben, das sich von der skizzenhaft gezeichneten Kampfzone emanzipiert. Mit Henning Baum, Lisa Bitter oder Meike Droste könnte man es – wohl auch in ihren Rollen – in diesem Flughafenknast gut aushalten, beim Treffen mit dem köstlich kodderschnauzigen Christkind, gespielt von Xenia Tiling („Servus Baby“ / „Polizeiruf 110 – Der Ort, von dem die Wolken kommen“), müsste man sich zwar besonders warm anziehen, dafür wäre aber der Unterhaltungswert sicherlich umso höher. Dagegen müssen Elena Uhlig und Michael Lott zwei eher undankbare Rollen verkörpern: ein Ehepaar, das sich schon längst hätte trennen müssen – und beide spielen es auch so, dass man auf einen gemeinsamen Drink mit ihnen in der Airport-Bar gerne verzichten würde. Alle anderen, Stötzner, Reinecke, von Pufendorf, Stahlberg Donskoy, Kalkhof und Radomski, machen ihre Sache rollenadäquat gut. Mit denen ein Glühwein, das muss auch nicht sein.
Soundtrack: Dean Martin („Winter Wonderland“), Bobby Helms („Jingle Bell Rock“), Chris Rea („Driving Home To Christmas“), Paul McCartney („Wonderful Christmastime“), Pentatonix („Carol of the Bells“, „Little Drummer Boy“), Diana Krall (Have Yourself A Merry Little Christmas“)
Dramaturgie und Schauspieler sind bei einem solchen Ensemblefilm die halbe Miete. Die andere Hälfte muss die Regie beisteuern. Auch Stefan Bühling und seine Gewerke machen eine vorzügliche Arbeit. Die Einheit von Ort, Zeit und Handlung gibt einen flotten Erzählfluss vor, da es zeitgleich etwa fünf bis sechs Handlungsorte gibt, die für sich genommen flexibel sind und ständig miteinander verbunden werden müssen. Aber auch die Szenen selbst sind klar strukturiert und der Blick des Zuschauers wird geführt von einer moderat beweglichen Kamera (Marco Uggiano). Trotz harter Schnitte zwischen den kurzen Beziehungssequenzen wirken die Übergänge fließend (Schnitt: Clare Dowling). Denn auch in der Erzählung beherrscht Das Verbindende die Szenerie: Es ist Heiligabend, alle wollen nach Hause, alle sitzen am Flughafen fest, alle sind unzufrieden. Von der ersten Minute an ist man als Zuschauer drinnen in diesen Geschichten. Auf den Großbildschirmen sieht man als Zuschauer die Winterchaos-, Unfall- und Staumeldungen. Man ahnt, was kommen könnte. Man sieht, dass die Menschen nichts sehen. Jeder bewegt sich in seiner kleinen Welt, allein auf sich und seine unmittelbaren Probleme fixiert. Und damit sind wir auch schon mitten in der Geschichte. Unterhaltungsfilme mit einem so vorzüglichen Flow sind selten. Weihnachtsfilme ohne Zuckerguss mit so viel Wohlfühlmomenten wie nötig und so viel Realismus wie möglich gibt es auch nicht alle Jahre wieder. Die (satirisch angehauchten) Weihnachtsfilm-Klassiker „Single Bells“ (1998) und „Beste Bescherung“ (2013) haben endlich Konkurrenz bekommen. (Text-Stand: 15.11.2021)