Wendezeit

Petra Schmidt-Schaller, Thomsen, Steiner, Bohse. Atemberaubend unwahrscheinlich

Foto: RBB / ARD / Volker Roloff
Foto Thomas Gehringer

Noch ein Spionagethriller aus dem geteilten Deutschland im Kalten Krieg, hier mal aus der Perspektive aufgescheuchter Agenten einer todgeweihten DDR: In „Wendezeit“ (ARD / Moovie) spielt Petra Schmidt-Schaller eine Stasi-Agentin bei der CIA in Berlin, die kurz vor dem Mauerfall aufzufliegen droht. Die reale Jagd um die Rosenholz-Dateien – Mikrofilme, die alle Klarnamen der DDR-Spione im Westen enthielten – wird als zweistündiges Genrestück erzählt, das ein privates Familiendrama in die (nicht übermäßig überzeugende) Agenten-Action mischt. Interessant sind die Konflikte der Hauptfigur, einer Spionin, die der untergehenden DDR dient und im Westen eine Familie gegründet hat. Ihr berufliches und privates Doppelleben sorgt für Spannung und gedämpft inszenierte Emotion. „Wendezeit“ ist nicht so knallbunt & temporeich wie „Deutschland 83“ und nicht so differenziert & vielfältig wie „Weißensee“. Aber für einen unterhaltsamen Fernsehabend mit einem sehenswerten Ensemble (Schmidt-Schaller, Thomsen, Hunger-Bühler, Beyer, Rausch) reicht‘s allemal.

Doppelagentin Saskia Starke (Petra Schmidt-Schaller) muss gleich zu Beginn hohes Risiko gehen. CIA-Arbeitskollegin Betsy Jordan (Nina Rausch) erzählt ihr bei der Geburtstagsparty von Saskias Mann Richard (Harald Schrott), dass US-Agenten unterwegs seien, um einen Überläufer aus Ost-Berlin zu holen, der von einem Maulwurf im Team des amerikanischen Geheimdienstes weiß. Also von ihr, wie Saskia vermutet. Sie täuscht Übelkeit und Migräne vor, geht vermeintlich zu Bett, begibt sich, getarnt mit Perücke, über den Checkpoint Charlie in den Ost-Teil der Stadt zu einem alten Stasi-Bekannten (Marc Hosemann), überholt dabei erstaunlicherweise zu Fuß die US-Agenten im Auto und erschießt schließlich den Verräter im Kampf, wenn auch eher aus Notwehr als aus kühler Berechnung. Wieder zurück in der schmucken West-Berliner Villa, hat niemand ihre stundenlange Abwesenheit bemerkt, auch nicht der ansonsten durchaus liebevolle Ehemann. Im Badezimmer näht Saskia dann die bei dem Kampf davongetragene Schnittverletzung am Bauch mit Nadel und Faden selbst. Ganz schön cool, diese Agentin. Aber auch ganz schön haarsträubend konstruiert.

WendezeitFoto: RBB / ARD / Volker Roloff
Saskia Starkes Tochter Hannah (Lilly Barshy) hat sich in Ost-Berlin in Gefahr gebracht, Saskia (Schmidt-Schaller) und ihr Mann (Harald Schrott) sind besorgt.

Nun gehören atemberaubend unwahrscheinliche Abenteuer zum Genre dazu, doch das gelingt umso wirkungsvoller, wenn das Agenten-Handwerk ernst genommen und möglichst genau erzählt wird, wie das Unwahrscheinliche doch gelingt. Davon kann hier keine Rede sein, Drehbuch und Regie interessieren sich weniger für ausgeklügelte Pläne (erst am Ende ein bisschen) oder auch nur für die simple Frage, wie man ein mit Partygästen gefülltes Haus unbemerkt verlässt – und wieder hineinfindet. Ansonsten will „Wendezeit“ durchaus ernst genommen werden. Auf die Verknüpfung der fiktionalen Handlung mit den realen Ereignissen zwischen Oktober 1989 und Jahresbeginn 1990 wird einiger Wert gelegt. Meistens geschieht das vergleichsweise dezent. Dann sieht man Agenten, die zunehmend besorgt auf Fernseh-Geräte blicken – und auf die Bilder von der Leipziger Demonstration am 4. Oktober, auf die Grenzöffnung am 9. November oder später von der Erstürmung der Stasi-Zentrale. Ineinander fließen Fiktion und Realität insbesondere am 4. November. Film-Figuren wurden offenbar in einige der Archivbilder von der großen Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz montiert. Das wirkt eher befremdlich als überzeugend, und wieso ein Geheimdienstchef wie Markus Wolf dort öffentlich auftreten und eine Rede halten kann, versteht wohl auch nur jemand, der sich noch an die historischen Zusammenhänge erinnert. Im übrigen sieht man Markus „Mischa“ Wolf, souverän gespielt von Robert Hunger-Bühler, als persönlichen Agentenführer bei einigen konspirativen Treffen mit Saskia. Der 2006 verstorbene Wolf wird hier als eine Mischung aus väterlicher Ersatzfigur und kühl berechnendem Geheimdienstprofi dargestellt. Die beste historische Pointe findet sich aber erst im Abspann. Dort heißt es, bis heute sei unklar, wo der Abschnitt La-Li der Rosenholz-Dateien geblieben sei. Das ist eine schöne Vorlage für die Fiktion, die nun mit „Wendezeit“ eine Erklärung zusammen fabuliert hat, denn Saskia Starke ist nur die zweite Identität von Tatjana Leschke.

WendezeitFoto: RBB / ARD / Volker Roloff
Saskia Starkes von der Stasi sorgsam arrangierte Scheinexistenz als CIA-Agentin droht, aufzufliegen. Stasi-Geheimdienstchef Markus Wolf (Robert Hunger-Bühler)

Im CIA-Büro, in dem nach dem Tod des potenziellen Überläufers nun die fieberhafte Suche nach dem Maulwurf beginnt, erzeugt Regisseur Sven Bohse („Ku’damm 56+59“) mit seinem ruhigen, unaufgeregten Stil auf subtile Weise eine ansehnliche Spannung. Das gegenseitige Misstrauen ist mit den Händen zu greifen, zudem muss Saskia einen Lügendetektor-Test überstehen. Hübsch die Idee, ihren „Probedurchgang“ beim Stasi-Training  vor 18 Jahren dagegen zu schneiden. Für den Part des Berliner CIA-Chefs Jeremy Redman wurde der dänische Schauspiel-Star Ulrich Thomsen („Das Fest“, „Das Erbe“) verpflichtet, was den internationalen Lizenzverkauf sicher fördern wird. Thomsen gibt den neuen Chef der Berliner CIA-Residentur mit unbeweglicher Miene und einem stets schwer zu deutenden Blick. Er übernimmt im Film wirkungsvoll die Funktion des unberechenbaren Jägers, während die sonstige CIA-Belegschaft bis auf die muntere Betsy ziemlich klischeehaft wirkt.

Insbesondere Hauptfigur Saskia mit ihren inneren und äußeren Kämpfen ist interessant und wird von Petra Schmidt-Schaller differenziert und wandlungsfähig verkörpert. Mit einigen Rückblenden wird ihre Vorgeschichte erzählt, etwa das Verhältnis zum strengen Vater (André Hennicke), einem sozialistischen Überzeugungstäter in Uniform. Ihr Ehemann war schon von der Stasi ausgesucht worden, ehe sie mit neuer Identität nach West-Berlin ging. Doch 18 Jahre später haben beide zwei heranwachsende Kinder, und sie wirken durchaus nicht wie ein Ehepaar, das sich total fremd geworden wäre. Der private Handlungsstrang nimmt im Film zunehmend Raum ein, ohne dass es unangemessen melodramatisch würde. Tochter Hannah (Lilly Barshy) büxt gerne mal mit ihrem Diplomatenkind-Pass nach Ost-Berlin aus, wo sie einen Freund in der Punkerszene hat. Das sieht vor allem Saskia nicht gerne: Ihre Sorge aufzufliegen und die Sorge um ihre Tochter gehen Hand in Hand. Und der eigentlich naive Gatte Richard wird dann doch mal misstrauisch. So mischt sich durchaus glaubhaft ein Familiendrama in den Agenten-Spaß und sorgt am Ende auch für eine hübsche Schlusspointe. Im letzten Drittel kommt aber noch mal mehr Thrill ins Spiel. Saskia will, nein: muss die Rosenholz-Mikrofilme als Erste erwischen. Das geht nur über Stasi-Oberst Henning (Alexander Beyer) und seine ideologisch wankelmütige Frau Heide (Milena Dreissig) sowie mit einem finalen, halbwegs logischen Plan. (Text-Stand: 12.9.2019)

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Fernsehfilm

ARD Degeto, rbb

Mit Petra Schmidt-Schaller, Ulrich Thomsen, Robert Hunger-Bühler, Harald Schrott, Alexander Beyer, Milena Dreissig, Lilly Barshy, André Hennicke, Nina Rausch, Marc Hosemann, Carsten Hayes, Niklas Schlenger, Artjom Gilz, Oskar Belton

Kamera: Michael Schreitel

Szenenbild: Axel Nocker

Kostümbild: Metin Misdik

Schnitt: Ronny Mattas

Musik: Fabian Römer

Redaktion: Kerstin Freels, Christine Strobl

Produktionsfirma: Moovie

Produktion: Oliver Berben, Heike Voßler

Drehbuch: Silke Steiner

Regie: Sven Bohse

Quote: 4,29 Mio. Zuschauer (15,1% MA)

EA: 02.10.2019 20:15 Uhr | ARD

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