Alle haben ihr Päckchen zu tragen und das Weingut steht mal wieder vor dem Aus
Die Waders haben sich zusammengerauft. Anders lässt sich das traditionsreiche Weingut auch nicht retten. Anne (Henriette Richter-Röhl), die Frau mit dem Winzer-Gen, ist die neue Chefin des Familienbetriebs. Ihr Bruder Matthias (Max von Pufendorf), ein leidenschaftlicher Gourmetkoch, der sich in der Pfalz reichlich unterfordert fühlt, träumt noch immer von einem eigenen Restaurant, obwohl er mit einer solchen Unternehmung in Hamburg Schiffbruch erlitten hatte. Und Mutter Käthe (Leslie Malton) muss ihre Rolle noch finden. Eine gute Winzerin jedenfalls ist sie nicht. Das weiß sie mittlerweile. Um das Weingut zu retten, das wegen eines Verdachts auf Steuerbetrug geschlossen werden musste, macht sie eine Selbstanzeige. Ihr seien die 9000 Liter wortwörtlich davongeflossen. Anne bedankt sich, dass Käthe sich „aufgeopfert“ habe, die aber strahlt nur: „Ich hab’s für mich getan.“ Was das wohl heißen mag bei ihr, die nach dem Tod ihres Mannes wieder aufgeblüht ist? Und wer ist dieser gutaussehende Franzose (Mathieu Delarive) in ihrem Schlepptau? Deutlich weniger Glück in der Liebe hat die Jüngste im Familienbunde: Tori (Caroline Hartig) macht Schluss mit ihrem Freund, sucht zunächst zu viel Nähe bei ihrem Hundetrainer (Tobias van Dieken) – und dann ihren unbekannten Vater. Die Lage in der anderen Wader-Familie ist deutlich angespannter. Nachdem Christel (Judith von Radetzky) das Familiengeheimnis, dass ihre Tochter das Kind des verstorbenen Bruders ist und nicht von ihrem Mann Bruno (Jürgen Heinrich), will sie auch unter ihre verlogene Ehe einen Schlussstrich ziehen. Da sie ihn auch aus dem Betrieb entlässt, steht der jahrelang so erfolgreiche Winzer vor dem Nichts. Aber Bruno wäre nicht Bruno, wenn er nicht schon wieder eine Idee hätte oder Intrigen spinnen würde.
Foto: Degeto / Frank Dicks
Ein Unglück kommt selten allein. Konventionelles Problemlösungs-TV von gestern
Nachdem „Die Erbschaft“ für einen Auftakt einer neuen Familienfilm-Reihe aus dem leichten Fach sehr angenehm überraschte und die zweite Episode, „Das Familiengeheimnis“, in konventionelleres Fahrwasser geriet, aber dennoch sehenswert blieb, ist „Weingut Wader“ – was die Geschichten und die Dramaturgie angeht – in den Filmen drei und vier dort abgekommen, wo zu viele ARD-Freitag-Reihen ihr Zuhause haben: im (Fernsehen von) Gestern. Da mag Anne Wader in „Neue Wege“ auch zeitgeisttypisch und sympathisch umdenken in Richtung Biowein-Produktion und ihr Widersacher Bruno geschäftstüchtig vormachen, wie Globalisierung den Ausverkauf der Heimat bedeuten kann – diese neuen Wege hätte man aber auch gern in der Machart wiedergefunden. Hatte man anfangs bei dieser Reihe noch den Eindruck, die Handlung ergebe sich vornehmlich aus den Charakteren und die Konflikte würden aus den Spannungen innerhalb der Familie hervorgehen, sieht das jetzt alles ganz anders aus: Die inneren Konflikte wirken behauptet, und deren Umsetzung in Handlung trägt zunehmend Züge einer Seifenoper, die irgendwo zwischen Alltagsproblematik und Schicksalshaftigkeit (die blinde Tori, ihr Vater ein Phantom, Affäre mit dem Bruder, ein Kuckuckskind) verortet ist. Wirkt der Plot um das Überleben von Familienbetrieben auch ein Stück weit realistisch, so entzieht die Narration unter dem nicht totzukriegenden Motto „Ein Unglück kommt selten allein“ dem Erzählten jegliche Relevanz: Da ist die Schließung des Weinguts, die mit sich allein gelassene blinde Tori, die Krise von Matthias‘, der beruflich stets nur Ablehnung erfährt, da ist der Kreide fressende und doch weiter intrigierende Bruno; sogar Gefährdung des Kindswohls, Missbrauchsvorwürfe gleich in doppelter Ausführung und der drohende Rauswurf aus dem Winzerverband kommen ins Spiel, ebenso wie die dramatische Suche nach dem „Erzeuger“, und selbst einer, der es gut meint wie Toris Hundetrainer, bekommt massive Probleme mit der sonst so umgänglichen Anne. Mehr Konflikt geht nicht! Und hat man dieses Prinzip erkannt, ist der Weg zur Langeweile nicht mehr weit.
Der Mensch verkommt zur Funktion. Allein die Fallhöhe bestimmt die Handlung
Fühlte sich der Kritiker beim Start von „Weingut Wader“ (11/2018) in seinem Text „Diese Waders“ noch an die Urmutter der ernsthaften Familienserien, „Diese Drombuschs“ erinnert, erkennt er jetzt nur noch wahllos angehäufte Probleme. Auch die TV-Familie um Witta Pohl hatte ihr Päckchen zu tragen, aber erkannte man dort immer auch den Menschen hinter den (realistischen) Katastrophen, ist es in der Winzer-Mär aus der Pfalz vor allem die Fallhöhe, die die Handlung bestimmt. Für die Psychohygiene sowohl der Heldin als auch des Zuschauers wird in den neuen Episoden eine Figur wie der anfangs so unbeschwerte Valentin schmerzlich vermisst. Dieser Kellermeister brachte die ehrgeizige Anne mal auf andere Gedanken – und Sebastian Fräsdorf gelegentlich einen anderen Ton in das nicht gerade weltbewegende Drama – machte es damit realitätsnäher, aber auch „erträglicher“. Die Ernsthaftigkeit, mit der hier Konfliktgeschichten erzählt werden, steht in keiner Relation zur stereotypen Erzählweise. Auch dadurch wirkt „Weingut Wader“ wie Fernsehen von gestern. Nimmt man dagegen die Reihe „Hotel Heidelberg“ – und wagt einen kühnen Vergleich dieser beiden Formate, dann schneidet der Dramödien-Genremix der Frier-Herbst-Hoger-Reihe weitaus besser ab. Hier spürt man mehr Alltag, und die kleinen Dinge des Lebens spielen hier nicht übergroß Schicksal. Wer dagegen Belanglosigkeiten zu ernst nimmt, wer sowohl den Menschen vor der Kamera als auch denen vor dem Bildschirm keinerlei (Selbst-)Ironie zugesteht – der blickt am Ende auf ein sich im Kreis drehendes Intrigantenstadl. Mal geht’s in die eine, mal in die andere Richtung – und am Ende gibt es eine urplötzliche 180-Grad-Wende zum Guten.
Foto: Degeto / Frank Dicks
Die Inszenierung kann sich sehen lassen. Richter-Röhl & Malton sind eine sichere Bank
Ist diese Winzer-Serie im Abgang auch leicht soapig, auf der Zunge schmeckt sie zunächst besser, ist gelegentlich – je nach der Gestimmtheit des Verkosters – sogar recht süffig. Will sagen: Das, was einem als erstes ins Auge sticht, die Besetzung und die Inszenierung, können sich sehen lassen. Tomy Wigand hat – dieses Mal mit Kameramann Diethard Prengel – auch die beiden neuen Winzer-Dramoletts in ein filmisch gefälliges Gewand gepackt. Manchmal werden Köpfe sehr groß ins Bild gerückt: Man sieht beispielsweise selbstvergessen sinnierend die Heldin im Vordergrund, wie sich ihr Blick sich in der Weite der Natur verliert. Zumindest physisch und emotional steht in solchen Einstellungen der Mensch im Mittelpunkt. Henriette Richter-Röhl glaubt man ihre Rolle ohnehin, sogar auf dem Traktor macht sie eine gute Figur und im Spielen von dramatisierten Belanglosigkeiten ist die sympathische, „Herzkino“- und Komödien-erfahrene Schauspielerin kaum zu schlagen. Auch Leslie Malton, deren Käthe für eine „Fortbildung“ in Sachen Sex und Lebenslust zwischenzeitlich im ersten neuen Film etwas abgetaucht ist, verkörpert ihre Frau um die 60 mit einem hübschen Anflug von Eigensinn und Unberechenbarkeit. Überzeugend in ihren Rollen sind auch Max von Pufendorf und Caroline Hartig als blinder Teenager. Allerdings ist die ihren Vater suchende Tori eine gewöhnungsbedürftige Figur. Wie simpel sie und ihr Nicht-sehen-können in den Dienst der Dramaturgie gestellt werden – das grenzt schon an Missbrauch. Mal belügt die Großmutter sie und nutzt dabei ihre Blindheit aus – wobei die Malton-Figur auch noch den Zuschauer zu ihrem Verbündeten macht. Ein weiteres Zeichen dafür, dass es in den Episoden „Nur zusammen sind wir stark“ und „Neue Wege“ weniger um Menschen geht, sondern mehr um die Funktionen, die sie für die Narration erfüllen. Und auch wenn Jürgen Heinrich die passende Physiognomie für die boshafte, cholerische Seite von Bruno Wader mitbringt, so ist doch dieser unermüdliche Intrigant, zu dessen Spiel zwischenzeitliche Läuterungssimulationen („Es tut mir leid…“) gehören, ein weiterer Link mehr in dramaturgisch vorgestrige Zeiten.