Schöne Bescherung! Statt friedlich-froher Weihnacht droht drei Halbschwestern ein Fest, bei dem die schmutzige Familienwäsche gewaschen wird. Denn Mitte Dezember verunglückt ihr Vater, Großbäcker Johann König (Peter Lerchbaumer), tödlich. Seine Person scheint das einzige zu sein, das die drei Grazien miteinander verbindet. Die älteste, Patisserie-Besitzerin Regina (Gesine Cukrowski), ist eine autoritäre Drama-Queen, Erzieherin Katarina (Elena Uhlig) ist dagegen eine warmherzige Frau mit sozialer Ader, und Nachzüglerin Diana (Felicitas Woll), die gerade ihre Bar in den Sand gesetzt hat, macht nicht ohne Grund auf cool und zynisch. Da es kein Testament gibt, aber die Bäckerei und die Bank, die dem Betrieb mächtig im Nacken sitzt, schnelle Entscheidungen erforderlich machen, steht der Anwalt und Nachlassverwalter (Tim Bergmann) mächtig unter Druck. Im Haus des Vaters, einen Tag vor Heiligabend, könnte er Glück haben… Doch die Schwestern halten nichts von ritueller Gefühlsduselei. Das hat auch etwas mit ihrer sehr speziellen Familiengeschichte zu tun. Der Vater hatte einen folgenschweren Hang zum Personal, was ihm vor allem seine eheliche Tochter Regina übelnimmt. Einst Papas Liebe teilen müssen und jetzt auch noch das Erbe?! Sie jedenfalls hofft auf die wertvollen Gemälde, die in der Villa versteckt sein sollen und von denen allein sie und ihr halbseidener Ehemann (Max von Pufendorf) etwas wissen. Lange Zeit sieht es nicht danach aus, als könnten sich die Schwestern einigen. Aber zum Glück gibt es noch einen Weihnachtsmann (Antonio Putignano), den die bertunkene Regina anfährt, und das stumme Waisenkind Amanda (Yuna), das nicht nur Katarina in ihr Herz geschlossen hat.
Die Vergangenheit dieser Familie findet zum großen Teil auf phantastische Weise Eingang in die Gegenwart. Immer wieder halten die Schwestern Zwiesprache mit dem toten Vater, den Peter Lerchbaumer sehr lebendig und launig verkörpert. Sie bekommen ihn einfach nicht aus dem Kopf. „Gehst du bitte weg“, fleht Katarina. „Meinst du mir gefällt es, in deinem Unterbewusstsein zu stecken?!“, kontert Vater Johann. Pointiert ist auch so mancher Dialog-Wechsel zwischen den Schwestern, allerdings verzichtet Silber erfreulicherweise darauf, jede verbale Spitze zu einem rhetorischen Kräftemessen werden zu lassen. Zwischenzeitlich beruhigt sich die Situation zwischen den Schwestern sogar. Dann werden Anekdoten erinnert (wer hat den Lippenstift mit Chilipulver bestäubt? dieser Großvater, „der Drecksack“!) und (Verlassens-)Ängste aus der Kindheit angedeutet. Man nimmt sich auch schon mal in den Arm, oder man rafft sich auf, zusammen den Tannenbaum zu schmücken. Vielleicht war doch nicht alles schlecht. Die Beziehungen aber bleiben fragil, und obwohl der Zuschauer häufig mehr weiß von den Geheimnissen und Absichten einiger Figuren als deren Gegenüber kann man lange nicht sicher sein, wie diese vorweihnachtlichen Stunden verlaufen werden. Erst als das stumme Waisenkind plötzlich redet und als sich Katarina, seine Betreuerin, liebevoll um jene Amanda kümmert, was anrührend, aber nicht rührselig wirkt, ist der Startschuss für mehr Nachsicht & guten Willen gefallen: Jetzt entdecken alle ihr inneres Kind. Zeitgleich fällt Schnee, der den Garten der Villa in ein Winterparadies verwandelt. Wenn das kein Zeichen ist!
Soundtrack: Bing Crosby („White Christmas“), Melody Gardot („Worrisome Heart“), The Jackson 5 („I Want You Back“), Dean Martin („Let It Snow“), Camille („Pour que l’amour me qui“), José Feliciano („Feliz Navidad“)
In „Weihnachtstöchter“ treffen sich Realismus und Märchen. Rolf Silber findet in seinem Drehbuch einen gangbaren Weg zwischen den realen Problemen, die in Familien herrschen (können), und der etwas naiven Wohlfühlfilm-Formel, die für solche Weihnachtsgeschichten obligatorisch ist. Warum er drei Frauen, ja nur Frauen, zu seinen Hauptfiguren macht, begründet er folgendermaßen: „Ich schreibe gerne Frauenfiguren, weil die oft ein tiefergehendes emotionales Universum und den Hang zu komplexen Reaktionen miteinander verbinden können.“ Männer würden sich wahrscheinlich sehr viel stärker auf den Erbstreit einlassen, der im Übrigen im Film bei zwei der Frauen irgendwann gar nicht mehr so eine wichtige Rolle spielt; sie haben Wichtigeres im Kopf. Aber auch unter Frauen muss nicht alles zwingend gut werden. Aber man kann das Leid, das nicht zu ändern ist, mal für ein paar Stunden vergessen. Diese Botschaft gilt für den Alltag der Familie König genauso wie für den Zuschauer. Und so strahlt das Schlussbild dann doch eine ungebrochene weihnachtliche Behaglichkeit aus. So viel an telegener Harmonie mit Weichzeichner, Kaminfeuer und „Stille Nacht“ hätte es aber gar nicht bedurft. Denn das romantische Sehnsuchtspotenzial eines solchen Films dürfte in Corona-Zeiten und ohne Weihnachtsmärkte noch um ein Vielfaches höher liegen als in früheren – normalen – Jahren.