Grimme-Preisträgerin Isabel Kleefeld („Arnies Welt“, 2006) beginnt den Film mit einer Parallelmontage, die wie ein Krimiauftakt wirkt. Die ersten Bilder zeigen einen Mann auf einem Schießstand; mit jedem Schuss kommt die Kamera näher, sodass sein Gesicht schließlich in Großaufnahme zu sehen ist. Es folgt ein Schnitt auf eine in Tränen aufgelöste Frau auf einem Friedhof. Natürlich gelten die Schüsse nicht ihr; aber irgendwie doch. Die Friedhofs-Einstellung ist auch deshalb so eindrucksvoll, weil Hauptdarstellerin Thekla Carola Wied die Kamera selbst zu tragen scheint; die Szene endet mit ihrem Blick direkt ins Objektiv. Erst dann folgt nach dem Vorspann der Beginn der eigentlichen Handlung, die als Rückblende erzählt wird: Ruth besucht eine Philosophievorlesung. Kierkegaard-Spezialist Professor Seveking (August Zirner) will von seinen Studenten wissen, warum das Streben nach objektiver Wahrheit zum Scheitern verurteilt ist. Sie weiß die Antwort: weil die Wahrheit immer subjektiv ist; und davon handelt dieses ungemein facettenreiche, mit großer Sorgfalt erzählte Drama. Kleefeld (Buch und Regie) macht nie einen Hehl daraus, dass der Film im Grunde eine Tragödie ist, und schon allein das macht ihn im Rahmen des mittlerweile überwiegend für Krimis reservierten ZDF-Montagssendeplatz zu einem besonderen Werk.
Foto: ZDF / Wolfgang Ennenbach
Eine Frühstücksszene genügt, um die Entfremdung zwischen Ruth und ihrem Mann Martin (Uwe Kockisch), einem ehemaligen Polizisten, zu illustrieren: Das Paar hat sich nichts mehr zu sagen. Erst nach und nach offenbart die Regisseurin die Gründe für die zweisame Vereinsamung: Vor zwanzig Jahren ist die erwachsene Tochter bei einem Autounfall gestorben. Während Ruth regelmäßig das Grab besucht, war Martin seit der Beerdigung nie wieder auf dem Friedhof. Auch diese Information verdeutlicht die Kluft: Die Eltern haben ihre Trauer nicht miteinander geteilt. Martin trauert auf seine Weise, er hat die Garage des Hauses zu einem Refugium umgebaut, in das er sich regelmäßig zurückzieht; in einem Spind bewahrt er Sachen der Tochter auf, darunter auch ihr Tagebuch. Außerdem hütet er im Zusammenhang mit ihrem Tod ein düsteres Geheimnis, das er Ruth gegen Ende des Films offenbart. Auch wenn er damals nur das Beste für seine Frau im Sinn hatte: Die furchtbare Wahrheit zerstört die Ehe endgültig. Aber da ist dann ohnehin schon alles zu spät, denn zwischenzeitlich hat Daniel (Daniel Wiemers), der Sohn des Ehepaars, seine Mutter darüber informiert, dass Martin ein Verhältnis hat; seit zwanzig Jahren. Und als wäre all’ das nicht genug, gibt es am Ende noch eine weitere niederschmetternde Nachricht.
Obwohl die Handlung in der Zusammenfassung wie eine Aneinanderreihung von Schicksalsschlägen klingt, ist „Was ich von dir weiß“ weder emotional überladen noch deprimierend, zumal Kleefeld zwischendurch zwei Liebesgeschichten erzählt; selbst wenn es zunächst irritiert, dass Martins Geliebte Melanie (Jasmin Schwiers) halb so alt wirkt wie er; aber auch für dieses Verhältnis reicht Kleefeld eine schlüssige Erklärung nach. Ruth hat derweil mit dem Philosophen Seveking ein spätes Glück gefunden. Die beiden verbringen ein gemeinsames Wochenende in Paris, doch die beschwingte Stimmung findet ein abruptes Ende, als ein Mopedfahrer Ruth die Handtasche raubt und sie sich beim Sturz verletzt.
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Obwohl der Film mit seinem zentralen Thema wahrlich Stoff genug hat, findet Kleefeld die Zeit, um den Nebensträngen Komplexität und Tiefe zu verleihen. Martin und Melanie verbindet neben ihrer Vorgeschichte die Arbeit in einem Tierheim, in dem Martin ehrenamtlich tätig ist. Auch hier findet Kleefeld mit der unerfüllten Trauer einer Hundemutter eine berührende Szene, die belegt, über wie viel Feingefühl dieser von Frau und Sohn ganz anders eingeschätzte Mann verfügt. Allerdings beantwortet Kleefeld nicht alle Fragen, die ihr Drehbuch aufwirft, aber die entsprechenden Leerstellen bringen die Geschichte nicht ins Straucheln. So bleibt unter anderem offen, warum Martin weiß, dass er nicht der Vater sein kann, als Melanie ihm mitteilt, er sei schwanger. Etwas zu kurz kommt allein die Ebene mit Daniel: In der Ehe des Sohnes (Neda Rahmanian spielt seine Frau) kriselt es ebenfalls heftig, auch er hatte offenbar ein Verhältnis. Das ist an Drama fast schon wieder zuviel, aber andererseits womöglich auch der Preis, um eine potenziell komödiantische Szene nicht komisch wirken zu lassen: Als Ausrede für ihren Paris-Trip hatte Ruth ihrem Mann gesagt, sie hüte übers Wochenende die Enkelkinder. Als Martin dort auftaucht, muss sich Daniel was einfallen lassen, damit die Kinder dem Opa nicht die Tür aufmachen, wofür seine Frau überhaupt kein Verständnis hat.
Ansonsten jedoch erweist sich Kleefelds elliptische Erzählweise immer wieder als ungemein wirkungsvoll, weil dank der sichtbar sorgfältig entworfenen Bildgestaltung Martin Langers, mit dem die Regisseurin zuletzt auch ihre Komödie „Zweibettzimmer“ gedreht hat, meist wenige Bilder reichen, um ihre Wirkung zu erzielen; bestes Beispiel ist die erschütternde Rückblende, als Martin die Leiche seiner Tochter findet. Zu den vielen Details, mit denen Kleefeld ihr Buch angereichert hat, gehört auch ein Werbeplakat für Paris, bei dessen Anblick im Bus Ruth erst von Sehnsucht und dann von einem Asthmaanfall übermannt wird. Auf Melanie, die sie unter einem Vorwand angesprochen hat, reagiert sie ebenfalls allergisch, was aber mit den Tierhaaren auf der Kleidung der jungen Frau zu tun hat. Ungleich lakonischer inszeniert die Regisseurin Martins stillen Protest gegen die Bevormundung durch seine Frau. Damit er nicht etwa in seiner ungesunden Stammkneipe isst, hat sie fürs lange Wochenende vorgekocht. In der Nacht erwacht Martin mit starken Bauchschmerzen. Am nächsten Tag holt er die Vorräte aus dem Kühlschrank; den Rest erzählt das Geräusch der Klospülung. Ähnlich akzentuiert ist der Einsatz der Musik, die an den richtigen Stellen Spannung aufbaut.
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