Vorsicht vor Leuten

Charly Hübner, Michael Maertens, Ralf Husmann. Der kleine Hoeness in uns allen

Foto: WDR / Max Kohr
Foto Rainer Tittelbach

Phlegmatischer Wahrheitsverbieger trifft auf notorischen Hochstapler, Aktenmann auf Lebemann, Kleindenker auf Großdenker. „Vorsicht vor Leuten“: Ralf Husmann („Stromberg“) schrieb das Drehbuch zum gleichnamigen ARD-Fernsehfilm nach seinem eigenen Roman. Es ist eine fein nuancierte Gesellschaftssatire der beiläufigen Art. Nach außen komisch und kurzweilig, im Kern doppelbödig und mit sozialer Relevanz. Zwei Männer in einer liebevollen Abhängigkeit. Zwei Schauspieler in Paraderollen: Charly Hübner macht da weiter, wo er in „Bornholmer Straße“ aufgehört hat und Michael Maertens ist eine Entdeckung fürs TV!

Lorenz Brahmkamp, Sachbeauftragter im Baureferat, reimt sich nicht nur mit holprigen Versen das Leben schön, er bedient sich auch immer wieder kleiner Notlügen, um vor der Welt seine Ruhe zu haben. Die Welt, das sind seine Frau und sein Chef. Letzterer droht seinem unmotiviertesten Mitarbeiter mittlerweile mit Rausschmiss, während Lorenz’ bessere Hälfte Katrin die Trennung schon vollzogen hat: sie braucht eine Auszeit und ist ausgezogen. Grund genug, um aus den Puschen zu kommen. „Ziel Katrin: 1. Job sichern 2. Abnehmen 3. ehrlich werden“ steht auf dem Zettel, der am Kühlschrank dieses Bilderbuch-Phlegmatikers klebt. Um an sein Ziel zu kommen, drängt er sich sogleich auf fürs größte Bauprojekt der Stadt und nimmt Kontakt auf zum Mr. Megapark, dem Lebemann Alexander Schönleben. Der macht auf jovial und wittert seine Chance. Sein Vorschlag: „Sie halten mir bei der Stadt den Rücken frei und sich sorg’ dafür, dass Ihre Frau Sie ganz neu entdecken wird.“ Brahmkamp hält sich zunächst noch bedeckt, aber das süße Leben scheint auch ihm zu munden; allerdings sollte dieser „Ermöglicher“ das kleinste Licht in der Baubehörde nicht unterschätzen…

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„Das hier, das kann nicht für den Rest meines Lebens mein Leben sein.“ Katrin & Lorenz Brahmkamp: mit Lina Beckmann & Charly Hübner sind beide ideal besetzt.

Wahrheitsverbieger trifft auf Hochstapler. Eine gewitzte Geschichte über die Unmöglichkeit des Ehrlichseins hat sich da Edel(komödien)feder Ralf Husmann ausgedacht. Nach seinem eigenen Roman „Vorsicht vor Leuten“ schrieb er mit Co-Autor Peter Güde das Drehbuch zum gleichnamigen ARD-Fernsehfilm: eine fein nuancierte Gesellschaftssatire der beiläufigen Art. An der Oberfläche komisch und kurzweilig. Der Kern der Geschichte aber durchaus doppelbödig und mit sozialer Relevanz. Auch der kleine Mann ist verführbar. „Im Grunde geht’s in Buch und Film darum, mit Lorenz mitzugehen und so zu kapieren, auf welchem Weg einer wie Schönleben so wurde, wie er ist.“, sagt Husmann über seine Hochstapler-Story. Und den Zuschauer möchte der doppelte Grimme-Preis-Gewinner (für „Stromberg“ und „Dr. Psycho“) vor die Frage stellen: „Wenn du die Wahl hast zwischen ehrlich aber arm oder verlogen aber reich, was tust du?!“ Schlummert also ein kleiner Uli Hoeness in uns allen?

Vorsicht vor LeutenFoto: WDR / Max Kohr
Potente Investoren und Schönleben ganz in seinem Element. Er verspricht satte Gewinne und weil Zahlen sexy sind, verkauft er den Megapark entsprechend.

„Ermöglicher“ stößt auf Aktenmann. Das Duett zwischen dem dauerflunkernden Schönleben (nomen est omen!) und dem blauäugigen Brahmkamp („Das sind gar nicht deine Häuser?“) ist dramaturgisch der komische Kern der Geschichte. Eine verkappte Schüler-Lehrer-Situation. Eine unterschwellige Liebesgeschichte. „Die beiden fangen als Kontrahenten an und geraten dann in eine fast liebevolle Abhängigkeit – fast wie ein altes Ehepaar“, betont Schönleben-Darsteller Michael Maertens. Er, der verdiente Theaterschauspieler, ist die Entdeckung des Films. Provozierend selbstbewusst gibt er seinen passionierten Spieler, der offenbar nur beim Lügen und übers Ohr hauen ganz bei sich ist und sich – am besten vor großem Publikum – in einen Rausch hinein spielt. Im Palaver-Modus verfällt Maertens in einen Sprachduktus, der dem von Christoph Maria Herbst als Stromberg ähnelt. Mit dem Unterschied: der auf dicke Hose machende Versicherungsschwätzer redete sich immer mal wieder um Kopf und Kragen, während dieser Schönleben genau weiß, was er tut, und bei dem Sätze wie „Damit einer gewinnt, muss einer verlieren“ keine Sprüche sind. Im Alltag aber fällt schon mal die Maske, da kann er selbst unter Mallorcas Sonne zum genervten Miesepeter werden, wenn er nicht gerade den Leuten ihre „Euros, die den deutschen Staat nichts angehen“, abnimmt.

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So schnell kann es gehen. Auf einmal ist Lorenz der Hahn im Korb. Charly Hübner, Natalia Belitski, Lina Beckmann

Auch die Beamtenseele kann dazulernen. In Osthofen lügt Lorenz Brahmkamp allenfalls, weil es bequemer ist oder weil er der Schwächere ist in der Beziehung zu seiner Katrin, die ebenfalls im Baureferat arbeitet, aber höher hinaus will („Das hier, das kann nicht für den Rest meines Lebens mein Leben sein“). Auf Mallorca entdeckt er den Geschmack von Dolce Vita und vor allem treibt ihn die Gunst, die ihm seine gerade noch von ihm so enttäuschte Ehefrau  plötzlich entgegenbringt („ich bin beeindruckt“), zu neuen Taten. Erst in einer Schlüsselszene aber versteht er Schönlebens Gewinner-Mantra – und handelt entsprechend. Charly Hübner macht da weiter, wo er in „Bornholmer Straße“ aufgehört hat, und ist auch hier überragend – als kleiner Sachbearbeiter, der sich jahrelang gehen lässt („bin bisschen aus dem Leim gegangen“), bevor er am großen Geld schnuppert. Mit trockenem Witz und mit Mut, karikierend bis derb einen Menschen darzustellen, dem man als Zuschauer trotz seiner anfangs ästhetischen, später moralischen Defizite zu lieben lernt, das muss man auch erst einmal hinkriegen. Husmanns Ironie weckt Hübners Spielfreude. Wie Maertens ist auch der Mann aus Meck-Pomm – was durch seine beeindruckenden Einsätze im „Polizeiruf 110“ von dort etwas in Vergessenheit geraten ist – ein Komödiant erster Güte. Und Charly Hübner holt wie in „Bornholmer Straße“ mit seiner Aura des Bodenständigen das Thema von der Perspektive „die da oben“ sympathisch herunter auf den Klodeckel des kleinen Mannes.

Husmann, Hübner, Maertens, da scheint nicht mehr viel übrig zu bleiben für die Regie. Von wegen. Der „Stromberg“-erfahrene Arne Feldhusen, Doppel-Grimme-Preisträger für den „Tatortreiniger“, bringt erst das richtige Timing in diese abendfüllende Komödie. Kein Wunder, waren doch seine bisherigen Comedy- und Serienerfolge dem sogenannten Charakter Driven verpflichtet. Das er’s auch über die lange Distanz kann, bewies Feldhusen bereits im „Stromberg“-Kinofilm. Das, was dem Zuschauer als eine Art Feelgood-Flow in „Vorsicht vor Leuten“ begegnet, formuliert der Regisseur folgendermaßen: „Komödie braucht einen bestimmten Rhythmus, den man unbedingt vorher schon im Kopf haben sollte. Diesem Takt sollten sich sowohl Einstellungen, also Kamerabewegungen, als auch Schauspieler in ihren Bewegungen anpassen.“ Das alles trifft sich wunderbar mit dem formalen Thema des Films: Bewegung im Sinne einer Veränderung – eines Sinneswandels. Bis zur ersten Panne: der einen Lüge zu viel. Und der nächste Geier wartet schon… (Text-Stand: 31.1.2015)

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Fernsehfilm

WDR

Mit Charly Hübner, Michael Maertens, Lina Beckmann, Natalia Belitski, Christian Hockenbrink, Jörn Hentschel, Alexander Hörbe, Marion Breckwoldt

Kamera: Jan Fehse

Szenenbild: Vicky von Minckwitz

Schnitt: Benjamin Ikes

Musik: Carsten Meyer

Produktionsfirma: Lailaps Films

Produktion: Nils Dünker

Drehbuch: Ralf Husmann, Peter Güde – nach der Romanvorlage von Ralf Husmann

Regie: Arne Feldhusen

Quote: 3,75 Mio. Zuschauer (11,5% MA); Wh. (2023): 2,25 Mio. (10,6% MA)

EA: 25.02.2015 20:15 Uhr | ARD

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