Der Eine hat die oftmals wenig appetitlichen Hinterlassenschaften Verstorbener entfernt, der Andere beschert den Menschen Gerätschaften, die ihre Lebensqualität steigern sollen: Auf den ersten Blick haben Heiko Schotte, Hauptfigur der vielfach ausgezeichneten NDR-Serie „Der Tatortreiniger“ (2011 bis 2018) mit Bjarne Mädel, und der Berliner Elektrofachhändler Viktor Kudinski, Titelheld der Amazon-Serie „Viktor Bringt’s“ mit Moritz Bleibtreu, nicht viel miteinander gemeinsam. Beide sind jedoch nicht nur ausgewiesene Vertreter ihres Fachs, sie verfügen auch über viel Lebenserfahrung. Die Kundschaft von „Schotty“ mag nicht mehr unter uns weilen, aber an seinen Einsatzorten kam er Folge für Folge in Kontakt mit mehr oder minder skurrilen Hinterbliebenen, die für Rat und Tat dankbar waren. Die acht jeweils circa zwanzig Minuten kurzen Prime-Episoden sind ganz ähnlich gestrickt, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied, denn Viktor erscheint nicht allein: Kürzlich ist nach langer Funkstille sein Sohn aufgetaucht. Philosophiestudent Michael (Enzo Brumm), der zum Entsetzen von Rennsportfan Viktor lieber Mika genannt werden möchte, braucht einen Job, Viktor braucht einen Fahrer: Das passt. Gemeinsam liefern sie unterschiedlichste Elektrogeräte aus und treffen dabei auf Zeitgenossinnen und -genossen, die anscheinend nur darauf gewartet haben, sich an jemandem wie Viktor abarbeiten zu können.
Foto: Prime Video / Julia Terjung
Was zunächst wie die Variation eines erfolgreichen Konzepts wirkt, ist eine ähnlich preiswürdige Produktion, die schon allein wegen der liebevoll formulierten Dialoge ein Genuss ist. Idee und Drehbücher stammen von Marcus Pfeiffer, der unter anderem die Vorlage für Marcus H. Rosenmüllers Sommerkomödie „Beckenrand Sheriff“ (2021, mit Milan Peschel als unleidlichem Bademeister) geschrieben hat; die Umsetzung besorgte Ed Herzog, Regisseur der immens erfolgreichen „Eberhofer“-Krimis mit Sebastian Bezzel. Dem Duo ist eine Serie gelungen, die sich in Sachen Kurzweiligkeit und Originalität durchaus mit „Tatortreiniger“ messen kann, zumal die jeweiligen Begegnungen auch von den prominenten Gästen profitieren: David Kross spielt einen cleveren katholischen Pfarrer, der den knappen Etat seiner Kirchengemeinde durch Börsengeschäfte aufstockt, Heino Ferch hat spürbar Spaß an seiner Rolle als versehrter Afghanistan-Veteran, der mit dem unfreiwilligen Ruhestand hadert, Bella Dayne und Caro Cult erfreuen die Kudinskis als Betreiberinnen eines „Body Tantra“-Salons mit Streicheleinheiten für Leib und Seele.
Der eigentliche Witz resultiert jedoch aus der Vater/Sohn-Konstellation. Spätestens mit dem zweiten Satz landen die beiden regelmäßig in einer Beziehungsdiskussion, zumal der junge Mann mit seinen lackierten Fingernägeln und der übertrieben sensiblen Empathie nach den Maßstäben Viktors völlig aus der Art schlägt. Prompt werden die Auseinandersetzungen zum Grundsatzdisput: hier der alte weiße Mann, dort ein Vertreter der Nachkommen, der Viktor vorhält, was dessen Generation alles verbockt hat. Wie Enzo Brumm in seiner ersten großen Rolle Bleibtreu problemlos Paroli bietet, ist mehr als beeindruckend. Witzig ist auch die Idee, dass sich im Rahmen der Aufträge immer wieder neue Allianzen ergeben, weil Vater und Sohn ihre Probleme natürlich auch in die Haushalte tragen. Beim ehemaligen Offizier zum Beispiel stellt sich raus, dass der von Ferch hingebungsvoll als Eisenbeiß verkörperte Kommisskopp ebenfalls kaum Kontakt zu seinem Sohn hat.
Foto: Prime Video / Julia Terjung
Die Servicevisiten nehmen ohnehin gern einen anderen als den erwarteten Verlauf: Der Besuch bei Eltern (Jasna Fritzi Bauer, Jacob Matschenz) von Baby-Zwillingen wird zu einer echten Herausforderung, weil sich die beiden einen verbalen Kleinkrieg liefern, gegen den der Dauerclinch von Viktor und Mika wie ein Austausch von Nettigkeiten klingt; bis sich das Verbalgerangel als Teil eines buchstäblich abgekarteten Spiels entpuppt. Bei der Auslieferung einer Friteuse in eine Gastwirtschaft werden sie Opfer eines Überfalls, aber die vermeintliche Diebin (Gro Swantje Kohlhoff) hat zu ihrer großen Überraschung durchaus lautere Motive. Das Szenenbild (Anke Osterloh) hat großen Anteil an der abwechslungsreichen Anmutung der acht Folgen, denn die Schauplätze, in denen die Geschichten spielen, sind ebenso unterschiedlich wie Viktors Kundschaft: hell und hochmodern bei einer Hirnforscherin (Caroline Peters), die im Verlauf der Montage ihres neuen Fernsehers gratis einen Bullaugen-großen Einblick in ihr Badezimmer bekommt, piefig-pastellig beim Ex-Offizier; mit sehr viel Rot beim Elternpaar, kunterbunt zusammengewürfelt bei Mikas Freundin und Kunststudentin Ruby (Soma Pysall), die Viktor kurzerhand als Model für ihre Abschlussarbeit engagiert.
Natürlich spielen auch die Geräte eine gewisse Rolle. Der Pfarrer hat sich für sein großzügiges Anwesen vom Oberboss einen Roboter erbeten, der nun ohne Rücksicht auf Blumen- oder Kräuterverluste durch den Garten mäh-andert, wobei er wie R2D2 fröhlich vor sich hinzwitschert. Für viel Freude sorgt auch der in ein Missverständnis nach dem anderen mündende Austausch mit dem Sprachassistenzsystem eines Smart Homes. Hier werden die beiden von einem „Warteprofi“ (Daniel Rodic) empfangen: Der Mann verdingt sich als Statthalter etwa in Warteschlangen. Er sitzt im Rollstuhl, weshalb sich Viktor zu einigen unsagbaren Scherzen hinreißen lässt. Aus Mikas Perspektive ist der Vater mit seinem konsequent binären Weltbild, Lebensdevise: „Bei kleinen Problemen hilft der Fachmann, bei großen der Flachmann“, ohnehin der leibhaftige Cringe. Dass der angeblich unter Hodenkrebs leidende Viktor am Ende, als Ex-Frau Hanna (Alexandra Neldel) auftaucht, einen weiteren Tiefschlag verdauen muss, liefert die perfekte Vorlage für eine Fortsetzung.