Martin (Oliver Konietzny) kann seine Habilitation wohl vergessen. Schusselig wie er ist, hat er wichtige Fristen versäumt, deshalb ist er auch noch den Job an der Uni los. Und vielleicht das Schlimmste: Er ergibt sich in sein Schicksal, was seine entnervte Freundin Tessa (Sarah Hannemann) dazu bewegt, ihre Beziehung auf Eis zu legen. Umso mehr Sorgen macht sich Mutter Beate (Barbara Philipp). „Der Junge stürzt wieder ab“, befürchtet sie. Einzelkind Martin steckte schon einmal in einer kapitalen Krise: ein schlimmer Fehler ließ ihn als praktischer Tierarzt scheitern, weshalb er daraufhin in die Forschung ging. Die Mutter will helfen, muss ihn dafür allerdings nach Hause locken. Aus einem kleinen Betriebsunfall ihres Mannes Henning (Matthias Brenner) macht sie einen komplizierten Armbruch: für einen Landtierarzt eine Katastrophe! Also steht der gute „Junge“, der die 30 überschritten hat, bald mit seinem ruppigen Erzeuger in Ställen und auf Weiden herum und muss einmal mehr erkennen, dass er nicht zum Veterinär geboren ist und er und sein Vater sich fremd geworden sind. Seine Mutter hält allerdings weiter an ihrem Plan fest, ihn in der Heimat zu halten. Sie wusste offenbar immer schon besser als Martin selbst, was gut für ihn ist. Irgendwann könnte er die Praxis übernehmen. Nach einem Schwächeanfall des Vaters muss sich Martin nun allein um die Viecher aus der Umgebung kümmern. Hat Mutti also mal wieder recht…?!
Ganz so simpel wollen in dem ARD-Fernsehfilm „Viele Kühe und ein schwarzes Schaf“ Autor Volker Krappen („Vadder, Kutter, Sohn“) und Regisseur Matthias Steurer („Kleine Schiffe“) den Karriereknick des verzagten „Verlierers“ dann aber doch nicht beenden. Denn dieser vordergründige Konflikt, so existenzbedrohend er auch sein mag, zielt vielmehr ins Zentrum einer sehr viel komplexeren Familiensituation: denn hinter den vermeintlich ganz normalen Spannungen zwischen Vater, Mutter und Sohn stecken jahrzehntelang eingespielte Beziehungsmuster, die auch die problemlos erscheinende Ehe der Eltern nach 30 Jahren in Mitleidenschaft ziehen. Noch bevor der Sohn heimkehrt, deuten Panikattacken der Mutter an, dass diese altruistische Frau, die sich auch auffallend stark in der Afrika-Hilfe engagiert, mit sich selbst weniger im Reinen ist, als es den Anschein hat. Eine Schauspielerin mit der Klasse von Barbara Philipp (Tukur-„Tatort“) vermittelt, nachdem sie die Lüge noch komödiantisch etabliert, bald etwas von ihrer inneren Anspannung, in kleinen Gesten und ihrem wunderbaren Augenspiel. „Vor was hat sie solche Angst – wobei sie doch so furchtlos ist?“, fragt denn auch der Vater den Sohn. Zwischen den beiden Männern ist es kurz zuvor zu einer „wahrhaftigen“ Annäherung gekommen. Auch Matthias Brenner („Das Wasser des Lebens“) und Oliver Konietzny („Plötzlich Türke“) stehen ihrer bekannteren Kollegin in nichts nach. Alle drei Figuren sind gleichberechtigt und werden gleichermaßen psychologisch ausgelotet.
Wenn man so will, ist „Viele Kühe und ein schwarzes Schaf“ dem Titel zum Trotz ein Film über einen gängigen Kommunikationstyp in (Fernseh-)Familien. Die Mutter glaubt noch immer, es besser zu wissen als der erwachsene Sohn, was gut für ihn ist und wie sein Lebensweg und sein Glück aussehen sollten. Der Vater, ein Mann der Tat, ist anfangs enttäuscht, dass sein Sohn in allem so zögerlich ist, und insgeheim nimmt er es ihm wohl auch übel, dass ihm auch nach dem Rauswurf an der Uni noch immer die Forschung näher ist als die Arbeit in der Tierarztpraxis. Als Vater und Sohn näher zusammenrücken, wird es für die Alleingänge der Mutter schwieriger. Ihre Eigenmächtigkeiten und Lügen werden durchschaut. Weitere äußere Umstände lassen diese so patent und von sich selbst überzeugt wirkende Beate selbst in eine kleine Sinnkrise schliddern. Dramaturgisch sind diese Wendungen stimmig zu einem 90-Minüter zusammengebaut – obwohl man zu Beginn so ziemlich alles in dieser Geschichte zu (er)kennen glaubt. Den Wandel der Dreier-Kommunikation und deren Plausibilität, die leisen Momente zwischen Vater und Sohn sowie die Reflexionen über die Ehe der Eltern ahnt man so aber nicht. Dass auch die psychologischen Voraussetzungen dieser speziellen Familienkonstellation Hand und Fuß haben, ohne dabei küchenpsychologisch zerredet zu werden, sind ein weiteres Plus des Films. Denn eigentlich ist das Problem ja ganz einfach. Zu einer Beziehung gehören immer zwei oder in diesem Fall drei: beispielsweise ein Sohn, der nicht weiß, was er will, und eine Mutter, die ihm immer alle Entscheidungen abgenommen hat. Das zeigen die 90 Minuten. Ob und wie sich das gegenseitig bedingt – dieser Frage könnte man in der ARD am Mittwoch nachgehen. Dieser Film hier ist dagegen eine (gute) Freitags-Dramödie – und bei diesem Genre ist vor allem ein Happy End Pflicht.
Für einen Unterhaltungsfilm, der die meiste Zeit auf dem Land spielt, besitzt „Viele Kühe und ein schwarzes Schaf“ einen guten Flow. Gleich in der Exposition werden narrative Redundanzen vermieden und durch geschickte Szenenwechsel Informationen gegeben, wodurch gleichzeitig das Tempo forciert wird. Die Musik hingegen fiedelt etwas harmlos vor sich hin (reinrassige Komödien haben es da einfacher). Die Inszenierung insgesamt ist solide. Sie orientiert sich an den Hauptfiguren und ihren Interaktionen, entsprechend fällt das realitätsnahe Szenenbild, das ein Stück weit auch die Bodenständigkeit und „Aufgeräumtheit“ des Ehepaars spiegelt, stärker ins Auge als die Qualität der Kameraführung. Wird das alles vom Zuschauer wahrscheinlich nur unbewusst wahrgenommen, so ist ein Aspekt in der Geschichte unverkennbar. „Ich wollte nur helfen“, sagt die Mutter. „Ich will immer nur helfen.“ Dieses als Helfersyndrom verschriene Phänomen, das in öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsfilmen derzeit Schwester-Christa-like wieder inflationär auftaucht und damit zumeist ein weibliches Rollenklischee bedient, wird in „Viele Kühe und ein schwarzes Schaf“ allerdings offen als Handlungsmotiv reflektiert und infrage gestellt. Die geborene Helferin erkennt, dass stets nur für andere da zu sein und eigene Wünsche und Träume nicht zuzulassen, kein gesunder Weg ist. Allerdings hält sich auch diese Schlusserkenntnis angenehm zurück mit ausgesprochenen Binsenweisheiten. Taten, ein Blick, ein liebes Wort, eine Umarmung sind überzeugendere „Botschaften“. (Text-Stand: 15.12.2019)