DDR 1988, schon wieder eine Republikflucht
Die Leiche einer Frau wird im Jahr 1988 aus der Ostsee geborgen. Johanna Schön wurde erschossen. Sie hatte versucht, mit einem Schlauchboot aus der DDR zu fliehen, wie in den ersten Szenen zu sehen ist. Der mit den Ermittlungen betraute Volkspolizist Martin Franzen (Albrecht Abraham Schuch) steht unter Druck: Schon wieder eine Republikflucht in seinem Abschnitt. Außerdem ist er plötzlich auf sich alleine gestellt. Sein aufmüpfiger Kollege Lars (Marek Harloff) wird beurlaubt. Martin stößt schnell auf Ungereimtheiten: Paul Schön (Jan Messutat) ist sich sicher, dass seine Frau nicht fliehen und im Westen leben wollte. Johannas todkranke Freundin Vera (Hedi Kriegeskotte) bestätigt das. Außerdem überreicht sie Martin einen verschlossenen Brief, den sie eigentlich im Auftrag Johannas nach Berlin bringen sollte. Die Adresse steht nicht auf dem Umschlag, die hat Vera nur im Kopf aufbewahrt.
Foto: ZDF / Bella Halben
Vopo Martin schlägt sich auf die andere Seite
Es ist die Vor-Wendezeit in der DDR, latente Unzufriedenheit und Misstrauen sind weit verbreitet. Man ist vorsichtig mit dem, was man sagt und wie man sich verhält. Oder man spricht in Rätseln wie der seltsame Gerd (Christian Redl) mit seiner „Philosophie der Unkenntnis“. Die etwas diffuse Atmosphäre, in der Emotionen unterdrückt werden und sich ein anderes Ventil suchen (Martins nervöses Trommeln und Schlagzeugspielen), beschwören die 1973 in Leipzig geborene Regisseurin Franziska Meletzky und Kamerafrau Bella Halben überzeugend herauf – auch dank eines starken Ensembles, allen voran Schuch und Hannah Herzsprung. In „NSU: Mitten in Deutschland – Heute ist nicht alle Tage“ hatte Grimme-Preisträger Schuch den ideologisch verbohrten Rechtsterroristen Uwe Mundlos gespielt, hier gibt er einen verunsicherten jungen Vopo. Martin zürnt seiner in den Westen geflohenen Mutter, spürt aber auch, dass es nicht mehr zum Besten bestellt ist in dem Staat, dem er dient. Als die Stasi den Fall und die Akten übernimmt, unterschlägt er den Brief und sucht Adressatin Nina (Hannah Herzsprung) in Berlin auf. Statt des beruflichen Weiterkommens, mit dem ihn sein Chef (Uwe Preuss) ködert, wählt er den Schritt auf die andere Seite.
Foto: ZDF / Bella Halben
Verschwörungstheorie zum Herrhausen-Mord
„Verräter – Tod am Meer“ ist die Verfilmung des Kriminalromans „Innere Sicherheit“ von Christa Bernuth aus dem Jahr 2006. Der Stoff passt, wenn man so will, gut ins Beuteschema des ZDF, das ja am Montagabend schon manche Leiche hinter Deichen deponiert hat und innerdeutschen Dramen auch nicht abgeneigt ist. Mit „Die innere Sicherheit“ von Christian Petzold gibt es allerdings schon einen nicht ganz unbedeutenden Film mit ähnlichem Thema. Leider klingt der nun gewählte Titel ein bisschen nach Allerweltskrimi. Dabei entwickelt sich, der Vorlage gemäß, ein spannender Thriller, der historische Fakten mit verwegenen Spekulationen mischt. Die Geschichte der in der DDR untergetauchten und von der Stasi mit neuen Identitäten versorgten RAF-Terroristen wird mit dem Mord an Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen im Jahr 1989 in Verbindung gebracht. Der Name Herrhausen fällt zwar kein einziges Mal, aber er hatte sich – wie der hier als Ziel genannte namenlose Banker – ebenfalls dafür ausgesprochen, der Dritten Welt die Schulden zu erlassen. Die RAF hatte sich zu dem Mord an Herrhausen bekannt, aber bis heute sind viele Fragen offen, sind Täter und mögliche Hintermänner unbekannt. Die von Roman-Autorin Bernuth und nun im Film präsentierte Version ist blanke Fiktion, ein „Gedankenexperiment“, wie Produzentin Rima Schmidt sagt. Man könnte auch Verschwörungstheorie dazu sagen.
Foto: ZDF / Bella Halben
Hannah Herzsprung als undurchsichtige Ex-Terroristin
Mit dem Zusammentreffen von Martin und Nina ändert sich zur „Halbzeit“ der Charakter des Films. Aus dem Küsten-Krimi wird nun ein Road-Movie, das von dem Zusammenspiel des Duos Schuch/Herzsprung lebt. Wie Martin hat auch Nina mit ihrem früheren Leben abgeschlossen. Doch nach der Abkehr von der RAF ist sie nun eine Art Geisel der Stasi, die sie als „Söldnerin“ für deren eigene Zwecke einsetzen will. Das Herantasten an den unbekannten Gegenüber, das allmähliche Überwinden des Misstrauens, die gemeinsame Flucht – all das inszeniert Meletzky mit viel Gefühl für Zwischentöne, zumal sie sich auf ihre beiden Darsteller vollauf verlassen kann. Sehr schön auch, wie die Annäherung in der Schwebe gehalten wird; zugleich wird die Glaubwürdigkeit der Charaktere keiner romantischen Liebesgeschichte geopfert. Die wunderbare Hannah Herzsprung spielt Nina als undurchsichtiges Wesen, zart und verletzlich, im nächsten Moment unerschrocken und entschlossen. Und die Skrupellosigkeit der Ex-Terroristin, die so gar nicht mehr vorhanden zu sein scheint, tritt dann doch unvermittelt zu Tage.
Folternde Stasi und ein verliebter Führungsoffizier
Die allgegenwärtige Staatssicherheit wird hier gewiss nicht verharmlost. Die nackten Füße der Gefangenen ragen beim Verhör, während ihre Hände an der Decke festgebunden sind, in eine Wanne mit eiskaltem Wasser. Und ob Johannas Ehemann freiwillig aus dem Leben schied, ist mindestens zweifelhaft. Zugleich weht ein Hauch von „Das Leben der Anderen“ durch den Film, denn Führungsoffizier Harry (Anian Zollner) ist verliebt in Nina, die natürlich ebenfalls überwacht und abgehört wird. Harry bleibt jedoch, wie alle Stasi-Typen, nur Staffage. Und während der Film zuvor stark von der Stimmung und vom Schauspiel lebte, fällt die verschwörungstheoretische Auflösung in holzschnittartigen Dialogen doch etwas ab. „Solange die Länder der Dritten Welt finanziell abhängig sind, haben wir dort Einfluss – und besser wir als irgendwelche Fanatiker“, erläutert der große Unbekannte und Strippenzieher, der sogar schon weiß, dass bald die Mauer fallen wird. Nebenbei: Die Sorge vor „Fanatikern“ klingt eher nach der Zeit nach den Anschlägen vom 11. September 2001 als nach 1988. Aber den Geheimdiensten wird in dieser Geschichte eben alles zugetraut. Sogar Weitsicht.