Dieser Florian (Sebastian Zimmler) ist schon ein seltsamer Vogel. Nicht, weil er mit Anfang 30 noch mit keiner Frau geschlafen hat, sondern weil ihm vor allem jene Empathie zu fehlen scheint, die Voraussetzung ist für eine tiefere Kommunikation. Florian hat das Asperger-Syndrom. Er ist hochintelligent, hat sein Meteorologie-Studium hervorragend abgeschlossen, doch jetzt sortiert er in einem Luxushotel am Tegernsee das Toilettenpapier. Dass er hier überhaupt arbeiten kann, verdankt er seinem väterlichen Freund Henk (Martin Wuttke), seines Zeichens Facility-Manager – sprich Hausmeister – in eben jenem Wellness-Fünf-Sterne-Bunker. Seine Arbeiten verrichtet Florian mit höchster Perfektion, doch wenn etwas aus der Reihe tanzt, also die sichere Alltagsstruktur verlässt, so bringt ihn das völlig aus dem Kon-zept. Gefühle zum Beispiel. Florian hat sich in das Zimmermädchen Valerie (Mina Tander) verguckt. Sie ist das absolute Gegenteil von ihm. Sie ist chaotisch, unpünktlich, nicht allzu pflichtbewusst, und sie beklaut, wenn auch im ganz kleinen Stil, die Hotelgäste. Nach einem Unfall hat sie sogar das Sorgerecht für ihre Tochter verloren. Das will sie jetzt ändern. Florians erster Liebesdienst: Er hilft ihr bei einem wichtigen Amtsbrief. Weiterhin würde er gern mehr Ordnung und Struktur in Valeries Leben bringen. Aber ist das für einen Autisten eine gute Idee? Fürs Sexuelle gibt ihm Henk die nötige Nachhilfe. Doch seine Frauenversteher-Philosophie stammt aus grauer Vorzeit – und ist schon bei Marta (Therese Hämer), der Personalchefin des Hotels, vor 30 Jahren danebengegangen. Die entscheidende Frage aber ist: Kann sich Valerie mit Florian überhaupt etwas anderes vorstellen als nur Freundschaft?!
Dass die ARD-Dramödie „Verliebt in Valerie“ weder mittendrin noch am Ende diese Frage eindeutig beantwortet, gehört zu den entscheidenden Pluspunkten dieses durchweg gelungenen Degeto-Produktion. Jeder Zuschauer kann sich auf diese Geschichte seinen eigenen Reim machen und sie über das Schlussbild hinaus weiterdenken. Bleibt es beim „nur Freunde“ oder wächst da das zarte Pflänzlein Liebe heran in einem den außergewöhnlichen Charakteren entsprechenden Tempo? Es ist also vor allem diese Erzählhaltung, die den Film von Claudia Garde („Tatort – Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes“) nach dem lebensklugen Drehbuch von Markus B. Altmeyer („Letzte Ausfahrt Sauerland“) ehrt; weil so auf der Zielgeraden die guten 90 Filmminuten nicht genrezwanghaft verklebt und die alltagsnah erzählte Geschichte nicht durch Verklärung kaputtgemacht wird. Die bloße Tatsache, dass ein Unterhaltungsfilm einen Menschen mit psychischem Handicap als Hauptfigur wählt (in Krimi-Reihen oder Serien längst gang und gäbe), ist noch kein ausreichender Hinweis dafür, dass den Machern das „Thema“ am Herzen liegt. Dem positiven Effekt der Sensibilisierung für Menschen, die mit Syndromen, Störungen oder gesellschaftlicher Stigmatisierung zu kämpfen haben, steht immer auch ein möglicher medialer Missbrauch gegenüber; schließlich sind solche Charaktere in der Lage, tausendmal erzählte Liebes- oder Fallgeschichten aufzuwerten.
Bei „Verliebt in Valerie“ gelingt der Spagat vorzüglich. Man hat weder den Eindruck, das Asperger-Syndrom werde ausgestellt, noch fasse man die männliche Hauptfigur – politisch korrekt – mit Samthandschuhen an. Autor Altmeyer lässt sich auf viele Facetten der angenehm beiläufig vermittelten Geschichte ein, die Ingredienzien mögen bekannt sein (Chaos-Queen, Sorgerechtsstreit, Freundschaft vs. Liebe, das Scheitern einer Beziehung vor sehr langer Zeit), aber die konkrete dramaturgische Ausgestaltung mit dem Tegernseer Hotel als Zentrum und der einsamen Wetterstation hoch oben in den Bergen als ebenso narrativ stimmiger wie filmisch sinnlicher Sehnsuchtsort macht aus dieser Dramedy ein erstes ARD-Degeto-Highlight im neuen Jahr. Die Geschichte verzettelt sich nie, anfangs führt der Film fast episodisch in die Handlung ein, schwingt von der männlichen zur weiblichen Hauptfigur und zurück – bis sie immer häufiger gemeinsam unterwegs sind. Erst rettet er sie, völlig betrunken, aus dem Pool, später stolpert er mit heruntergelassener Hose aus einer Hotelsuite, in der ihn eine Prostituierte entjungfern sollte. In Sachen Peinlichkeit nehmen sich die beiden nichts. Also doch ein schönes Paar? Allerdings hat auch der sichtlich notgeile Hotel-Manager (Florian Karlheim) ein Auge auf die schöne Valerie geworfen, woraus sich ein prototypisches #metoo-Szenario ergibt, bevor Florian mit einem Feuerlöscher für klare Verhältnisse sorgt. Da er auch eines Abends den Hotelpagen aus Valeries Bett vertreibt, könnte das mit den beiden doch was werden. Wäre da nicht Henks falscher Liebescode, den sich Florian einhämmert: Die weibliche Aufforderung zum Kaffeetrinken sei das Vorspiel zum „Schnackseln“. Als sich der Ahnungslose daraufhin eine fängt, trifft er eine wegweisende Entscheidung: „Ich habe heute Nacht beschlossen, dass die Liebe nichts für mich ist – diese ganzen wirren Gefühle.“
„Verliebt in Valerie“ ist nicht der erste Fernsehfilm, der sich in tragikomischer Form mit dem Asperger-Syndrom „beschäftigt“. Überraschenderweise gab es in den letzten Jahren mit dem Zweiteiler „Der kalte Himmel“ (2011) von Johannes Fabrick nur ein einziges ambitioniertes Autismus-TV-Drama. Filme, die das psychische Phänomen unterhaltsamer angehen, sind dagegen häufiger im Programm zu finden: von „Ein Sommer in Masuren“ (2015) mit Christina Große über „Katie Fforde – Bruderherz“ (2017) bis hin zur ARD-Komödie „Schnit-zel für alle“ (2013). Das größte Medien- und Zuschauerinteresse hatten im April 2018 die beiden ersten Episoden der neuen ZDF-„Herzkino“-Reihe „Ella Schön“: Annette Frier als Juristin ohne tieferes Verständnis für die Menschen, das ging über fünf Millionen Zuschauern nahe und bekam größte Aufmerksamkeit auch von den Betroffenen selbst. Bei dieser ARD-Produktion werden die Reaktionen möglicherweise verhaltener ausfallen, da er weniger deutlich die Themen-Farbe spielt und nicht mit einem Fernsehstar aufwarten kann.
Dafür hat Garde mit Sebastian Zimmler eine echte Entdeckung gemacht, genauer gesagt: Wiederentdeckung (der 37-Jährige spielte bereits 2012 in Hans-Christian Schmids „Was bleibt“ an der Seite von Eidinger und Harfouch). Er verkörpert seinen Autisten als leicht „Ver-haltensauffälligen“ – auch, weil Altmeyer ihn nicht zu häufig in die Witz-Falle tappen lässt. Und wenn doch, entsteht daraus ein trockener Humor, bei dem er nie als der völlig Gelackmeierte dasteht. „Für mich wäre das nichts“, kommentiert Martin Wuttkes väterlicher Freund. „Drum ist es ja auch mein Job“, kommt es cool zurück. „Zu Handschellen habe ich eher eine indifferente Haltung“, entgegnet er einer Prostituierten bierernst. Und als seine Herzdame betrunken im Winter auf dem Pool treibt, hält er, der leidenschaftliche Meteorologe, erst einmal einen Vortrag über die Auswirkungen des Wetters auf die Lebenserwartung, anstatt die völlig unterkühlte Valerie zu retten. Gelegentlich geht dieser Florian als ein eigensinniger Eigenbrötler durch. Und manchmal spielt das Zimmler mit einem mehrdeutigen, süffisanten Lächeln, das andeutet, dass seine Figur mehr versteht, als manch einer glaubt. In mimischen Ausdrucksnuancen ganz groß ist auch Mina Tander. Die 40jährige Schauspielerin ist seit über 20 Jahren im Geschäft. Wenn sie Valerie die Kontrolle über ihre Mundpartie verlieren lässt, kann einem Angst und bange werden. Wenig später hellt sich ihre Miene bereits wieder auf, die großen Augen kommen zu ihrem Recht: schalkhaft, appellierend, hoffnungsvoll. Die Antwort auf die Frage aller Fragen, wohin diese (Liebes-)Geschichte möglicherweise treibt, kann man auch auf dem Gesicht dieser Schauspielerin suchen. (Text-Stand: 16.12.2018)