Unterm Radar

Christiane Paul, Heino Ferch, Fabian Hinrichs. Im Angesicht der Terrorismus-Abwehr

Foto: WDR / Nik Konietzny
Foto Rainer Tittelbach

Ein Sprengstoffattentat auf einen Berliner Linienbus macht aus einer Richterin „die Mutter der Terroristin“. Die Frau wird überwacht, wird suspendiert, doch schlimmer noch sind die Zweifel an sich selbst und dem Menschen, der ihr bisher am nächsten war. Der immens spannende Fernsehfilm „Unterm Radar“ von Elmar Fischer nach dem intelligenten Buch von Henriette Buegger erzählt auch von einem politischen Dilemma, das in der Frage gipfelt: Wie weit darf ein Rechtsstaat gehen, um seine Bürger vor Terrorangriffen zu schützen? Der Film macht die private Geschichte nicht zum Vehikel einer politischen Botschaft, sondern erzählt – unterstützt vom grandiosen Darsteller-Trio – beide Geschichten gleich überzeugend.

Eine Mutter im Ausnahmezustand und die neue Logik beim BKA
Gerade noch eine Amtsträgerin mit besten Aufstiegschancen, plötzlich eine stigmatisierte Frau. Ein Sprengstoffattentat mit mehreren Toten auf einen Berliner Linienbus macht aus der Richterin Elke Seeberg (Christiane Paul) in der Öffentlichkeit „die Mutter der Terroristin“. Und auch das BKA lässt nicht locker. Heinrich Buch (Heino Ferch) und besonders sein junger Kollege Richard König (Fabian Hinrichs) nehmen an, dass die Mutter mehr weiß über die Aktivitäten und den Aufenthaltsort ihrer Tochter Marie (Linn Reusse). Die Frau steht unter ständiger Beobachtung – Wanzen und Kameras in ihrer Wohnung inklusive. Für Seeberg ist das alles schwer zu ertragen: ihre berufliche Legitimation verloren, wie eine Verbrecherin beschattet, doch schlimmer noch sind die Zweifel an sich selbst und dem Menschen, der ihr bisher am nächsten war und plötzlich verschwunden ist. Hat sie zu wenig Acht gegeben? Steckt doch mehr hinter Maries Studium der Islamwissenschaft? Ist sie vielleicht durch ihren marokkanischen Freund in radikale Kreise abgerutscht? Die Mutter erfährt, dass Marie „viele Fragen“ hatte und häufig in die Moschee gegangen ist, um Antworten zu bekommen. Auch von einer Pakistan-Reise weiß sie nichts. Kennt Elke Seeberg ihre Tochter überhaupt?

„Die Triebfeder der Geschichte war immer diese Mutter… Mich interessieren immer die urmenschlichen Konflikte. Sie sind für mich der Ausgangspunkt.“

„Für mich spielt der Film nicht in ferner Zukunft, sondern morgen. Die Geschichte geht nur ein wenig über die Wirklichkeit hinaus.“
(Henriette Buegger, Autorin)

Unterm RadarFoto: WDR / Nik Konietzny
Die Allgegenwart der Überwachung. Der Film gibt einem permanent ein Bild davon. Anhänger des Machbaren: König (Fabian Hinrichs). Buch (Ferch) ist skeptisch.

Der Einzelne unterm Radar und die Klasse von Christiane Paul
„Unterm Radar“ erzählt zwei Geschichten. Die, die den immens spannenden Fernsehfilm emotional am eindringlichsten prägt, ist die Geschichte der Mutter, für die es „absolut undenkbar“ ist, dass ihre Tochter an diesem Bombenattentat beteiligt sein könnte, die schließlich aber doch ins Zweifeln gerät. Eine Frau zwischen Wut und purer Verzweiflung. Christiane Paul spielt das in einer stimmigen Mischung aus Kopf- und Bauchmensch – und weitgehend ohne Maske. „Du spielst sonst gegen ein Make-up“, so die Hauptdarstellerin. „Ohne Maske erreicht man einfach eine größere Authentizität und für den Zuschauer eine größere Nähe zur Figur.“ Das freilich ist nur ein technisches Hilfsmittel, um den Eindruck, dass die Situation dieser Frau schwer an die Substanz geht, zu verdeutlichen. Viel wichtiger dagegen ist Christiane Pauls psychophysische Präsenz, ihre schmalen Schultern, ihre weibliche Zerbrechlichkeit, ihre herbe Zähigkeit – und vor allem ihr Spiel, bei dem sie ständig körperliche und emotionale Ausnahmezustände streifen muss. Sie versinkt in sich, sie weint, sie schreit, sie verkapselt sich, sie verharrt in ihrem Willen, reagiert schroff und bleibt bei ihrer strengen Linie, auch wenn sich die Wogen glätten. Bei dem, was dieser Frau passiert, muss das so sein. Das ist eine besondere Stärke des Films. Kurzzeitig versöhnlich stimmt allenfalls die allerletzte Einstellung. Seeberg und BKA-Mann Buch entfernen sich. Doch die Kamera schwingt sich auf, immer höher, die Konturen von Natur und Mensch lösen sich auf, mit dem bloßen Auge erkennt man nichts mehr und plötzlich hat die Kamera den Bogen gespannt zu dem (gesellschafts)politischen Thema des Films: der Einzelne unterm Radar.

Ein Staatsschützer von gestern und ein Sicherheitsfanatiker von morgen
Das ist die zweite Geschichte, die der Film von Elmar Fischer („Im Dschungel“) erzählt. Es ist die Geschichte von einem nervösen System, dem hoch technologisierten BKA-Apparat, der den Gefahren des Terrorismus geradezu hysterisch begegnet, der in der Allgegenwart der Überwachung ihren allgemeinen und in der Person von Richard König ihren ganz speziellen Ausdruck findet. Dieser verkörpert „die neue Logik in der Sicherheitspolitik“: Eine komplexe Bedrohung des Gemeinwesens bedarf restriktiver Sicherheitsmaßnahmen, gern schon mal an den Gesetzen vorbei. Fabian Hinrichs („Tatort – Der tiefe Schlaf“) spielt das mit seiner ihm eigenen Art: als einen scharfsinnigen Pedanten, als einen kalten Perfektionisten, als einen Apologeten des Machbaren, der die Sicherheitspolitik der letzten Jahrzehnte unter Demokratie-Kitsch abhakt. Dass er für den Kollegen Buch Sympathien hegt, hängt allein damit zusammen, dass er den – trotz Entzug – keinesfalls trockenen Alkoholiker in der Hand hat. Heino Ferch spielt diesen Mann von gestern, in Schimanski-Jacke, extrem zurückgenommen und ein bisschen wie angezählt, ohne ein Lächeln, dafür mit der Furcht vorm nächsten Rückfall.

Unterm RadarFoto: WDR / Nik Konietzny
Gleicher Job – doch Buch (Ferch) & König (Hinrichs) ticken völlig unterschiedlich. Auch der Reiz dieser Vater-Sohn-Konstellation trägt mit zur Klasse des Films bei.

„Ich glaube im Übrigen, dass in dem Augenblick, in dem man selbst vom Terror betroffen ist, die Karten noch einmal neu gemischt werden und man auf einmal einen anderen Blick auf das Thema entwickelt.“ (Elmar Fischer, Regisseur)

Kluge Spannung unter Verzicht einer großspurigen Emotionsdramaturgie
Die politische Geschichte gipfelt in der Frage: Wie weit darf ein Rechtsstaat gehen, um seine Bürger vor Terrorangriffen zu schützen? Die private Geschichte entwickelt ein beispielhaftes Szenario, das zeigt, was passieren kann, wenn der Staat die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit beugt. Bereits 2008 hatte die Drehbuchautorin Henriette Buegger die Idee dieser Bomben-Geschichte in Berlin. Damals war die Story fast noch reine Fiktion. Einige Motive wie die „extraordinary rendition“ sind es in Bezug auf Deutschland noch heute. Die Grundfrage aber, die der Film stellt, ist längst keine hypothetische mehr. Mit Snowden, der NSA-Affäre, der Bedrohung durch den Islamischen Staat oder Charly Hebdo ist der Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit ein ganz realer. Der auch eine gewisse Verantwortung von den Machern verlangt. „Je näher wir mit unserem Thema der Wirklichkeit kamen, desto sensibler und genauer galt es, das Drehbuch anzupassen, um nie ins Spekulative oder gar Reißerische abzurutschen“, erinnert sich die Produzentin Nicole Swidler, die bereits bei der Urfassung 2008 mit im Boot war. Man hat tatsächlich nie den Eindruck, als würde in „Unterm Radar“ mit der Politik spekuliert. Der Film macht die private Geschichte im Verlauf der 90 Minuten nicht zum Vehikel einer politischen Botschaft. „Unterm Radar“ gelingt es vielmehr, den Zuschauer unter Verzicht einer großspurigen Emotions- und Überwältigungsdramaturgie nach Hollywood-Art mit einem packenden Einzelschicksal zu konfrontieren. Das funktioniert so ausgesprochen gut, weil auch die Antagonisten, die eine Art Vater/Sohn-Verhältnis miteinander haben, große Klasse besitzen – und aufgespalten werden in einen BKA-Mann, der die Heldin zunehmend versteht, und einen, der sich mehr und mehr isoliert. Durch diese beiden ist der politische Diskurs allgegenwärtig, ohne aber den Zuschauer moralisch zu überwältigen. Vor allem am Ende gerät das Gesellschaftliche in den Fokus: spätestens dann wird das Private wieder politisch – und mit diesem Eindruck und gewiss auch einigen offenen Fragen (zur politischen Situation) wird der Zuschauer aus diesem Fernsehfilm hellwach entlassen.

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Fernsehfilm

WDR

Mit Christiane Paul, Heino Ferch, Fabian Hinrichs, Inka Friedrich, Linn Reusse, Matthias Matschke, Carolina Vera, Hans-Werner Meyer, Kirsten Block

Kamera: Sten Mende

Szenenbild: K.D. Gruber

Kostüm: Diana Dietrich

Schnitt: Eva Lopez Echegoyen

Musik: Matthias Beine

Produktionsfirma: enigma film

Drehbuch: Henriette Buegger

Regie: Elmar Fischer

Quote: 5,39 Mio. Zuschauer (17,4% MA)

EA: 14.10.2015 20:15 Uhr | ARD

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