Für Frieda (Therese Hämer) brach nach dem überraschenden Tod ihres Mannes vor einem Jahr die Welt zusammen – und nun auch noch das Haus über ihrem Kopf. Ein Erbhof im beschaulichen hessischen Krachgarten, eigentlich ein Schmuckstück, wäre das Fachwerk nicht so marode. Zimmerin Tinka (Lotte Becker) ist bald in ihrem Element, vergisst darüber ihre geplatzte Hochzeit und zieht bald sogar bei Frieda ein, denn diese hat viel Platz, ist aber knapp bei Kasse. Mit der jungen lebenslustigen Frau kommt wieder etwas Leben ins Haus, in dem sich die Witwe in dunklen Stunden immer noch am liebsten verkriechen würde. Dieser Wunsch verstärkt sich, als die überambitionierte neue Leiterin des Landesamtes für Denkmalpflege, Dr. Dr. Jasmin Farhadi (Saman Giraud), auf das traditionsreiche Anwesen aufmerksam wird. Beim ersten zufälligen Aufeinandertreffen der drei so unterschiedlichen Frauen verstehen sie sich noch recht gut. Doch Frieda kann sehr schroff und stur sein, und so hält sich die korrekte Frau Dr. Dr. an ihre Paragraphen. Dabei ist sie für pragmatische Lösungen durchaus empfänglich, wenn sie sympathisch vorgebracht werden wie zum Beispiel von Gärtner Fabian (Dennis Schigiol), mit dem sie es bei der Renovierung des Ohmburger Schlosses zu tun bekommt. Derweil stagnieren die Arbeiten an Friedas Haus. Ihr geht das Geld aus. Sie hofft auf eine Bürgschaft ihrer Tochter Elli (Frida-Lovisa Hamann), doch die sähe es am liebsten, wenn ihre Mutter zu ihr in die Nähe nach Stuttgart ziehen würde.
Und so ergibt sich die Sterne-Wertung:
Der vernunftgesteuerte, intuitiv wertende Kritiker in mir gibt vier Sterne. Und für den Analytiker, der die beiden Episoden strukturell-dramaturgisch sowohl immanent als auch verglichen mit anderen „Herzkino“-Produktionen erfasst, hat sich „Unterm Apfelbaum“ 4,5 Sterne verdient. Und als emotional berührter Zuschauer, der selbst zehn Jahre in einem sanierten idyllischen Fachwerkhaus am Bach im Grünen gewohnt hat, kann ich nicht umhin ebenfalls 4,5 Sterne zu geben.Soundtrack:
(1) Ed Sheeran & Andrea Bocelli („Perfect Sympathy“), Bright Eyes („First Day of My Life“)
(2) Awolnation („Im on Fire“), Gerd Baumann feat. Peter Horn („Something’s Rising“), Ingrid Michaelson („You and I“), Eels („I Like This Way This Is Going“)
Foto: ZDF / Bettina Müller
Warum in die Ferne schweifen, wenn das Schöne liegt so nah?! Eine Überlegung, die nicht zuletzt wohl auch aus der Corona-Pandemie und den Unwägbarkeiten bei Auslandsdrehs resultierte. Die neue „Herzkino“-Reihe „Unterm Apfelbaum“ sucht den Sehnsuchtsort um die Ecke, dort, wo die Autorin und Creative Producerin Astrid Ruppert („Obendrüber da schneit es“) ihre Heimat gefunden hat. „Hier plätschert noch die Mühle am rauschenden Bach“, schreibt sie im Presseheft. „Im Vogelberg gibt es so viel Fachwerk, dass man fast Sehstörungen bekommen kann.“ Sie hat recht, das erkennt man in den sich wiederholenden Ortstotalen. Das riecht ein bisschen nach Vorgestern, nach glorifizierter Heimat, nach Landlust-Idyll. Doch dieser Geruch ist rasch verflogen. Diese beiden Filme schmecken vorzüglich (jedenfalls dem diesem Genre zugeneigten Kritiker) und wirken belebend im Nachgang. Unter der Regie von Tomasz Rudzik (Kinofilm „Agnieszka“, 2014) und mit der Kamera von Enzo Brandner („Ein Sommer“-Reihe) können Sehnsüchte ganz ohne Kitsch-Momente ausgelebt werden. Die Natur wird in der zweiten Episode, deren Frühlingswiesen-Szenen dem Titel alle Ehre machen, gefeiert, aber weitgehend realistisch eingefangen, wirken nicht ausgestellt. Es gibt keine übertrieben sonnendurchflutete Bilder, was zu dieser Geschichte um Trauer, Neuorientierung und Aufbruch auch nicht gut passen würde.
Realismus ist ein großer Begriff, es gibt verschiedenste Realismus-Konzepte – aber es gibt kaum eine TV-Reihe der letzten Jahre die näher dran ist an den kleinen, vermeintlich banalen Dingen des Alltags, die das (Zusammen-)Leben ausmachen. Aus den Stimmungslagen der Frauen ergeben sich die Plot-Points der Geschichte. Keine „Herzkino“-Reihe, nicht einmal die Glanzlichter „Ella Schön“, „Ein Tisch in der Bretagne“ und „Nächste Ausfahrt Glück“, kommen mit so wenig klassischer Unterhaltungsfilm-Handlung aus wie „Unterm Apfelbaum“. Keine juristischen oder medizinischen Fälle, keine künstlich aufgebauschten Probleme (wenn ein Kind vom Gerüst fällt, dann genauso im Off wie die anschließende Versorgung), keine familiären Altlasten aus der Vergangenheit. Und dramaturgisch gilt: miteinander reden und sich lieber früher als zu spät zu entschuldigen, noch bevor daraus ein Pseudo-Konflikt gedrechselt wird, wie es leider in den meisten „Herzkino“- und „Endlich Freitag“-Filmen immer noch gang und gäbe ist. „Veränderung tut gut“, heißt es im Film immer wieder. Das sollten sich auch die Macher und Redakteure von Produktionen der leichten Gangart zu Herzen nehmen. Astrid Ruppert schafft es: Die Figuren sind das Maß aller Dinge.
Foto: ZDF / Bettina Müller
Da ist Frieda, die ihr altes Leben vermisst und die zwischen leiser Depression und immer wieder gebremstem Neuanfang schwankt. Therese Hämer („Schnitzel“-Reihe, „Stralsund“), die Frau für die tragenden Nebenrollen, darf zeigen, dass ihr auch eine Hauptrolle gut zu Gesicht steht: dieser entrückte, immer irgendwie fragende, leicht irritierte Blick – große Klasse. Die 23jährige Lotte Becker, bereits als Kind in Niki Steins Sozialdrama „Der große Tom“ (2007) zu sehen und bisher vor allem im Serienbereich aktiv, ist für den Fernsehfilm-Kritiker eine absolute Entdeckung: Power, Ausstrahlung, Natürlichkeit – perfekt besetzt als Zimmerin. Gleiches gilt für Saman Giraud, Österreicherin mit iranischen Wurzeln. Sie ist in „Unterm Apfelbaum“ die Frau mit den vielen Gesichtern: anfangs streng, reserviert, besserwisserisch, später – wenn ihre seit Kindertagen elternlose Figur sentimentale Anflüge bekommt – werden ihre Augen feucht, aber sie hat auch Gründe zum Lächeln. Auch zwei tragende Nebenrollen bleiben in Erinnerung. Frida-Lovisa Hamann („Charité“ II) als Friedas Tochter, die trotz Übergriffigkeit menschlich sein darf, zwei intime Szenen mit Hämer hat und die die alltagsnahen Momente mit Mann (David Vormweg) & Kids spielt wie im echten Leben. Und auch Dennis Schigiol als Schlossgärtner sticht nicht allein wegen seiner liebenswerten Figur oder seines coolen Hauses inmitten eines romantischen Biotops hervor.
Neben dem Sympathiebonus und der erfrischenden Art der Interaktion zwischen robust & einfühlsam resultiert der Reiz des besagten Character Driven bei dieser Reihe aus den figureneigenen Rollenkonflikten – bei Frieda beispielsweise zwischen Witwe, Hofbesitzerin, Mutter, Freundin. Die Kollisionen in Jasmins Persönlichkeit sind ein Kuddelmuddel aus Tradition und Emanzipation, Perfektionismus und Sentimentalität. In der Kommunikation der drei Frauen entsteht durch die spezifische Generationen-Gender-Kultur-Konstellation immer wieder (beiläufig!) ein wunderbares Spiel mit gesellschaftlichen Stereotypen. Das kristallisiert sich am widersprüchlichsten in Jasmin, der kosmopolitischen Frau mit türkischen Wurzeln, die das Familienideal hochhält, in Sachen Korrektheit und Paragraphenhörigkeit aber deutscher als deutsch ist. Ausgerechnet sie ist noch Single und wundert sich über die rückständigen Traditionen im Dorf. Auffallend auch an den beiden Filmen: Ansichten werden nicht im Handumdrehen gewechselt, persönliche Konflikte lösen sich nicht in Wohlgefallen auf. So gibt es zwischen Tinka und ihrer Mutter, die nach der geplatzten Hochzeit zum Bräutigam hält anstatt zu ihr, nach einer kurzen Annäherung die Erkenntnis, dass es zwischen den beiden einfach nicht passt. Angenehm erwachsen und alltagsnah ist auch der Umgang zwischen Frieda und ihrer Tochter. Kein Donnerwetter, nur kurzzeitiges Unverständnis, dann stille Einsicht. Familie schließt Freundschaft nicht aus und umgekehrt. Hämer und Hamann benötigen nicht viele Worte, Blicke zeugen nachhaltiger von tiefem Einverständnis. „Alles fließt“, so das explizite Mantra der zweiten Episode („Panta Rhei“). Dramaturgisch könnte es aber auch über beiden Filmen stehen, deren Stärke es ist, dem Alltag beim So-Sein zuschauen. Man kann nur hoffen, dass das ZDF selbst bei mittelmäßigen Quoten Therese Hämer, Lotte Becker und Saman Giraud noch einmal „Unterm Apfelbaum“ Platz nehmen lässt.
Foto: ZDF / Bettina Müller