Tatort Bundeswehr: Bei einem Artillerie-Test rennt der junge Offizier Thorsten Wemmer durchs Zielgebiet und wird durch Granatsplitter schwer verletzt. Während er im Koma liegt, erregt sein Vater Max (Ulrich Noethen) sieben Tage später durch ein Webvideo öffentliches Aufsehen. Vor der Kaserne zündet er die deutsche Flagge an und hält ein Schild in die Kamera: „Mein Sohn ist Opfer von Lügen der Bundeswehr“. Dass dies keine Hirngespinste sind, davon darf man in der „Unter Verdacht“-Reihe ausgehen. Um den Kampf Klein gegen Groß und um die verborgene Kumpanei von Politik und Wirtschaft geht es auch im 29. Film. „Verschlusssache“ ist der vorletzte Fall für die interne Ermittlerin Eva Prohacek, und Senta Berger hat hier mit Ulrich Noethen einen Spiel-Partner, der dem Film durch die vielschichtige Darstellung eines aus der Bahn geworfenen Vaters eine besondere Not gibt.
Der pazifistische Vater weckt gleichzeitig Mitleid & Abwehr
Max Wemmer sucht verbissen nach der Wahrheit und geht den Leuten auf die Nerven. Er war selbst Kriegsdienstverweigerer und nennt sich einen Pazifisten. Seinem Sohn hatte er verübelt, dass der sich als Zeitsoldat verpflichtete. Und als Max‘ Frau vor einem Jahr an Krebs gestorben war, habe der Vater dem Sohn sogar vorgeworfen, dass er der Mutter das Herz gebrochen habe. „Die beiden hassten sich“, behauptet Thorstens Ex-Freundin (Friederike Ott), die sich auch bei der Bundeswehr verpflichtet hatte. Noethen stattet diesen Wemmer mit einer verzweifelten Entschlossenheit aus. Die Figur weckt gleichzeitig Mitleid und Abwehr, gerade auch bei Eva Prohacek, die einst ebenfalls ihren Sohn verloren hatte. Das eigene tragische Vorleben von Kommissaren in den Fällen zu spiegeln, ist Krimi-Routine. Aber wie Senta Berger den ambivalenten Gefühlen der Prohacek gegenüber Max Wemmer mit stummen Blicken & Gesten Ausdruck verleiht, und wie Noethen die innere Not und die Unbeholfenheit seiner Figur spielt, ist ganz stark. Prohacek, die die Erinnerungen an die eigene Tragödie gut unter Verschluss hält, scheint sich mit Wemmer zu solidarisieren, fürchtet aber gleichzeitig seine Versuche freundschaftlicher Annäherung. Vielsagend etwa die Szene in den letzten Film-Minuten, in der sie den Dank Max Wemmers nur zurückweichend entgegennehmen kann.
In die Ermittlungen mischt sich der MAD ein
„Verschlusssache“ bietet darüber hinaus die gewohnte „Unter Verdacht“-Qualität, ist also kein Allerweltskrimi, auch wenn mal ein typisches Ablenkungsmanöver und ein etwas zu auffällig platzierter Hinweis dabei sind. Dass Thorsten seit einiger Zeit Antidepressiva nahm, scheint anfangs die nahe liegende Selbstmord-Theorie zu bestätigen. Aber das Naheliegende ist im Krimi selten die Lösung. Dafür darf man sicher sein, dass es noch eine wichtige Rolle spielen wird, dass Thorstens Handy beim Krankentransport auf den Boden gefallen war und von Oberst Reibl (Johannes Zirner), der den Feuerbefehl während des Artillerietests erteilt hatte, an sich genommen wurde. Aber bei alldem geht es weniger um das Whodunit als um das Warum, weniger um vordergründige Krimi-Spannung als um die persönlichen Dramen, die Motive und inneren Konflikte der Figuren. Das Drehbuch von Mike Bäuml („Unter Verdacht – Ein Richter“) lässt sich auch einige Zeit, bis das Thema eingeführt wird, das den gesellschaftskritischen Hintergrund des Films bildet: den Streit um Punktzielmunition, die von der Bundesregierung nicht als Streumunition eingestuft wurde und deshalb verkauft werden darf. Dies wird auf bewährte „Unter Verdacht“-Weise verhandelt: Die Bundeswehr vertuscht die Fakten ihres Artillerie-Tests, und als Prohacek und ihr treuer Helfer Langner (Rudolf Krause) beginnen, lästig zu werden, taucht eine Agentin (Hanna Scheibe) des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) samt Gefolge im Büro von Dr. Reiter (Gerd Anthoff) auf.
Dank Reiters Affäre sitzt Prohacek mal am längeren Hebel
Das alte Spiel zwischen Prohacek und Reiter beginnt – mit der schönen Variante, dass Prohacek am Ende mal am längeren Hebel sitzt. Denn der mittlerweile geschiedene Reiter erlebt dank einer Zufallsbekanntschaft, die auf kuriose Weise eingefädelt, besser gesagt: eingehakt wird, einen zweiten, die Spesen-Abrechnung arg belastenden Liebesfrühling. Vielleicht ist es ein bisschen des Guten zu viel, dass Susanne Delgarde (Katja Weitzenböck) auch noch indirekt mit dem Fall zu tun hat, aber die Reitersche Affäre hat eine unerwartete Schlusspointe. Und dann sind da noch die Rüstungsindustriellen, gespielt von Felix Vörtler und Peter Kremer – typische Klischeefiguren von mächtigen, gewissenlosen Wirtschaftslenkern, die aber schön böse in die Handlung eingebunden sind und nichts weiter tun, als dem Reiter ab und zu mal über den Weg zu laufen und die Prohacek ganz entspannt abblitzen zu lassen. Oder die Schlangen im Terrarium zu füttern. Der Part des investigativen Journalismus‘ wird dagegen von einer Frau repräsentiert, gespielt von Katja Bürkle.
Gewissensfragen und eine ehrenwerte Botschaft zum Schluss
„Verschlusssache“ ist kein stumpfer Themenfilm, der einfach nur deutsche Waffengeschäfte anprangert und in den Dialogen umfangreiche Informationen über Munitionstypen unterbringt, sondern ein hochmoralischer Film, der auf verschiedenen Ebenen Fragen ans menschliche Gewissen stellt. „Das ist so im Leben: Man muss sich entscheiden“, sagt die Prohacek etwas ungeduldig zu ihrem Kronzeugen, der die Konsequenzen fürchtet und zögert. Auch der von einem schlechten Gewissen geplagte Oberst Reibl steht vor diesem Grundkonflikt: Was bin ich bereit aufzugeben, damit die Wahrheit ans Licht kommt? Die steigende Spannung ist aber insbesondere der Figur Max Wemmers zu verdanken, deren Zustand immer fragiler wird und die am Ende nichts mehr hat, was sie noch verlieren könnte. Auf den häufig erlebten Spaß, wie Prohacek und Langner die Großkopferten im Schlussverhör vor- & überführen, muss das Publikum in dieser nicht gerade optimistischen Folge verzichten. Aber mit einer letzten Volte bleibt die ehrenwerte Botschaft, dass ein unabhängiger, kritischer Journalismus unverzichtbar ist. Auch im vorletzten Film mangelt es der Reihe nicht an aufrechter, demokratischer Haltung, ohne ihre Zuschauer zu langweilen oder mit erhobenem Zeigefinger zu nerven.