„Dieser Presserummel, das bin doch nicht ich.“ Kommissar Langner wird öffentlich als Held gefeiert. Die Bayerische Verdienstmedaille winkt ihm und eine Kampagne zum Thema Zivilcourage soll sein Gesicht tragen. Grund: Als zwei türkische Jungs zwei deutschen Kids das Handy abnehmen wollen, geht Langner dazwischen. Begleitet von wüsten Beleidigungen des 17-jährigen Aslan stürzt der Kommissar wenig später die Bahnhofstreppe hinunter. Folge: Schädelhirntrauma und retrograde Amnesie. Die Jungen streiten die Tat ab; ein Handy-Video bietet keine klaren Beweise. Dennoch forciert der Staatsanwalt, der mit dem Fall ein Exempel statuieren will, die öffentliche „Heldenverehrung“ Langners. Fehlt nur noch dessen Aussage. Doch der hat auch nach zwei Wochen immer noch diese kleine Gedächtnislücke. Fatal, dass in dieser Situation ausgerechnet Dr. Prohacek gegen ihren Kollegen ermitteln muss. Denn Langner hat bei einer Anhörung einem türkischen Anwalt die Nase blutig geschlagen. „Körperverletzung im Amt“, befindet sie, „ein Polizist darf sich nicht provozieren lassen…“
Foto: ZDF / Erika Hauri
Das Verhältnis der beiden internen Ermittler ist gestört im neuen Krimi aus der ZDF-Reihe „Unter Verdacht“. Langner wird beurlaubt und verfällt in Schwermut. „Der Reiter hat mehr Verständnis für mich als Sie“, schleudert er seiner Chefin entgegen. Für Prohacek gibt es lange Zeit kein Rankommen an den zutiefst Gekränkten. Doch irgendwann, nach gut 50 Filmminuten, lenkt Prohacek ein und entschuldigt sich. Sie erkennt, ohne Langner kommt sie nicht weiter. Und dieser weiß, dass er es gegen Staatsanwalt Barnabas und Ministerialdirigent Haberfeld, die ihn, den unbrauchbaren Zeugen, öffentlich zum Opfer („Hirnschaden. Held läuft Amok“) stempeln wollen, allein nicht aufnehmen kann. Dennoch bleibt der höchst labile Kriminalhauptkommissar ein Sicherheitsrisiko. Als die „Schau nicht weg!“-Kampagne ein Schuss in den Ofen zu werden droht, verfolgt der Staatsanwalt einen perfiden Plan.
„Türkische Früchtchen“ ist ein thematisch komplexer, dramaturgisch starker und dicht inszenierter Krimi ohne klassischen Mord, der über 80 Minuten sogar ganz ohne Leiche auskommt. Vielmehr werden in dem Film von Martin Weinhart („Schiller“) Politik und Psyche sehr geschickt kurz geschlossen. Und was die türkischen Wut-Kids („Fick dich, du Bullenpisser!“) können, das kann der deutsche Staatsanwalt schon lange: Stimmung machen, herumbrüllen (zu Dr. Reiter: „Ich kann Ihre Fresse nicht mehr sehen!“) und letztlich auf eine Strategie verfallen, die einem politischen Amoklauf gleichkommt. Unaufgeregt, wenngleich zwischendurch recht hilflos, ermittelt hingegen Senta Bergers Dr. Prohacek. Gerne würde die Polizeirätin denen da oben mal so richtig ans Bein pinkeln, doch letztlich noch wichtiger ist es ihr, mit Langner wieder ein freundschaftlich-vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen.
Foto: ZDF / Erika Hauri
Diese 21. „Unter-Verdacht“-Episode macht der ZDF-Premium-Reihe alle Ehre. Der klug konstruierte 90-Minüter schließt an die optisch starken Filme der Frühphase an. Anders als in den ZDF-Krimidramen am Montag, in denen zumeist bedeutungsvoll blickende Gesichter den Ton angeben, legt Kameramann Jo Heim Wert auf stimmungsvolle Bildkompositionen. Das trifft sich gut. Denn Langner-Darsteller Rudolf Krause, der hier einmal stärker aus dem Schatten Senta Bergers heraustreten darf, hat nicht nur ein unverkennbares Gesicht, er besitzt auch eine außergewöhnliche Körperlichkeit, eine Schlaksigkeit, die stark an Karl Valentin erinnert. Überdies geht es um Politik, das Gesellschaftliche, das Große und Ganze. Da bieten sich stimmungsvolle Totalen an. Und da sind sie wieder, die leeren Gänge, das fahle, graue Licht, das auf die kühle, gläsern-metallige Architektur fällt oder auch auf Langner, der in diesen Gängen steht: isoliert, vereinsamt, verlassen, geknickt. (Text-Stand: 14.10.2013)