Eine Hochhaussiedlung: Der neunjährige David vermisst seinen Hund. Ältere Nachbarskinder führen ihn in einen dunklen Schacht unter der Straße, wollen ihm dort etwas zeigen (was den Zuschauern verborgen bleibt). Wenig später wird David tot in der Wohnung gefunden – erhängt. Ein Neunjähriger soll Selbstmord begangen haben? Die Polizei verdächtigt die völlig aufgelöste Mutter, ihr Kind umgebracht zu haben, zumal die Familie beim Jugendamt schon seit Jahren aktenkundig ist. Und Davids älterer Bruder belastet seine Mutter im Verhör ebenfalls. Die interne Ermittlung hat nur indirekt mit dem Fall zu tun: Dr. Prohacek und Kollege Krause sollen untersuchen, ob beim Jugendamt ein Fehlverhalten vorliegt.
Die so häufig zu Recht gelobte ZDF-Samstagskrimi-Reihe „Unter Verdacht“ wartet erneut mit einer herausragenden Folge auf: „Mutterseelenallein“ ist mehr Familiendrama als Krimi, auch wenn der „Whodunit“ hier durchaus eine Rolle spielt. Denn Prohacek stößt schnell auf Fehler bei den Ermittlungen der Kriminalpolizei. Die bereits öffentlich als Kindsmörderin gebrandmarkte, alleinerziehende Mutter muss wieder freigelassen werden, aber die Selbstmordtheorie glaubt Prohacek ebenfalls nicht. Parallel dazu tauchen Ungereimtheiten beim Jugendamt auf. Was hat sich wirklich zugetragen? Das Drehbuch hält die Spannung auch ohne eine Vielzahl an dramatischen Höhepunkten hoch. Es tastet sich eher behutsam in dieser Tragödie voran, bis es in der Welt einer an Depressionen leidenden Mutter ankommt.
Foto: ZDF / Erika Hauri
Ursula Strauss ist in dieser Rolle grandios: verzweifelt, bemitleidenswert, aber auch aggressiv und bedrohlich. Und mit Mut zur Hässlichkeit. Dem Publikum wird es schwer gemacht, ein schnelles Urteil über diese Figur zu fällen. Da ist es zu verschmerzen, dass einige Dialogsätze zum Beispiel zur Arbeit und Überlastung des Jugendamts leichten Vortragscharakter haben. Ungewöhnlich und stark wiederum das Ende, das auf eine explizite Auflösung der Tat verzichtet. Den einzig möglichen Schluss zu ziehen, bleibt den Zuschauern überlassen.
Die Besonderheit der Reihe, das bissige Sezieren der weißblauen Spezerlwirtschaft, kommt hier vergleichsweise kurz. Und auf den komödiantischen Einschlag wird (fast) völlig verzichtet. Die veränderte „Temperatur“ in der Inszenierung erscheint – angesichts des traurigen Themas und des extremen Falls – angemessen. Selbst die Reibereien zwischen Prohacek, die sich mal wieder ungefragt einmischt, und dem notorischen Karrierebastler Reiter – diesmal hofft er auf den Posten des Polizeipräsidenten – bleiben ohne den gewohnt spöttischen Unterton. Dafür überrascht Reiter damit, seiner Kollegin im entscheidenden Moment den Rücken zu stärken und gleichzeitig die eigenen Karriere-Chancen in den Wind zu schreiben. Ein geradezu befreiender Ausbruch – und eine schöne Variante in der Film-Vita dieser elementaren Figur. Der Ton bleibt ernster als sonst, zugleich bleiben die persönlichen Befindlichkeiten der Ermittler angenehmer Weise weitgehend außen vor. Die Konzentration gilt dem Fall und der Suche nach einer Erklärung für diese schwer fassbare Familientragödie.
Hilfreich dabei ist auch die bemerkenswerte, vielseitige Kamera, die häufig die Perspektiven wechselt. Die den Protagonisten mal mit großem Abstand, mal aus großer Nähe folgt. Die die Siedlung mit nüchternem Blick für geometrische Formen kühl abmisst und die mit wackliger Handkamera mitten im Geschehen Stimmungen einfängt. Da gibt es kaum eine Einstellung, die nach konventionellem Fließband-Fernsehen aussieht. Das Licht, das bewusst eingesetzte Wechselspiel aus Hell und Dunkel, die Überblendungen, die manche Szenen verfremden, tun ein übriges. Die Bildsprache setzt nicht auf puren, scheinbar objektiven Realismus, sondern auf Empfindungen, Atmosphäre, den subjektiven Blick. (Text-Stand: 15.3.2014)