Unter Verdacht – Grauzone

Senta Berger, Krause, Anthoff, Herzog. Der Luxus, nicht nur Krimi sein zu müssen

Foto: ZDF / Barbara Bauriedl
Foto Tilmann P. Gangloff

Erneut wird „Unter Verdacht“ dem Ruf gerecht, eine der herausragenden Krimi-Reihen im deutschen Fernsehen zu sein. Dabei gelingt Andreas Herzog nach dem Buch von Isabel Kleefeld & Oliver Pautsch das Kunststück eines Themenfilms, der sein Anliegen nie vor sich herträgt. Gerade auch dank einer ausgezeichneten Bildgestaltung ist „Grauzone“, Herzogs vierter Beitrag zu der ZDF-Reihe, ein jederzeit fesselnder Film über Pflegemissbrauch.

Wenn sich ein Film eines konkreten Missstands annimmt, spricht man gern von einem „Themenfilm“. Dem Begriff haftet allerdings ein gewisses Stigma an, erst recht, wenn es sich um einen Krimi handelt: Hier liegt der Verdacht besonders nahe, dass ein sperriges Thema unterhaltsam verpackt worden ist, weil es als Drama womöglich keine Zuschauer finden würde. Auch „Grauzone“ aus der stets herausragenden, Grimme-Preis-gekrönten Interne-Ermittler-Reihe „Unter Verdacht“ (ZDF) ist letztlich ein Themenfilm, aber das Drehbuch von Isabel Kleefeld und Oliver Pautsch ist ein Musterbeispiel dafür, wie man eine Geschichte erzählt, ohne den Krimirahmen wie eine Mogelpackung wirken zu lassen. Interessanterweise kommt der Film trotzdem fast komplett ohne die üblichen Versatzstücke des Genres aus; aber „Unter Verdacht“ steht ohnehin nicht für Verfolgungsjagden und Schießereien.

Unter Verdacht – GrauzoneFoto: ZDF / Barbara Bauriedl
Ein schwerer Fall für die Pflegerin: Oleg Kindrachuk (Ryszard Ronczewski) wird von Pflegerin Dagmar (Eva Gosciejewicz) zurückgehalten.

„Grauzone“ leistet sich zudem den Luxus, zunächst überhaupt kein Krimi zu sein. Genau genommen gibt es anfangs nicht einmal eine Geschichte, sondern nur die Intuition einer Kriminalrätin: Ein Mann rennt auf die Straße und wird überfahren. Sein Bruder, Peter Söllner (Marc Oliver Schulze), erhält die Nachricht, als er sich im Keller des Polizeipräsidiums einer unangenehmen Vernehmung durch Eva-Maria Prohacek (Senta Berger) unterziehen muss: Der Streifenpolizist ist bei der Verkehrskontrolle eines alkoholisierten Landtagsabgeordneten aus der Rolle gefallen und handgreiflich geworden. Weil sein Bruder Max als Controller für das Sozialreferat gearbeitet hat, gehen Prohacek und ihr Kollege Langner (Rudolf Krause) auch diesem Fall nach – und stoßen schließlich erneut auf den Abgeordneten: Opernfreund Hubert Cuntze (Jürgen Tarrach) ist nebenbei Geschäftsführer einer großen Immobilienfirma (Jürgen Tarrach), in deren Fonds auch Prohaceks Vorgesetzter Claus Reiter (Gerd Anthoff) investiert hat. Das Unternehmen trägt den schönen Namen La Traviata und unterhält enge Beziehungen zu einem Pflegedienst; und diese Verbindung hat die Neugier von Max Söllner geweckt.

Beinahe genüsslich lässt das Drehbuch die Katze nur stückchenweise aus dem Sack. Der von Andreas Herzog bildsprachlich mit großer Sorgfalt inszenierte Film nimmt sich viel Zeit, um sein Szenario zu entwerfen. Auf diese Weise wird beispielsweise Ryszard Ronczewski, der wunderbare Hauptdarsteller aus „Kaddisch für einen Freund“, als pflegebedürftiger Deutschrusse zum Protagonisten eines eigenen Erzählstrangs. Und auch Reiter bekommt selbstredend seine Momente; den Opportunisten verschlägt es wieder mal eher zufällig auf die Seite der Guten. Gern unterschätzt wird auch der Anteil von Rudolf Krause, der nicht zuletzt dank seiner großen Begabung für Körpersprache weit mehr ist bloß Senta Bergers Stichwortgeber. Bei vielen anderen Schauspielern wäre ein Vortrag über Pflegemissbrauch, den Langner seinem bornierten Chef hält, zu einem jener Referate geworden, in denen Filme dieser Art ihr Anliegen wie ein Transparent vor sich her tragen; in früheren Jahren pflegte gerade der „Tatort“ aus Köln seine Botschaften entsprechend unsubtil zu verpacken. Krause und Berger verleihen „Grauzone“ sogar einige ungewohnt komödiantische Momente, bei denen Reiter und der Zwetschgendatschi seiner Frau eine gewisse Rolle spielen.

Unter Verdacht – GrauzoneFoto: ZDF / Barbara Bauriedl
Dr. Reiter mischt sich aus gutem Grund unter die Großkopferten. Gerd Anthoff & Jürgen Tarrach

Ansonsten aber ist auch dieser 23. Film aus der häufig mit Arte koproduzierten ZDF-Reihe nicht zuletzt des Themas wegen eine ziemlich ernste Angelegenheit, und der frühere Cutter Herzog – er hat zuletzt die beiden „Metzger“-Filme sowie „Mörderhus – Der Usedom-Krimi“ inszeniert – etabliert sich immer mehr als Garant für überdurchschnittliche Krimi-Unterhaltung; „Grauzone“ ist bereits sein vierter Beitrag für „Unter Verdacht“. Die Bildgestaltung besorgte dabei jedes Mal Wolfgang Aichholzer, der den gemeinsamen Filmen auch dank der Musik von Sebastian Pille eine ganz spezielle Atmosphäre verleiht.

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

Arte, ZDF

Mit Senta Berger, Rudolf Krause, Gerd Anthoff, Marc Oliver Schulze, Sarah Lavinia Schmidbauer, Ryszard Ronczewski, Jürgen Tarrach, Maria Mägdefrau, Juta Vanaga

Kamera: Wolfgang Aichholzer

Szenenbild: Christian Kettler

Schnitt: Gerald Slovak

Musik: Sebastian Pille

Produktionsfirma: Eikon Media

Produktion: Mario Krebs

Drehbuch: Isabel Kleefeld, Oliver Pautsch

Regie: Andreas Herzog

Quote: ZDF: 5,28 Mio. Zuschauer (18,7% MA)

EA: 13.03.2015 20:15 Uhr | Arte

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach