„Es war deine Waffe. Wir haben die Projektile. Ein Irrtum ist ausgeschlossen, Claus.“ Dr. Reiter steckt in der Klemme. Ein Schüler eines Elite-Internats liegt im Koma, er wurde angeschossen – die Kugeln stammen aus der Dienstwaffe des Leiters der Internen Ermittlung. Kriminalrätin Eva Maria Prohacek muss gegen ihren eigenen Chef vorgehen. Der schweigt, wird suspendiert und in Nullkommanichts von seinen bajuwarischen Spezerln fallengelassen. Kollege Langner hat plötzlich Oberwasser und noch einige Rechnungen offen mit seinem ehemaligen Vorgesetzten. Dr. Prohacek übernimmt peinlich berührt die kommissarische Leitung. Sie glaubt nicht, dass Reiter auf einen Jugendlichen schießen könnte. Für sie gilt die Unschuldsvermutung – auch für den, der ihr jahrelang das Leben so schwer gemacht hat.
„Unter Verdacht“, gleich zum Start 2002 mit dem Grimme-Preis dekoriert, ist eine Krimi-Reihe, die bislang nie in „business as usual“ verfallen ist. Jeder Film um die ebenso toughe wie verletzliche Nestbeschmutzerin entwickelt eine Eigenart: mal war die kriminelle Energie der blauweißen Bourgeoisie besonders enervierend, mal standen internationale Verschwörungstheorien auf der Agenda, mal kam Beamtenkorruption in einem knallharten Thriller daher, mal durfte geschmunzelt werden ob jener Bussi-Schickeria, wie man sie nur in Bayern findet. Mehrfach schwebte die Heldin in Lebensgefahr und ein Mal saß sie beim Verhör auf der anderen Seite, war selbst Beschuldigte. Jetzt ist es Dr. Reiter, der aalglatte Beamten-Bonvivant, der sich in die Enge getrieben sieht und in tiefe Depression verfällt.
„Der schmale Grat“ funktioniert anders als die bisherigen Episoden dieser Ausnahmereihe. Reiter fällt aus als ekelhaft-süffisanter Gegenspieler der beiden aufrechten Kämpfer für Gerechtigkeit und soziale Gleichstellung. Die anderen Großkopferten haben nicht sein Charisma. Ihr Druck von oben ist ein anderer, als der des Beamten, der so wunderbar nach oben buckelt und gezielt nach unten tritt. Auch wenn manch ein Zuschauer die Schleimspur Reiters vermissen wird und Langners Übermotivation dramaturgisch etwas simpel gestrickt ist, so gibt es genug, was Achim von Borries’ Film zu einem besonderen Krimi macht. Das elitäre Gehabe im Internat, der Ekel vor dem Zeitgeist, die Prohacek zutiefst suspekt sind, bilden den ideologischen Nährboden, auf dem die Geschichte von Bettine von Borries fußt.
„Diese Welt ist ein furchtbarer Ort – willkommen auf unserer Arche“, begrüßt Pater Benedikt, der Meinungsführer des Klosterinternats, die Münchner Ermittlerin. Man spürt, wie sich Prohacek unwohl fühlt. Auch die Klassenkameraden des angeschossenen Jungen, der als Außenseiter galt, jagen ihr einen Schauer über den Rücken. Besonders lässt sie diese kalte Welt der Regeln und der tief sitzende Gedanke einer moralischen Überlegenheit frösteln. Für diese Gegenwelt fanden die Macher stimmungsvolle Bilder. Das Internat liegt mitten im Chiemsee. Die schlafende Natur, der Nebel und das Internat, das sich wie eine Festung ausnimmt, tun ein Übriges, um diesen Krimi über den Aufstand der „Schwachen“ in die passende Atmosphäre zu tauchen. Spannend für die Zukunft bleibt, ob Dr. Reiter sich künftig wieder auf seine politischen Spezerln verlassen kann oder raus ist aus dem ganz großen Spiel?