„Ein unverhohlener Thriller über die Macht von Familiengeheimnissen“, urteilte „Die Welt“ über Aelrun Goettes Debüt-Spielfilm „Unter dem Eis“. „Garantiert beunruhigend“, lobte die „FR“. Und die Grimme-Preis-Jury schrieb 2007 den lobenden Schlussakkord für diesen vermeintlich kleinen Film mit ebenso kleinem Budget und noch kleinerer Kinoauswertung: „ein herausragender Film, ein schonungslos intensives Kammerspiel hinter den Fensterfronten eines schneeweißen Bungalows – unmittelbar, dicht und ergreifend.“
Irgendwo am Stadtrand Berlins. Jenny und Michael erhoffen sich mit ihrem siebenjährigen Sohn Tim ein ruhiges Leben und ein kleines Stück vom großen Glück. Doch damit ist es bald vorbei. Eines Abends lässt der Vater, ein stressgeplagter Ermittler bei der Polizei, die Akten eines aktuellen Falls aus Versehen im Wohnzimmer liegen. Der kleine Tim wagt einen Blick – und ihm fallen sofort die Fotos einer Mädchenleiche im Wald ins Auge. Er fragt seinen Vater, ob das Mädchen tot sei? „Nein, sie schläft nur“, entgegnet dieser. „Und warum hat sie eine Plastiktüte über dem Kopf?“, will der Junge wissen. „Das ist ein Spiel.“ Am nächsten Tag trifft sich Tim mit seiner Freundin Luzi. Die beiden gehen in den Wald – „Schlafen spielen“.
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„Sperrt mich Papa jetzt ins Gefängnis?“, fragt der Siebenjährige seine Mutter. Sie, die den Jungen darauf eingeschworen hat, niemandem etwas von dem Spiel mit tödlichem Ausgang zu verraten, will daran glauben, dass sich durch Vertuschen und Verdrängen der vermeintliche Glückszustand der Familie erhalten lässt. Die zunehmende Sprachlosigkeit zwischen Jenny und Michael, den Timmy mehr und mehr zum Buhmann stempelt, weil er die Symbiose zwischen ihm und seiner Mutter stört, lässt erahnen, dass es mit dem Glück in dieser Familie wohl nie allzu weit her war. Lügen bestimmen die Ehe, das Leben ist eine Fassade, im Kern ist es leer. Symbolisiert werden die unerträglichen Zustände in der Familie durch jenen weißen Bungalow, der Traumschloss sein sollte und jetzt nur noch Gefängnis ist.
„Wir erleben eine Familie, die Konflikte nicht lösen kann“, betont Regisseurin Aelrun Goette, „die Figuren haben kein inneres Zuhause, sie haben nur eine Vorstellung davon, wie das richtige Leben aussehen sollte.“ Goette, die bereits für den Dokumentarfilm „Die Kinder sind tot“ einen Bundesfilmpreis in Gold erhielt, konnte sich bei ihrem ersten Spielfilm auf das ungemein präzise Drehbuch von Thomas Stiller stützen. Stilistisch schwebte ihr „eine Mischung von dokumentarischer Intensität und formaler Strenge“ vor. Bei ihrer Regie suchte sie vor allem die Nähe der Figuren. Mit Bibiana Beglau, Dirk Borchardt und dem Tim-Darsteller Adrian Wahlen fand sie das passende Trio für ihren Abgesang auf die Familie. Und Kameramann Jens Harant setzte die visuellen Akzente: präzise Blicke, kühle Farben, der Winter, die Beziehungen in ihrer ganzen Kälte. (Text-Stand: 9.7.2007)