Unter anderen Umständen – Liebesrausch

Wörner, Brambach, Krepper, Georgi, Kennel. Ein Krimi, der sich sehen lassen kann

Foto: ZDF / Simon Vogler
Foto Harald Keller

Eine Verkehrskontrolle, ein durchstartender Sportwagen, ein toter Polizist. Der dreizehnte Einsatz der Schleswiger Kriminalkommissarin Jana Winter beginnt als tragischer Routinefall, weitet sich dann aber zum eindringlichen und in mehrfacher Hinsicht grenzüberschreitenden Familiendrama. Die Episode „Liebesrausch“ der ZDF-Reihe „Unter anderen Umständen“ (Network Movie) krankt ein wenig an als Autorenmanipulation erkennbaren Plotpoints, überzeugt hingegen durch eine qualitative Kinematographie, die nicht selbstzweckhaft ästhetisiert, sondern psychologische Vorgänge verdeutlicht und kommentiert.

Nacht liegt über Schleswig-Holstein. Ein Jugendlicher kaspert am Ausgabeschalter eines Fast-Food-Restaurants herum. Am Bahnhof bestreut ein überglücklicher Mann (Andreas Pietschmann) in Erwartung seiner Liebsten seinen Sportwagen mit Blumen. Zwei Streifenpolizisten warten im Dunkeln auf den nächsten Einsatz. Frank Vogler zeigt der jüngeren Kollegin Erinnerungsfotos. Sie lässt es über sich ergehen. Die Jugendlichen von der Burger-Bude rasen vorüber, die Polizisten heften sich an ihre Reifen. Auch das Paar vom Bahnhof ist inzwischen unterwegs, beide völlig außer sich vor Verliebtheit. Draußen auf der Landstraße werden die jungen Verkehrsrowdys gestoppt und überprüft. Von hinten nähert sich ein Fahrzeug mit dänischem Kennzeichen. Hält an, will zurückstoßen, wird aber von einem Campergespann blockiert. Der Polizist Frank Vogler merkt auf, will sich den Dänen ansehen. Plötzlich prescht das Fahrzeug auf ihn zu, touchiert ihn, verschwindet im Dunkeln. Hilflos schickt Voglers Kollegin dem davonbrausenden Täterfahrzeug eine Kugel hinterher.

Die gleiche Szenerie bei Tag. Die Ermittlergruppe um Arne Brauner (Martin Brambach) nimmt sich des Falles an. Jana Winter (Natalia Wörner) stößt dazu. Sie kommt von einer Beerdigung, trägt noch schwarze Trauerkleidung. Ihr Sohn Leo schläft auf dem Rücksitz. Während sie die aufgewühlte Streifenkollegin vernimmt, bemerkt Winter, dass ihr Sohn die Szenerie mit dem Handy filmt ‒ die entsprechenden, durch härteren Kontrast erkennbaren Passagen werden in den Film eingebettet ‒ und stellt ihn zur Rede. Er verspricht, die Aufnahmen zu löschen. Das Tatfahrzeug steht nicht weit entfernt auf einem Waldweg. Auf der Haube und am Fenster finden sich frische Blutspuren. Ein Suchhund wird angefordert und führt die Beamten zum verlassenen Gebäude eines ehemaligen Ruderclubs. Der Fahrer sitzt tot in einer Waschrinne. Er wurde erschlagen. Jana Winter nutzt ihren Kontakt zu dem dänischen Kollegen Malte Larssen (Magnus Krepper). Obgleich das Kennzeichen des Fahrzeugs gefälscht war, kann er die Identität des Toten schnell ermitteln. Jana reist nach Kopenhagen, um mit Pernille (Lia Boysen), der Ehefrau des toten Deutsch-Dänen Karsten Rogge, zu sprechen.

Unter anderen Umständen – LiebesrauschFoto: ZDF / Simon Vogler
Am Tatort. Atmosphärisches Licht spielt wie so oft in der Reihe eine wichtige Rolle. Gelungen sind auch die visuellen Metaphern. Martin Brambach und Natalia Wörner

André Georgi („Tatort – Fette Hunde“ / „Schweigeminute“), der mit „Liebesrausch“ sein zweites Skript zur ZDF-Reihe „Unter anderen Umständen“ beisteuerte, verdichtet seinen Plot recht zügig und mit einem etwas ungelenken Kniff – ausgerechnet Leo Winter ist es, der beim Austreten auf den abgestellten Sportwagen stößt – und gelangt von der dramatisch verlaufenen Verkehrskontrolle zu einem Familiendrama, das in eine Tragödie mündet.

Der Filmtitel „Unter anderen Umstände“ bezog sich ursprünglich, im ersten Film, auf die Schwangerschaft der Hauptfigur, die mit der Schwangerschaft ihrer Darstellerin Natalia Wörner einherging. Mit der aktuell dreizehnten Folge geht die Krimireihe „Unter anderen Umständen“ (ZDF / Network Movie) in ihr elftes Produktionsjahr. So alt ist inzwischen auch Leo, der Sohn der Schleswiger Kommissarin. Das private Leben der Winters wird konsekutiv durcherzählt und liefert häufig den Hintergrund zu den Episodenhandlungen. Im Idealfall auf unaufdringliche, plausible Weise, denn natürlich bestimmt das eigene Erleben und Empfinden die Perspektive. So darf man inzwischen auch die „anderen Umstände“ verstehen. Oftmals bekommt es Jana Winter mit Fällen zu tun, die Kinder oder Jugendliche betreffen. Dies gilt auch für „Liebesrausch“. Eine Fünfzehnjährige verstrickt sich in eine fatale Affäre mit einem verheirateten Mann mit Borderline-Syndrom, der ihr eine aufregende Zukunft in Barcelona verspricht. Emma Drogunova spielt hier nach „Tod im Internat“ erneut die Lolita-Rolle. Das macht sie überzeugend, aber dieses Handlungsmotiv wurde in letzter Zeit – siehe unter anderem auch „Das Verschwinden“ – arg überstrapaziert, erscheint mittlerweile abgedroschen und wirkt zudem, selbst in seriöser Ausführung, immer ein wenig spekulativ.

Bei „Liebesrausch“ führte wie seit Beginn der Reihe Judith Kennel Regie. Als Kameramann stößt erstmals Moritz Anton („Fritz Lang“) zum Stab, als Stamm-Lichtbildner der Reihe „Nord Nord Mord“ fast so etwas wie ein Spezialist für Küstenkrimis. Aber nicht genüsslich abgeschwenkte Landschaften prägen diese Episode, Kennel und Anton entwickeln vielmehr sichtbar ein Faible für Nachtstimmungen. Dabei gelingen einige aussagestarke symbolhafte Einzeleinstellungen. Einmal sieht sich Jana Winter ins Unrecht gesetzt und wird durch die Windschutzscheibe eines Autos gezeigt. Es beginnt gerade zu regnen, die Tropfen auf dem Glas verzerren punktuell das Bild, eine Entsprechung zu ihrem in diesem Moment angekränkelten Selbstbild. Ähnlich heben Überblendungen und Schärfeverlagerungen innerhalb derselben Einstellung gleichwie angeschnittene Motive – nur wehende Haare im Wind, kein Gesicht – auf die visuelle Ebene, was sich gerade in den Figuren abspielt.

Unter anderen Umständen – LiebesrauschFoto: ZDF / Simon Vogler
Die Kommissare werden älter, da müssen in den Krimi-Plots zunehmend die Teenager ran. Und was die Besetzung angeht, setzt man gern auf bewährte Kombis wie Emma Drogunova (22) und Merlin Rose (24). Die spielten unlängst auch in „Tod im Internat“.

Wenn Jana Winter an der Seite von Malte Larssen in regnerischer Nacht mit dem Auto die kilometerlange Brücke über den Großen Belt überquert, dann erinnern die Bilder wohl nicht von ungefähr – Zitat oder Reverenz? – an die dänisch-schwedische Thrillerserie „Die Brücke – Transit in den Tod“, in der Magnus Krepper eine durchgehende Rolle spielte. Es ist nicht der erste ‚Brückenschlag‘ der ZDF-Reihe nach Skandinavien. 2011 war der dänische TV- und Kino-Star Lars Mikkelsen – ebenso wie Helene Egelund („Kommissarin Lund“) – in der Episode „Mord im Watt“ in einer Gast-Hauptrolle als dänischer Hamburger Polizeikollege zu sehen. Der Schwede Magnus Krepper stieß erstmals 2016 als der Kopenhagener Kordjackenträger Malte Larssen zum deutschen Ensemble. Eventuell mit Nachwirkungen – zwischen ihm und Jana Winter scheint sich etwas anzubahnen.

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Reihe

ZDF

Mit Natalia Wörner, Ralph Herforth, Martin Brambach, Magnus Krepper, Emma Drogunova, Andreas Pietschmann, Regula Grauwiller

Kamera: Moritz Anton

Szenenbild: Thorsten Lau

Schnitt: Jan Henrik Pusch

Musik: Jean-Paul Wall

Soundtrack: Eddie Vedder („Guaranteed“)

Redaktion: Daniel Blum

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Jutta Lieck-Klenke, Dietrich Kluge

Drehbuch: André Georgi

Regie: Judith Kennel

Quote: 6,88 Mio. Zuschauer (21,3% MA); Wh. (2019): 4,84 Mio. (17,2% MA)

EA: 04.12.2017 20:15 Uhr | ZDF

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