Unsichtbarer Angreifer

Emily Cox, Moschitto, Euler, Kubica, Martina Plura. Mein Haus, mein Feind

Foto: ZDF / Hardy Brackmann / Monika Plura
Foto Tilmann P. Gangloff

„Unsichtbarer Angreifer“ (ZDF / UFA) ist ein sehenswertes Thriller-Drama mit leicht dystopischem Science-Fiction-Touch: Psychotherapeutin Emma, nach dem Suizid einer Patientin ohnehin neben der Spur, muss sich mit ihrem plötzlich verrückt spielenden Smart Home herumplagen; und dann entwickelt auch noch die von ihr selbst entworfene Therapie-App ein Eigenleben. Emily Cox ist sehenswert wie stets, die Zwillingsschwestern Martina Plura (Regie) und Monika Plura (Kamera) sorgen mit Hilfe von Musik und Sounddesign für eine zunehmend bedrohliche Atmosphäre, gelegentliche eingesetzte Horror-Elemente verdeutlichen Emmas seelischen Zustand. Allein der Schluss ist ein wenig enttäuschend.

Früher gab es nur zwei Optionen: an oder aus. Mit der Entwicklung künstlicher Intelligenz ist eine dritte Dimension hinzugekommen: Die Elektronik entwickelt ein Eigenleben und wird prompt als bedrohlich wahrgenommen. Der Kampf zwischen Mensch und Maschine, von „2001 – Odyssee im Weltraum“ (1968) bis zur „Terminator“-Saga (1984 bis 2019), ist längst zu einem der wichtigsten Subgenres des Science-Fiction-Films geworden. „Unsichtbarer Angreifer“ spielt allerdings in einer Zukunft, die bereits Gegenwart ist, und der Feind lauert dort, wo man ihm schutzlos ausgeliefert ist: in den eigenen vier Wänden. Die Handlung erinnert an Rick Ostermanns Drama „Das Haus“; in der Verfilmung einer Kurzgeschichte von Dirk Kurbjuweit wird ein „Smart Home“ eifersüchtig auf die Frau seines Besitzers.

Soundtrack: Pomme („Big Jet Plane“), Dynoro & Gigi D’Agostino („In My Mind”)

Unsichtbarer AngreiferFoto: ZDF / Hardy Brackmann
Schöne digitale Medienwelt: Malik (Eren M. Güvercin) will als Video-Streamer Karriere machen. Was sagen wohl die Eltern (Emily Cox, Denis Moschitto) dazu? Wenig später scheint der Mutter alles zu entgleiten: Ihre Patienten, ihre Familie, ihre Ehe.

Auch in „Unsichtbarer Angreifer“ häufen sich die Ungereimtheiten, dabei kann Emma Turgut (Emily Cox) Irritationen derzeit gar nicht brauchen. Nach dem Suizid einer Patientin ist die gefragte Psychotherapeutin reif für eine längere Pause, aber dafür ist keine Zeit: Sie hat eine KI-basierte Therapie-App entwickelt, die rund um die Uhr erste Diagnosen vornehmen und die Behandlungsabläufe beschleunigen soll. Das Software-Unternehmen Samira hat ihren Entwurf umgesetzt, die Testphase ist abgeschlossen, und natürlich muss sie den Start von „Mood Place“ überwachen. Die Firma hat auch das Haus von Emma und Ehemann Amir (Dennis Moschitto) digitalisiert. Das ebenfalls Samira genannte Assistenzsystem sorgt rundum für Wohlbefinden. Ein Roboter, Sami, hilft bei den praktischen Tätigkeiten, verfügt aber offenbar auch über sehr männliche Eigenheiten; zumindest macht er große Augen, als Emma unter der Dusche steht. Eine rote Diode verrät, dass er nicht aus eigenem Antrieb handelt.

Ohnehin sorgen die Schwestern Martina (Regie) und Monika Plura (Kamera) früh dafür, dass die vermeintliche Idylle erheblich getrübt wird, weil Emma mehrfach schockartig integrierte Visionen der toten Patientin hat; diese Momente sind Horror pur. Irgendwann stürzt Sami mit Gepolter die Treppe runter, und als Emma nachts in der Sauna einschläft, steigt die Temperatur aus unerfindlichen Gründen auf achtzig Grad. Seltsam auch, dass Samira dreißig Kilogramm Kaffee bestellt. Kein Wunder, dass sich Emmas beste Freundin Maria (Yodit Tarikwa) bestätigt fühlt. Sie traut dem digitalen Schnickschnack ohnehin nicht, wie ihre Kuckucksuhr verdeutlicht.

Unsichtbarer AngreiferFoto: ZDF / Hardy Brackmann
Was macht das weiße Kaninchen im Haus? Challuke (Casper von Bülow) bricht bei den Turguts ein, um Emma zu erschrecken.

Samira, Sami, Amir: Autor Willi Kubica hat sich bei den Namen natürlich etwas gedacht, und das nicht nur wegen des offenkundigen Gleichklangs. Samira, im Arabischen so viel wie Gesprächspartnerin, passt perfekt zu einer Sprachassistentin, Turgut ist türkisch und heißt Gebäude oder Wohnort. Bloß Amir fällt aus dem Rahmen: Der Gatte sehnt sich nach „digital detox“, bastelt lieber an seinem alten Motorrad und zieht nach einem Ehekrach ins Hotel. Als der nahezu erwachsene Sohn (Eren M. Güvercin) auch noch einen Online-Kumpanen ins Haus holt, rastet Emma endgültig aus: Lukas (Casper von Bülow) hat einen Kanal, auf dem er mit Hasenmaske allerlei fragwürdigen Unfug treibt; Emma ist überzeugt, dass er hinter Samiras seltsamem Verhalten steckt. Der einzige, der noch auf ihrer Seite steht, ist Amirs bester Freund Georg (Golo Euler), der Programmierer ihrer App, die sich schließlich jedoch ebenfalls selbstständig macht und Emmas Schutzbefohlenen empfiehlt, sich anderswo Hilfe zu suchen.

Emily Cox spielt hier zum dritten Mal nach der ARD-Serie „37 Sekunden“ (2023) und „Unschuldig – Der Fall Julia B.“ (2024, beide ARD) mit großer Glaubwürdigkeit eine Frau, die komplett aus der Bahn geworfen wird. Sehenswert ist „Unsichtbarer Angreifer“ neben der Handlung und dem Ensemble auch wegen der Umsetzung: Das Haus wirkt von außen einladend, doch die Atmosphäre ist dank eines leichten Blaustichs der Bilder betont kühl. Eine wichtige Rolle spielt die digitale Ebene: Emma wird mehrfach von einer Flut eingeblendeter Nachrichten und Mitteilungen überrollt (mit dem „Plura Paket Service“ erlauben sich die Schwestern einen kleinen Insider-Gag). Ihre Pulsfrequenz wird ebenfalls regelmäßig angezeigt; je mehr sie sich in die Enge getrieben fühlt, desto bedenklicher werden die Ausschläge. Die Auflösung der mysteriösen Ereignisse ist allerdings gemessen an der Erwartungshaltung, die der Film mit Hilfe von Sounddesign, sehr präsenter Musik (Daniel Hoffknecht) und kleinen Irritationen wie etwa einer geballten Faust des Service-Roboters aufbaut, ein wenig enttäuschend. (Text-Stand: 15.4.2024)

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Emily Cox, Dennis Moschitto, Golo Euler, Eren M. Güvercin, Paula Conrad Hugenschmidt, Casper von Bülow, Yodit Tarikwa, Luna Jordan

Kamera: Monika Plura

Szenenbild: Bertram Stauß

Kostüm: Wiebke Kratz

Schnitt: Tobias Haas

Musik: Daniel Hoffknecht

Redaktion: Julia Sattler, Alexandra Staib

Produktionsfirma: UFA Fiction

Produktion: Eric Bouley, Christopher Sassenrath

Drehbuch: Willi Kubica

Regie: Martina Plura

Quote: 2,83 Mio. Zuschauer (12,1% MA)

EA: 04.05.2024 10:00 Uhr | ZDF-Stream

weitere EA: 13.05.2024 20:15 Uhr | ZDF

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