Unsere wunderbaren Jahre

Schlott, Mühe, Loibl, Riemann, Krause/Puchert, Elmar Fischer. Schuld und Liebe

Foto: WDR / Ufa Fiction / Willi Weber
Foto Thomas Gehringer

Nachkriegszeit und Wirtschaftswunder als opulentes Melodram: „Unsere wunderbaren Jahre“ (WDR, Degeto – Ufa Fiction) erzählt vom Lieben und Leben dreier Fabrikantentöchter aus dem Sauerland. Der Aufbruch in eine neue Zeit vor dem Hintergrund der verbrecherischen Vergangenheit wird eingebettet in einen Liebesreigen, der große Gefühle – und bisweilen Kitsch – nicht scheut. Das historische (Melo-)Drama verdichtet den fast 1000 Seiten starken, bis zur Einführung des Euro reichenden Bestseller von Peter Prange kluger Weise auf wenige Jahre. Die Inszenierung punktet mit kraftvollen Bildern & beeindruckender Ausstattung, ist auch nicht nur mit Stars aus der ersten Reihe besetzt und größtenteils sehenswert gespielt. Als Geschichtslektion gut gemeint, aber in mancher Hinsicht plakativ und holzschnittartig. Auch geht dem ARD-Dreiteiler nach schwungvollem Beginn ein wenig die Luft aus.

„Wie wir wurden, was wir sind – oder die Geschichte einer wundervollen Illusion“
Die Kleinstadt Altena im Sauerland hat eine bedeutende Tradition als Standort der metallverarbeitenden Industrie. Hier wurden unter anderem Rohlinge für die D-Mark-Münzen hergestellt, die ab dem 20. Juni 1948 als neue Währung in den drei westlichen Besatzungszonen ausgegeben wurden. Ein interessanter Schauplatz also, um eine Geschichte über die Zeit des Aufbruchs nach dem zweiten Weltkrieg zu erzählen. Und da Peter Prange, ein Autor populärer historischer Romane wie dem ebenfalls von der ARD verfilmten Buch „Das Bernstein-Amulett“, selbst aus Altena stammt, bezeichnet er den 2016 erschienen Bestseller auf seiner Webseite als „eine sehr persönliche Geschichte – gleichsam die Geschichte meines Lebens. Zugleich aber ist sie ein deutsches Märchen: Wie wir wurden, was wir sind – oder die Geschichte einer wundervollen Illusion“. Nun hat Pranges Buch nicht nur fast 1000 Seiten, sondern der Autor tritt dort auch selbst als Romanfigur in Erscheinung und erzählt deutsche Geschichte bis zur Einführung des Euro im Jahr 2002. Das eine wie das andere bleibt dem Fernsehpublikum dankenswerter Weise erspart. Der TV-Mehrteiler beschränkt sich auf wenige Jahre, die Handlung reicht vom Sommer 1948 bis etwa Mitte der 1950er Jahre, und Prange hat nur einen kurzen Cameo-Auftritt.

Unsere wunderbaren JahreFoto: WDR / Ufa Fiction / Willi Weber
Nach dem Krieg muss man erfinderisch sein. (Fast) immer gut gelaunt? Ulla Wolf (Elisa Schlott), die eigentlich Ärztin werden möchte, bei der Stahlhelm-Lieferung.

Ein großbürgerlicher Haushalt auch in kargen Nachkriegszeiten
Im Mittelpunkt steht die Familie Wolf, Eigentümer der Metallwerke Altena, geleitet von Eduard (Thomas Sarbacher), der eine Totaldemontage der Fabrik durch die Briten verhindern kann, weil er angibt, im Krieg nur Draht und keine Waffen produziert zu haben. Beim Essen sitzt er am Kopfende des Tischs, seine Frau Christel (Katja Riemann) und die drei Töchter Margot (Anna Maria Mühe), Ulla (Elisa Schlott) und Gundel (Vanessa Loibl) an den Seiten. Ein großbürgerlicher Haushalt, in dem auch in kargen Nachkriegszeiten das Hausmädchen Betti (Rabea Wyrwich) das Essen aufträgt. Das prächtige herrschaftliche Anwesen hat offenbar den Krieg ebenso unbeschadet überstanden wie das Klassenbewusstsein der Familie. Als Betti im dritten Teil erklärt, sie habe nun genügend Geld beiseite gelegt, um sich mit einer Milchbar selbstständig zu machen, fängt sie sich von der Hausherrin eine Ohrfeige. Eine ausdrucksstarke Szene, sonst aber ist Betti auch fürs Publikum das, was sie für die Familie Wolf ist: quasi unsichtbar. Die „einfachen“ Leute repräsentiert der Arbeiter Tommy Weidner (David Schütter), ein kräftiger, gut aussehender Bursche, der keinen Widerspruch scheut und in einem Eisenbahnwaggon lebt. Die eindrucksvolle Innenausstattung wirkt für das Jahr 1948 arg übertrieben, unterstreicht aber den Charakterzug der Figur: Tommy will nach dem Krieg kein Gewehr mehr in die Hand nehmen, sucht nach den Verheerungen der NS-Zeit nach neuen Antworten, liest Karl Marx, ist bildungs- und lebenshungrig.

Frauen-Power vor der Kamera – mit einer Entdeckung: Vanessa Loibl
Tommy hat es auch Ulla angetan, die eigentlich mit Jürgen (Ludwig Trepte), dem Sohn des Apothekers, liiert ist. Die von Elisa Schlott so lebensfroh und sympathisch gespielte Ulla ist auch Papas Liebling. Eduard Wolf will sie eigentlich zu seiner Nachfolgerin machen, aber Ulla hat als moderne, eigenständige Frau andere Pläne: Sie will in Tübingen Medizin studieren und meldet sich mit Tommys Hilfe heimlich zur Aufnahmeprüfung an der Universität an. Ohnehin wäre eigentlich Gundel die logische Nachfolgerin, denn sie arbeitet schon als Buchhalterin im Betrieb mit und beeindruckt bei den Verhandlungen um einen neuen Kredit auch Bankdirektor Löffler (Daniel Drewes). Doch der Vater traut ihr die Führungsposition nicht zu. Die anfangs verhuschte, stets am Rand stehende Gundel, der Tommys Freund Benno (Franz Hartwig) den Hof macht, ist mit der im Fernsehen noch weitgehend unbekannten Vanessa Loibl toll besetzt – eine Entdeckung. Elisa Schlott („Fremde Tochter“, „Das Verschwinden“, „Tatort – Borowski und der Himmel über Kiel“) und erst recht Anna Maria Mühe, die etwa die Beate Zschäpe im NSU-Dreiteiler „Mitten in Deutschland“ oder die Dörte Helm in der Bauhaus-Serie „Die Neue Zeit“ spielte, müssen nicht mehr entdeckt werden: Die Besetzung der weiblichen Hauptrollen ist jedenfalls exquisit. Nicht zu vergessen Katja Riemann, die der braven Mutter und Ehefrau zunehmend Charisma und Power verleiht. Gelungen auch, wie beiläufig die Tatsache inszeniert und gespielt wird, dass Christa durch einen Tieffliegerangriff ein Bein verloren hat.

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Trauerfeier für Eduard Wolf. Katja Riemann, Vanessa Loibl & Franz Hartwig. Nina Haun hat beim Casting für „Unsere wunderbaren Jahre“ mal wieder ganze Arbeit geleistet. Gegen die Vorlage und die Dramaturgie, die nach Seifenoper-Regeln funktioniert, bis ins Detail vorhersehbar ist und allenfalls filmästhetisch als gut gemachtes Melodram durchgehen kann, können die Schauspieler wenig ausrichten.

Die Familie wird von der NS-Vergangenheit eingeholt
Anna Maria Mühe spielt die älteste Tochter Margot, die mit ihrer Familie über Kreuz liegt. Dass sie einen strammen Nazi geheiratet hat, nimmt ihr der Vater übel, und als SS-Hauptsturmführer Fritz Nippert (Bernd-Christian Althoff) doch noch aus dem Krieg heimkehrt, eskaliert der Streit und Margot zieht mit Mann und gemeinsamem Sohn aus. Der Anlass ist nichtig: eine Buttercremetorte auf einer wertvollen Tortenplatte, die Mutter Christa bewahren möchte, die Eduard aber wegen des Hakenkreuzes auf der Rückseite zerdeppert. Leider lässt sich die Vergangenheit nicht einfach wie eine Tortenplatte in den Mülleimer entsorgen, auch Eduard Wolf wird von ihr noch eingeholt. Aber die Fragen von Schuld und Eigenverantwortung werden nicht nur im Zusammenhang mit der NS-Zeit aufgeworfen: So fährt Margot bei einer nächtlichen Schmuggelfahrt einen Grenzpolizisten an und flieht, ohne sich um den Verletzten zu kümmern. Während Mühe eindrucksvoll – latent aggressiv, aber nicht zu verbissen – die junge Mutter gibt, die weiter zum Nationalsozialismus hält, sind Ulla und Gundel zwar in ihrer Abneigung gegen den Alt-Nazi Walter Böcker (Hans-Jochen Wagner) einig, aber ihre Figuren sind sonst weitgehend unpolitisch angelegt. Sie stehen stellvertretend für die traumatischen Erfahrungen der Zivilbevölkerung (Gundels Panikattacken mit Flashbacks vom Tiefflieger-Angriff auf den Zug mit der Mutter) und für die Emanzipation von Frauen auch unter schwierigen Verhältnissen. Ulla arbeitete gegen den Willen des Vaters im Lazarett und erkannte dort ihre Berufung als Ärztin. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle in der NS-Zeit ist allerdings nicht zu erkennen.

Nur Mittel zum Zweck: Die Geschichte des jüdischen Apothekers
Rundum überzeugend gelingt es nicht, den Umgang mit dem NS-Erbe mit dem melodramatischen Grundton zu verbinden. Zu vordergründig und holzschnittartig sind einige Figuren, zu plakativ viele Szenen, was weniger an den Darstellern, sondern an Drehbuch und Regie liegt. So wirkt auch die einzige jüdische Figur des Mehrteilers, Julius Rosen (Rafi Guessous), der ehemalige Apotheker, eher lieblos arrangiert. Rosen, von Ulla in Ost-Berlin zur Entlastung des wegen Kriegsverbrechen angezeigten Vaters aufgetrieben, hat im zweiten Teil nur wenige Szenen. Rosen sagt erst zugunsten von Eduard Wolf aus, weil der ihn vor der Deportation gerettet hatte, platzt dann aber mit einer flammenden Anklage mitten in Wolfs Beerdigung. Das wirkt unglaubwürdig, die ganze Szene ist zu laut und lässt ausgerechnet das Opfer unsympathisch wirken, und sein Kernsatz („Ihr Mörder müsst meinen Anblick ertragen“) wird außerdem noch zum Bumerang. Denn es ist Julius Rosens letzte Szene, das Interesse an der Geschichte seiner ermordeten Familie ist damit erschöpft.

Unsere wunderbaren JahreFoto: WDR / Ufa Fiction / Willi Weber
Wen angelt sich da Böcker (Hans-Jochen Wagner)? Die fesche Sissi (Clara Große)! Der Dreiteiler kennt vor allem Frauen, die anschaffen oder etwas schaffen wollen.

Dokumentarische Bilder aus Bergen-Belsen wirken deplatziert
Dafür aber halten es Drehbuch und Regie für angebracht, dokumentarische Bilder von realen Holocaust-Opfern einzubauen. In einer Filmvorführung wird Eduard Wolf vom britischen Besatzungs-Kommandeur Jones (Tim Williams) mit Szenen konfrontiert, die britische Truppen nach der Befreiung des Konzentrationslagers im April 1945 gedreht hatten. Man sieht den ikonographischen Schrecken des Holocausts, man sieht Leichenberge, man sieht, wie nackte, ausgemergelte Frauenkörper in Gruben geworfen werden. Im Umfeld eines historischen Dramas, das so offensichtlich auf große Gefühle und schöne Bilder setzt, in dem sonst nur schemenhafte Flashbacks bei Gundel und Tommy den Schrecken des Krieges heraufbeschwören und Frauen halbnackt im Nachtclub tanzen, erzeugen diese Dokumente des realen Grauens maximales Unbehagen. Die Opfer-Perspektive sollte offenkundig nicht allzu breiten Raum einnehmen und musste dafür in den wenigen Einstellungen umso lauter und eindringlicher wirken. Deshalb, so scheint es, brüllt der leise Apotheker Rosen plötzlich mitten in die Rede des Priesters am offenen Grab, und deshalb sucht man möglichst grausame Szenen aus dem Archiv. Ist deshalb auch mehrfach vom „Vernichtungslager“ Bergen-Belsen die Rede? In dem Kriegsgefangenen- und Konzentrationslager starben zwar mehr als 52.000 Männer, Frauen und Kinder, was schrecklich genug ist, aber Bergen-Belsen war nie eines der Vernichtungslager, die allesamt im von Deutschland besetzten Polen oder Weißrussland errichtet wurden. Das ist keine Petitesse, denn wer mit doch erheblichen Mitteln einen „Event-Dreiteiler“ (ARD), der auch einigen historischen Anspruch erhebt, für ein großes Publikum produziert, von dem darf man Genauigkeit erwarten.

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Alles so schön braun hier. Gleich zu gleich gesellt sich gern. Anna Maria Mühe & Hans-Jochen Wagner. Die alten Nazis übernehmen wieder. Aber es gibt auch dafür eine Lösung.

Konkurrent Böcker: Wagner spielt den Kotzbrocken mit menschlichen Zügen
Eduard Wolf hat, wie sich im zweiten Teil herausstellt, Stacheldraht nach Bergen-Belsen geliefert. Commander Jones buchtet ihn deshalb ein, vielleicht auch deshalb, weil er selbst bei der Befreiung des Lagers dabei war. Dagegen lässt er den Wolf-Konkurrenten Böcker ganz und gar ungeschoren, obwohl der NSDAP-Mitglied war, Sturmgeschütze produzierte und den Briten gleich zu Beginn zu bestechen versucht. Böcker ist der Antagonist der Geschichte, Altnazi, Waffenproduzent und verschlagener Geschäftemacher, der sich mit Intrigen Anteile an der Metallfabrik sichert und nach Eduard Wolfs Tod den Frauen das Leben schwer macht. Gar nicht so einfach für Hans-Jochen Wagner, diesem unsympathischen Kotzbrocken ein paar menschliche Züge  zu verleihen. Wagner gelingt es, indem er Böckers Kümmern und Werben um die mittlerweile zur Witwe gewordene Margot und ihren Sohn nicht taktisch erscheinen lässt – zumindest nicht nur. Das Ringen um die Herrschaft in den Metallwerken ist neben den verschiedenen Liebesgeschichten der rote Faden, der für ausreichende Spannung sorgt.

Ost-Berlin als dürftige zeithistorische Kulisse
Nach dem packenden ersten Teil, der mit dramatischen Wendungen Interesse an Figuren und Geschichte zu wecken vermag, stört nicht nur der plakative Umgang mit dem NS-Thema, auch der Handlungsstrang in Ost-Berlin kann nicht überzeugen. Die Muster wiederholen sich: Tommy arbeitet auf einer Baustelle an der Stalinallee, die von der attraktiven Ökonomie-Professorin Sybille Himmelreich (Marleen Lohse) geleitet wird. Die Affäre geht erst ziemlich vorhersehbar, dann reichlich unglaubwürdig weiter, und auch sonst ist die DDR, samt Stasi und Aufstand am 17. Juni 1953, eine dürftige zeithistorische Kulisse, schablonenhaft und oberflächlich. Altena dagegen bleibt dank des Kampfs um die Metallfabrik und des Ringens der Frauen mit Böcker und ihren Gefühlen das unterhaltsame, dramatische Zentrum. Auch zum Thema der gesellschaftlichen Stellung von Frauen gibt es im dritten Teil eine bezeichnend gelungene Szene, als Jürgen, der als SPD-Politiker für das Amt des Bürgermeisters kandidieren will, Fotos für seinen Wahlkampf machen lässt. Eine Musterfamilie im Musterhaus, die (genervte) Gattin mit Schürze im Hintergrund. Sehr schön auch die finale Szene, in der die Frau dem Mann etwas ins Ohr flüstert – und ausnahmsweise erfährt das Publikum nicht, was da gesprochen wird. (Text-Stand: 3.3.2020)

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ARD Degeto, WDR

Mit Elisa Schlott, Vanessa Loibl, Anna Maria Mühe, Katja Riemann, David Schütter, Hans-Jochen Wagner, Ludwig Trepte, Franz Hartwig, Thomas Sarbacher, Marleen Lohse, Tim Williams, Bernd-Christian Althoff, Rafi Guessous

Kamera: Felix Novo de Oliveira

Szenenbild: K.D. Gruber

Kostüm: Frauke Firl

Schnitt: Eva Lopez Echegoyen

Musik: Matthias Beine, William Wahl

Redaktion: Caren Toennissen, Barbara Buhl, Christine Strobl

Produktionsfirma: UFA Fiction

Produktion: Benjamin Benedict, Christian Rohde

Drehbuch: Robert Krause, Florian Puchert – nach dem Roman von Peter Prange

Regie: Elmar Fischer

Quote: (1): 5,89 Mio. Zuschauer (17,6% MA); (2): 6,80 Mio. (18,5% MA); (3): 5,91 Mio. (17,4% MA)

EA: 18.03.2020 20:15 Uhr | ARD

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