Ungesühnt

Packender Psychothriller mit Ann-Kathrin Kramer setzt auf Hollywood-Dramaturgie

Foto: ZDF / Christoph Assmann
Foto Rainer Tittelbach

Eine Staatsanwältin erkennt in dem Angeklagten den Mann, der sie vor 20 Jahren sexuell erniedrigt und genötigt hat. Soll sie Strafanzeige erstatten und den Fall abtreten? Da die Tat verjährt ist, sucht sie die Gerechtigkeit über den neuen Prozess… Die dramaturgische Geschlossenheit gewinnt mitunter die Oberhand über die Schlüssigkeit der Handlungslogik. Schadet aber nicht: die Story ist clever ausgedacht, gut gebaut & recht wirkungsvoll.

Entsetzen macht sich breit im Gesicht der Staatsanwältin Esther Dorwald: Denn in dem Angeklagten ihres Prozesses erkennt sie den Mann wieder, der sie vor 20 Jahren überfallen, schwer sexuell gedemütigt und genötigt hat. Wie soll sie sich verhalten? Strafanzeige erstatten und den Fall abtreten? Da die sexuelle Nötigung um zwei Wochen verjährt ist, sucht sie die Gerechtigkeit über den Weg des heutigen Prozesses, in dem jener Robin Böhme angeklagt ist wegen Auftragsmord und Erpressung. Doch die Rechnung geht nicht auf: der Kronzeuge springt ab. Böhme ist ein freier Mann. Eine letzte Chance gibt es für die Staatsanwältin, die sich immer mehr zwischen Gerechtigkeitswahn und Rachegelüsten verliert: Es gab vor 20 Jahren einen zweiten Fall von sexueller Nötigung. Und diese Tat ist noch nicht verjährt.

Die Verjährung in der Justiz mag zweckmäßig sein, weil die Gedächtnislücken der Zeugen einen fairen Prozess oft gar nicht mehr ermöglichen könnten. „Moralisch ist dieses Schwamm-drüber nicht“, findet Drehbuchautor Detlef Michel. „Auf der Strecke bleibt das Opfer, das bekommt immer lebenslänglich, da verläppert gar nichts.“ Dieses eklatante Beispiel für den Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit ist der dramatische, emotionale Ausgangspunkt des ZDF-Fernsehfilms „Ungesühnt“. Ann-Kathrin Kramer spielt die Staatsanwältin, die nicht nur wieder von ihrem alten Trauma heimgesucht wird, sondern die auch ein zweites Mal die Erfahrung eines vollständigen Kontrollverlustes erlebt. Damals war das Gefühl des Ausgeliefertseins sexueller Natur, heute sind es die Justiz und die äußeren Umstände, die für das Gefühl der Ohnmacht bei der Heldin sorgen. Diese gedoppelte Emotion ist der Schlüssel zu Thorsten Näters Psychothriller.

UngesühntFoto: ZDF / Christoph Assmann
Kontrollverlust – doch der Ehemann zeigt wenig Verständinis. Ann-Kathrin Kramer, Klaus J. Behrendt

Ann-Kathrin Kramer beweist einmal mehr, dass ihr diese dramatischen Einzelgängerinnen-Rollen sehr viel besser liegen als Ensemble-Stücke oder allzu gut aufgelegte Komödienfiguren. „Ungesühnt“ ist kein Themenfilm, auch wenn das ZDF ihn als solchen verkauft, sondern ein vor allem in den letzten 20 Minuten hoch spannender Genrefilm. Das Thema dient der psychologischen Verdichtung der Hauptfigur. Geschickt wird zur Unterfütterung ihrer Seelenpein ein weiteres Opfer ins Spiel gebracht, eine Spiegel-Figur, die der Heldin die eigene Psycho-Analyse erspart. Esther Dorwald ist eine, die handelt – und sie handelt als soziale Verwalterin der Gerechtigkeit und setzt sich dabei auch über individuelle Befindlichkeiten hinweg. „Sie missbrauchen mich, Sie sind keinen Deut besser als er“, wird sie von der anderen einst sexuell genötigten Frau beschimpft. Die dramaturgische Geschlossenheit gewinnt mitunter die Oberhand über die Schlüssigkeit der Handlungslogik. Da ist viel Konstruktion im Spiel – aber war das nicht bei Hitchcock auch oft so?! Das Finale dieser gut ausgedachten und psychologisch grundierten Geschichte jedenfalls ist ganz american-like: alle Erzählstränge, alle Charaktere werden zu einem glücklichen Ende gebracht. Und alle dürfen aufatmen. Das mag genretechnisch ziemlich konventionell sein – doch weil es gut gemacht ist, kann man sich das gut gefallen lassen. (Text-Stand: 12.4.2010)

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Ann-Kathrin Kramer, Klaus J. Behrendt, Jörg Hartmann, Tobias Oertel, Simon Licht, Tina Engel, Antje Westermann

Kamera: Achim Hasse

Szenenbild: Katharina Birkenfeld

Schnitt: Julia von Frihling

Produktionsfirma: JoJo Film- und Fernsehproduktion

Drehbuch: Detlef Michel

Regie: Thorsten Näter

Quote: 5,51 Mio. Zuschauer (16,8% MA); Wh.: 4,85 Mio. (16% MA)

EA: 12.04.2010 20:15 Uhr | ZDF

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Kontoinhaber: Rainer Tittelbach