So einfach kann eine romantische Komödie funktionieren: Simon ist ein notorisch misstrauischer Kontrollfreak, Lea ist eher der unkonventionelle Typ. Er hat seine Obsession zum Beruf gemacht und arbeitet in der Sicherheitsabteilung eines Stuttgarter Lebensmittel-Konzerns; seit er die Zugangskarten der Mitarbeiter mit Ortungschips versehen ließ, ist er für die Kollegen nur noch der „Stasi-Brückner“. Lea hat ihr Studium als Lebensmittelchemikerin abgebrochen, jobbt derzeit in der Kantine des Unternehmens und träumt davon, mit einem „Food-Truck“ durch die Gegend zu fahren. Zurzeit nutzt sie den alten Mercedes-Bus, ein ehemaliges Feuerwehrauto, das nun den Schriftzug „Brand Herd“ trägt, als Unterkunft. Zwei derart gegensätzliche Menschen würden sich im echten Leben niemals über den Weg laufen. Im Film kann daraus wahre Liebe werden; vorausgesetzt, Simon lässt sich wach küssen.
Damit so eine Romanze glaubwürdig ist, muss die Verpackung überzeugen, sprich: Die Geschichte muss plausibel eingefädelt sein; und die Darsteller müssen passen. Mit Florian Bartholomäi und Natalia Belitski ist der Film treffend besetzt: Ihm glaubt man den verklemmten Einzelgänger sofort, und sie, sexy, aufregend und voller Energie, verkörpert den Gegenentwurf ausgezeichnet. Auch die Umstände, unter denen das Drehbuchschicksal die Figuren zueinander führt, sind stimmig: Das Unternehmen hat eine Formel für fettfreies Fett gefunden. Der Konzernboss (Marc Ben Puch) schwört Simon darauf ein, die Formel zu hüten „wie seine eigenen Eier“. Natürlich wird sie trotzdem geklaut, und zwar offenbar von Lea, die Simon wegen ihres unkonventionellen Benehmens schon einige Male negativ aufgefallen ist. Ausgerechnet sein Chef und väterlicher Freund Schilinski (Reiner Schöne) hat sich von der jungen Frau den Kopf verdrehen lassen. Damit der Mentor nicht den Job verliert, willigt Simon ein, Lea zu beschatten, um zu verhindern, dass sie die Formel an die Konkurrenz übergibt. Er kennt sie zwar von den Bildern der Überwachungskameras, aber sie hat sein Gesicht noch nie gesehen. Im Verlauf einiger gemeinsamer turbulenter Erlebnisse kommen sich die beiden näher, als Simon je für möglich gehalten hätte. Dass Lea eine Spionin ist, glaubt er längst nicht mehr – und wird prompt dafür bestraft, dass er zum ersten Mal einem anderen Menschen vertraut. Aber das ist noch lange nicht das Ende der Geschichte.
Foto: Sat 1 / Maor Waisburd
Sat 1 hat den Film „Undercover küsst man nicht“ genannt, aber der Arbeitstitel „Mit Sicherheit Liebe“ war auch nicht gerade sexy. Den Beteiligten wird der Sender wichtiger sein als der Titel: Die Produktion ist im Rahmen eines Abkommens zwischen ProSiebenSat 1 und der Filmakademie Baden-Württemberg entstanden. 2014 hat die TV-Gruppe die entsprechenden Debüts noch beim Zwergsender Sixx versendet; Jan Haerings Erstlingswerk aber passt prima auf den Sendeplatz am Dienstag. Tatsächlich ist sein Diplomfilm deutlich flotter als manch andere Sat-1-Komödie (im Herbst 2016 jedenfalls ist sie die mit Abstand beste). Wenn nicht alles täuscht, ist er der erste Schritt einer vielversprechenden Karriere.
„Der Film ist schnell, bunt und macht Spaß“, charakterisiert der Regisseur sein Werk, und das ist ebenso zutreffend wie untertrieben. Haering hat seine Schauspieler prima geführt, auch die Nebenrollen interessant besetzt und kongeniale Mitstreiter gefunden. Vor allem Schnitt und Musik sorgen dafür, dass „Undercover küsst man nicht“ ein eindrucksvolles Tempo vorlegt. Die akustische Ebene ist ohnehin ausgesprochen reizvoll, denn Andreas Pfeiffers Kompositionen, eine originelle Mischung aus Swing, Jazz und Funk, sind immer wieder mit Rock’n’Roll-Klassikern durchsetzt, die perfekt zur Stimmung passen. Zweites wichtiges Element ist die Bildgestaltung: Obwohl sich Haering über ein größeres Budget als die meisten anderen Debütregisseure freuen konnte, dürfte der Etat immer noch deutlich unter dem eines regulären „TV-Movies“ gelegen haben; der Film dauert auch nur gut 80 Minuten. Trotzdem wirken die Bilder von Kameramann Lukas Steinbach, der zuvor mit „Der Himmel zwischen den Welten“ eines der „Sixx-Debüts“ gedreht hat, relativ aufwändig, auch wenn das ästhetische Konzept vergleichsweise schlicht ist: Simons seriöse, aber unpersönliche Welt ist ganz in grau gehalten und entsprechend langweilig, Leas Leben ist bunt und aufregend.
Foto: Sat 1 / Maor Waisburd
Soundtrack:
Jerry Lee Lewis (“Hit The Road Jack”), Chuck Berry („No Particular Place To Go“), George Thorogood & the Destroyers (“Bad To The Bone”), Lulu (“Shout”), Sam Cooke (“Driftin’ Blues”), Ray Charles (“What’d I Say”), Late Nite Tuff Guy (“I Get Deeper”), Aretha Franklin (“Ac-Cent-Tchu-Ate The Positive”)
Basis aller guten Filme ist immer ein gutes Drehbuch; Haering hat es gemeinsam mit Julia C. Kaiser geschrieben. Die beiden erfreuen mit einer Vielzahl originelle Handlungsideen, die für die Geschichte nicht wichtig scheinen, aber dafür die Figuren charakterisieren: von Simons schikanösem Kleinkrieg gegen Lea gleich zu Beginn bis zu einer witzigen Einlage Belitskis, in der Lea eine Reihe unterschiedlichster abgeschleppter Autos abschreitet und deren Besitzer parodiert; Simons Wagen („Stock im Arsch“) ist auch dabei. Bei der Umsetzung dieser Szenen beweist Haering ein bemerkenswertes Talent für die richtigen Zeitpunkte: Er weiß genau, wann er das Tempo anziehen und wann er für Entspannung sorgen muss. Die Haltung, mit der er „Undercover küsst man nicht“ konzipiert und inszeniert hat, zeigt sich auch in der eleganten Erzählweise. Dabei hat er womöglich aus der Not des überschaubaren Budgets eine Tugend gemacht: Einige Szenen, die anderswo mit viel Aufwand ins Zentrum gerückt worden wären, spielen sich bei ihm beinahe beiläufig im Hintergrund ab, was seine Arbeit erst recht souverän wirken lässt. Für die Hingabe aller Beteiligten steht nicht zuletzt der sympathisch animierte Vorspann; und mit den Irisblenden zu Beginn und zum Schluss macht Haering deutlich, in welcher Komödientradition er seinen Film inszeniert hat. (Text-Stand: 3.9.2016)