Und morgen Mittag bin ich tot

Liv Lisa Fries, Stolze, Sophie Rogall, Frederik Steiner. Lebenslust & Todesentschluss

Foto: SWR / Jacqueline Krause-Burberg
Foto Rainer Tittelbach

Jung, witzig, bei klarem Verstand und doch mehr als nur lebensmüde. Die Hauptfigur in „Und morgen Mittag bin ich tot“ leidet an Muskoviszidose. Es ist eine Zumutung, was die junge Frau von ihrer Familie verlangt. Aber auch das Leben mit der Krankheit ist eine Zumutung. Und in gewisser Weise ist dieses Sterbebegleitungsdrama auch eine Zumutung für den Zuschauer. Zum Sterben zu schön, zu geistreich, zu lebendig, ja zu jung ist diese Figur, die die großartige Liv Lisa Fries 90 Minuten zum Leben erweckt, um sie am Ende sterben zu lassen. Kein Diskursfilm über Sterbehilfe oder die heimtückische Stoffwechselkrankheit, sondern ein nachhaltiges individuelles Kino-Drama über das (selbstbestimmte) Sterben.

Lea ist jung, sie ist witzig, hat Humor, einen klaren Verstand und doch mag sie nicht mehr leben. Sie leidet an der Stoffwechselkrankheit Muskoviszidose und sie weiß, was das heißt: Sie hat eine statistische Lebenserwartung von 35 und ein qualvoller Erstickungstod steht ihr bevor. An ihrem 22. Geburtstag will sie dieser heimtückischen Krankheit ein Schnippchen schlagen: Sie will sterben, will endlich erlöst werden von den Maschinen, den Schmerzen, der ständigen Angst vor dem Keine-Luft-mehr-Bekommen. Dafür ist sie in die Schweiz gefahren. Unter ärztlicher Aufsicht will sie sanft einschlafen, und sie hat ihre Familie an den Ort ihrer letzten Stunden bestellt. Sie will gehen in Anwesenheit ihrer Liebsten und sie hofft, dass Schwester, Mutter und Großmutter sie verstehen und ihr beistehen werden. Doch die Mutter ist fassungslos. Sie weigert sich, den Weg, den Lea gehen will, mitzugehen. Sie hat schon ihren Sohn, das erstgeborene Kind, an diese Krankheit verloren. Sie will weiter kämpfen…

Und morgen Mittag bin ich totFoto: SWR / Jacqueline Krause-Burberg
Das letzte Schnitzel mit den Liebsten. Lea (Liv Lisa Fries) hat ihre ganze Familie um sich versammelt: Schwester Rita (Sophie Rogall), Mutter Hannah (Lena Stolze), ihren ehemaligen Lover Heiner (Johannes Zirner) und Großmutter (Kerstin de Ahna).

Es ist eine Zumutung, was die Tochter in „Und morgen Mittag bin ich tot“ von ihrer Mutter verlangt. Aber auch das Leben mit Muskoviszidose ist eine Zumutung. Von Minute zu Minute machen einem das die Bilder, die Beatmungsschläuche, die der jungen Frau aus der Nase hängen, der schwere Atem, die Hustenanfälle, zunehmend deutlich. Und selbstredend mutet der Debütfilm von Frederik Steiner nach dem preisgekrönten Drehbuch von Barbara te Kock auch dem Zuschauer allerhand zu. Zum Sterben zu schön, zu geistreich, zu lebendig – das ist der erste Gedanke, der einen überkommt, wenn man Liv Lisa Fries als Lea in der Exposition dieses „kleinen“ Kinofilms sieht. In Erwartung dessen, was kommen wird, saugt man jeden Witz, jede sarkastische Bemerkung, jedes Lächeln geradezu genussvoll auf. So gewinnt man Zeit, in der man noch etwas von dieser faszinierenden Figur spüren darf, die die Krankheit offensichtlich frühzeitig erwachsen gemacht hat. Leas Tod im Film kommt unaufhaltsam, so wie der Tod auf jeden Menschen im richtigen Leben zukommt. So ist „Und morgen Mittag bin ich tot“ eher ein Sterbebegleitungsdrama als ein Diskursfilm zum Thema Sterbehilfe oder Muskoviszidose. Das macht ihn dramaturgisch zwar vorhersehbar (natürlich wird sich die Mutter dem Wunsch der Tochter beugen), gibt den Zuschauern aber die Möglichkeit, die Geschichte zum Anlass zu nehmen, sie in verschiedene Richtungen weiterzudenken. Ein Projektionsfeld ist das Leben. „Wenn dieser Film eine Botschaft hat, dann wohl die, dass das Lebens so grausam, so schön, so traurig und gleichzeitig so lustig ist, dass auch der letzte Tag noch ein großes Abenteuer sein kann“, schrieb der Spiegel-Kritiker zum Kinostart. Eine andere Möglichkeit wäre, sich über das selbstbestimmte Sterben auszutauschen oder den Tod nachzudenken. Oder man spürt einfach nur dem konkreten Verlust nach, den der Film zeigt.

Die emotionale Offenheit von „Und morgen Mittag bin ich tot“ ist eine seiner Qualitäten. Sie ist eng verbunden mit der (willens)starken Hauptfigur und ihrer überragenden Darstellerin, die das Konzept von Drehbuch und Regie vorzüglich verkörpert: Hübsch krank mit ihren großen, von dunklen Ringen gezierten Augen unterstreicht sie den Widerspruch von Lebenslust und dem Entschluss zu sterben. Lea dominiert die Geschichte, allein ihre Perspektive ist von Interesse. Alle anderen Figuren passen sich ein in die Dramaturgie der einfühlsamen Begleitung und in Steiners stille, sensible Inszenierung. Und allein Liv Lisa Fries, die für ihre Rolle den Bayerischen Filmpreis und den Max Ophüls Preis gewann, trägt die Handlung durch alle von ihr (voraus)bestimmten Tonlagen. Sie ist die emotionale Schaltzentrale auch für den Zuschauer. Ihr Strahlen bleibt in Erinnerung auch über den Tod ihrer Protagonistin hinaus. Die Richtigkeit ihres Handelns steht zu keiner Zeit ernsthaft zur Disposition. Und so ist es nur konsequent, dass mit Leas Tod der Film augenblicklich zu Ende ist. (Text-Stand: 16.5.2015)

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Kinofilm

Arte, SWR

Mit Liv Lisa Fries, Lena Stolze, Sophie Rogall, Johannes Zirner, Max Hegewald, Kerstin de Ahna, Bibiana Beglau

Kamera: Florian Emmerich

Szenenbild: Tanja Erdmann, Renate Schmaderer

Schnitt: Bernd Schlegel

Produktionsfirma: Peter Heilrath Filmproduktion, Andreas Bareiss Pictures, Goldkind

Produktion: Peter Heilrath, Sven Burgemeister, Andreas Bareiss

Drehbuch: Barbara te Kock

Regie: Frederik Steiner

EA: 05.06.2015 20:15 Uhr | Arte

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