Junge Unternehmerin stellt fest, dass ihr Verlobter ein falsches Spiel treibt, und tröstet sich mit dem Personenschützer: Das könnte auch der Kern eines „Herzkino“-Films im ZDF sein. Allerdings lässt die Ausgangsbasis gänzlich unterschiedliche Handlungsvariationen zu. Sonntags im „Zweiten“ wäre daraus ein mondänes romantisches Drama geworden: Elle (Lena Meckel) ist die neue Geschäftsführerin eines von Großmutter Margot (Brigitte Kerner) gegründeten Hamburger Modehauses; die Liebelei mit dem Bodyguard müsste also einige soziale Schranken überwinden. Der Film könnte interessante Blicke hinter die Kulissen der Modewelt werfen, und weil die Familie schwerreich ist, gäb’s zudem luxuriöse Schauplätze; elegante Kostüme wären ohnehin inbegriffen. Das Mitgefühl des Publikums wäre Elle dennoch sicher: Die Mutter ist früh verstorben, der Vater (Roman Knižka) ein Trinker; perfekte Voraussetzungen für große Gefühle.
All’ das hat der Film in der Tat zu bieten, aber die Geschichte ließe sich auch als Krimi erzählen: Elles Verlobter, Thilo (Gerrit Klein), hat sich mit finsteren Mächten eingelassen (repräsentiert durch Peter Kremer), die schon längst die Kontrolle über das Unternehmen besitzen. Die junge Frau dient, ohne es zu ahnen, bloß als Marionette. Das Drehbuch zu „Un/Dressed“ ist von Stefanie Sycholt, deren Filmografie als Autorin und Regisseurin praktisch nur aus Beiträgen zur ZDF-Reihe „Inga Lindström“ besteht. Die meisten dieser oft von ihr selbst inszenierten Romanzen waren nicht zuletzt dank der jeweiligen Hauptdarstellerinnen durchaus sehenswert. Für die Amazon-Produktion gilt das auch. Hier führte jedoch nicht Sycholt, sondern Tim Trachte Regie, der zuletzt für Sky an der Action-Serie „Drifters – Partners in Crime“ (2023) beteiligt war. Die Bildgestaltung besorgte Fabian Rösler. Prime bewirbt den Film als „erotischen Thriller“, und womöglich hätte Sycholt ihr Drehbuch anders umgesetzt: „Un/Dressed“ ist geprägt vom männlichen Blick.
Soundtrack:
Elba („700 Angels“), Gasp („Little White Lies“), Hype („God Flow“), Robbie Redway („Fracture“), Zustra („River”), Hannes & waterbaby („Stockholmsvy”)
Erotische Szenen sind seit einiger Zeit Mangelware im deutschen Fernsehen. Es ist noch gar nicht so lange her, da waren weibliche Duschszenen quasi obligat, selbst wenn sie mit der Geschichte nichts zu tun hatten. Dank gesellschaftlicher Diskurse über Rollenbilder und Diversität hat in den Redaktionen, die mittlerweile vielfach von Frauen geleitet werden, ein deutliches Umdenken stattgefunden. „Un/Dressed“ wirkt daher wie aus der Zeit gefallen. In den Sexszenen ist zwar auch Lena Meckels Spielpartner Malik Blumenthal nackt, doch die Kamera erkundet ihren Körper, nicht seinen. Das ist ästhetisch ansprechend und geschmackvoll gefilmt, sieht aber auch sehr nach Neunziger aus, als Sharon Stone („Basic Instinct“) in praktisch jedem Film ihre Brüste vorzeigen musste. Noch vor dem ersten Sex mit Ben gibt Elle sich ihm bereits im Traum hin. Die Mitwirkung einer Intimitäts-Koordinatorin lässt immerhin hoffen, dass Meckel nichts tun musste, womit sie nicht einverstanden war.
Ob „Un/Dressed“ auch ohne die zum Teil mehrere Minuten langen erotischen Szenen funktioniert hätte, ist hypothetisch. Es wäre womöglich ein Hochglanzlangweiler draus geworden, denn zum Thriller wird die Geschichte erst gegen Ende, als Elles Leben in Gefahr ist. Bis dahin geht es in erster Linie um das klassische Motiv einer Frau zwischen zwei Männern, wobei Trachtes Inszenierung keine Zweifel daran lässt, wem sie ihr Herz schenken wird: Zwischen ihr und Ben knistert’s bereits bei der ersten Begegnung, während Thilo zwischendurch ein paar mal recht verschlagen dreinblickt. Seine Ankündigung, nach der Hochzeit werde Elle ganz ihm gehören, klingt ohnehin wie eine Drohung.
Ben wiederum saß zwar wegen Totschlags im Jugendknast, aber dafür gibt es eine plausible Erklärung. Dank eines Bachelors in Philosophie hat er zudem mehr als bloß einen gut gebauten Body zu bieten. Sein Traum gilt einem eigenen Kampfsportstudio. Der Film nutzt das Training sowie einen Vollkontakt-Käfigkampf für einige mit entsprechender Musik unterlegte Actionszenen, die es im „Herzkino“ so sicher nicht gegeben hätte. Die Besetzung mit dem gern aus Untersicht gefilmten Blumenthal, bislang meist Nebendarsteller in diversen Serienepisoden, ist allerdings eine interessante Wahl. Mit seiner kantigen Attraktivität bildet er einen reizvollen Komplementär zu Meckel, die neben den beiden „Servus“-Filmen freitags im „Ersten“ („Servus, Schwiegersohn“ und “Servus, Schwiegermutter!“, 2019/2021) auch schon den einen oder anderen „Herzkino“-Film geschmückt hat.