Uli Hoeneß – Der Patriarch

Thieme, Christian Twente & ein Doku-Drama mit (nicht nur) fesselnden Momenten

Foto: ZDF / Janett Kartelmeyer
Foto Thomas Gehringer

Das ZDF gewinnt das Rennen um den ersten teil-fiktionalen Film zum Fall des ehemaligen Bayern-Präsidenten und Steuersünders. „Uli Hoeneß – Der Patriarch“ wartet mit einem großartigen Thomas Thieme in der Titelrolle und fesselnd inszenierten Szenen aus dem Prozess auf. Aber auch mit weiteren, deutlich schwächeren Reenactment-Elementen sowie allzu vielen Zeitzeugen und Interview-Schnipseln. Ein umfassendes Porträt mit leider erstaunlichem Qualitätsgefälle und ohne eine gesellschaftspolitische Dimension.

Uli Hoeneß schreitet einen langen Flur entlang, eine breite Treppe empor in helles Licht. Wie früher, als er unter dem Jubel der Fans ins Stadion-Innere trat. Die Tonspur in „Uli Hoeneß – Der Patriarch“ passt dazu, sie erinnert mit Ausschnitten aus Fußball-Reportagen an Hoeneß‘ glänzende Karriere als Spieler. Doch das Blitzlichtgewitter, das nun im Gerichtssaal auf ihn wartet, gilt einem Mann, dessen Bild sich in der Öffentlichkeit ins Gegenteil verkehrt hat. Der tief gefallen ist, vom erfolgreichen Präsidenten und Ex-Manager des FC Bayern München, vom nicht allseits geliebten, aber doch respektierten und gesellschaftlich engagierten Macher zum prominenten Angeklagten und Steuersünder. Hoeneß nimmt Aufstellung vor den Fotografen, gerade, aufrecht, eine Botschaft aus Selbstbewusstsein und Trotz aussendend. Später sieht man ihn zunehmend irritiert und sichtlich um Kontrolle ringend den Prozess verfolgen, unsichere Blicke zum Richtertisch werfen, seine vorformulierte Erklärung wie unter großem inneren Druck ablesen – die Szenen im Gerichtssaal mit einem außerordentlich präzise agierenden Thomas Thieme als Uli Hoeneß sind das Schmuckstück dieses Films.

Uli Hoeneß – Der PatriarchFoto: ZDF / Janett Kartelmeyer
Vor Gericht: Verteidiger Hans Feigen (Müller-Drossaart) mit Uli Hoeneß (Thomas Thieme)

Auch weil die Kamera von Martin Christ („Die Mannschaft“) die eigentlich steife, unbewegliche Situation dynamisch auflöst: Mit einer Vielzahl von Perspektiven, mit Bildern, die die Hauptpersonen charakterisieren und wortlos von ihrer Interaktion erzählen. Oder mit Einstellungen aus unmittelbarer Nähe, die die Aufmerksamkeit auf Details richten. Manchmal wackelt die Kamera ein bisschen zu wichtigtuerisch, doch Regisseur Christian Twente („Frauen, die Geschichte machten“gelingt es, die vier Prozesstage als spannende, atmosphärisch dichte Erzählung zu inszenieren. Es scheint so, als säße jeder Blick, jede Geste. Manche der eingestreuten Erläuterungen von Annette Ramelsberger, der Gerichtsreporterin der Süddeutschen Zeitung und eine der Autorinnen dieses Films, wirken beinahe überflüssig.

Thieme, dieser ebenso wuchtige wie feinfühlige Koloss, lässt beinahe vergessen, dass er Hoeneß ähnlich sieht. Denn er schafft eine eigenständige, fesselnde Interpretation, spielt einen Hoeneß, der sich als dominanter Macher nur mit Mühe in die ungewohnte Rolle eines Angeklagten fügen kann, der sich ehrlich bemüht, Reue zu entwickeln, aber bis zuletzt nicht ganz zu verstehen scheint, wie alles derart aus dem Ruder laufen konnte. Im Zuschauersaal verfolgt Hoeneß‘ Frau den Prozess. Lisa Kreuzer hat eine fast stumme Rolle, und doch lässt sie das Publikum ahnen, wie sehr Susanne Hoeneß unter der Börsen-Zockerei ihres Mannes gelitten haben muss. Und wie schwer es ihr womöglich gefallen sein muss, weiterhin zu ihm zu halten. Zugleich bleibt genügend Spielraum, wird kein abschließendes Urteil gefällt, die Inszenierung macht sich nicht klüger, als sie sein kann. Auch Uwe Preuss als souveräner Richter Rupert Heindl, Peter Kremer als finster dreinblickender Staatsanwalt von Engel sowie Hanspeter Müller-Drossaart als Verteidiger Hans Feigen, der seinen Mandaten auch mal derb zurechtweist, sind alles andere als dröge Juristenfiguren. So spannend kann Gerichts-TV sein, das eine eigene, fiktionale Aussagekraft gewinnt, selbst wenn es sich an die Protokolle hält.

Uli Hoeneß – Der PatriarchFoto: ZDF / Janett Kartelmeyer
Unverständnis darüber, wie das alles derart aus dem Ruder laufen konnte. Der Mann für die Biopics: Thomas Thieme als Uli Hoeness

Doch das Prozess-Kammerspiel bildet nur etwa ein Drittel des Dokudramas, das gleich das ganze Leben und die ganze Karriere von Uli Hoeneß erzählen will. Und die übrigen zwei Drittel erreichen leider nur selten ähnliche Qualität. Zwar bleibt der Film im Fluss, gelingt die dramaturgische Verschränkung der Spielszenen im Gericht mit Interviews, Archivbildern und anderen Reenactment-Elementen. Doch die dokumentarischen Anteile wirken einerseits überfrachtet, andererseits greifen sie zu kurz. So gibt es zahlreiche Spielszenen vom Fußballprofi Hoeneß und eine Vielzahl an Interview-Schnipseln mit einer Masse an Zeitzeugen. Die meisten sagen nur wenige Sätze, und auf manche hätte man gut verzichten können. Es wirkt, als wollten die Autoren vorweisen, mit wem sie alles gesprochen haben – und als wollten sie davon ablenken, mit wem sie alles nicht sprechen konnten: Niemand aus der Familie Hoeneß oder vom FC Bayern München trat vor die Kamera. Adidas-Vorstand Herbert Hainer, Aufsichtsratsmitglied der FC Bayern München AG, ist die einzige Ausnahme. Die vielfältige, sich nicht auf die bekanntesten Bilder beschränkende Auswahl an Archiv-Ausschnitten leidet darunter, dass die verschiedenen Interviews mit Uli Hoeneß ohne Quellen- und Zeitangabe bleiben, jedenfalls in der dem Rezensenten vorliegenden „Arbeitsfassung“.

Auf der anderen Seite scheuen die Autoren die gesellschaftspolitischen Dimensionen. Der Prozess war im März 2014 in nur vier Tagen durchgezogen worden, obwohl Hoeneß‘ Verteidiger gleich zu Beginn beiläufig eine deutlich höhere Steuerschuld eingeräumt und eine Steuerfahnderin später den Betrag noch einmal erhöht hatte. Am Ende war die Steuerschuld von gut drei Millionen Euro auf fast 30 Millionen angestiegen. Die Verwunderung über die flotte Prozessführung findet mit der Aussage eines Fachanwalts Eingang in den Film. Eine weitere kritische Einordnung etwa in Bezug auf andere Steuerstrafverfahren bleibt jedoch aus.

Regisseur Twente und das Autorenteam konzentrieren sich ganz auf die Person, auf die Entwicklung vom ehrgeizigen Metzgersohn aus Ulm zum Nationalspieler und Fußball-Manager. Es  ist das Porträt eines Mannes, der schon immer ans Geschäftliche dachte, Rückschläge wie die frühe Sportinvalidität verkraften musste und einen Flugzeugabsturz überlebte, der überall die Nummer eins sein wollte, fürsorglich sein konnte, aber keinen Widerspruch duldete und der schließlich beim Zocken an der Börse jegliches Maß und jeden Überblick verlor. Dazu gibt es eine Fülle eindrucksvollen Materials, die Spielszenen vor allem mit Robert Stadlober als Profi und jungem Manager wirken dagegen steif und geradezu befremdlich. Ausstattung, Dialoge und das sichtlich fehlgeschlagene Bemühen, ungefähr ähnlich aussehende Darsteller für Jupp Heynckes, Lothar Matthäus, Hasan „Brazzo“ Salihamidzic, Robert Schwan und andere zu finden, erinnern eher an eine Ausgabe von „Switch Reloaded“. Am besten getroffen ist noch das Oliver-Kahn-Double, stumm im Bayern-Bus vorne rechts sitzend. Erstaunlich, welches Qualitätsgefälle bei Spielszenen in einem einzigen Film möglich ist. (Text-Stand: 3.8.2015)

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Thomas Thieme, Uwe Preuss, Peter Kremer, Hanspeter Müller-Drossaart, Lisa Kreuzer, Robert Stadlober, Sven Gielnik

Kamera: Martin Christ (szenisch), Dirk Heuer (dokumentarisch)

Schnitt: Andrea Schumacher

Produktionsfirma: AVE

Drehbuch: Juan Moreno, Annette Ramelsberger

Regie: Christian Twente

EA: 27.08.2015 20:15 Uhr | ZDF

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