Marlies Gottlieb bangt um ihre Ruhe. Sie lebt zurückgezogen an einem See in Brandenburg. Die Westdeutsche hat das Haus, das ihrer Familie von den Russen 1945 weggenommen wurde, nach der Wende zurückbekommen. Der neue Erbe des Nachbargrundstücks, ein feierfreudiger Schwede, stört nun diesen Frieden. Dabei ist diese etwas besserwisserische ältere Dame doch zugleich recht angetan von diesem Mannsbild und seiner skandinavischen Lebenslust. Doch als die Dorfgemeinschaft den neuen Mitbewohner in den alten Streit um den Seezugang und den alten Uferweg, den die Frau aus dem Westen vor Jahren hat sperren lassen, involviert und ihn auf ihre Seite zieht, droht der Streit ins Uferlose zu eskalieren.
„Uferlos!“ – hübsch ausgedacht hat sich Silke Zertz diese Geschichte von dem durch und durch skandinavisch libertinären „alten Schweden“ und der Naturschützerin in eigener Sache, die über das Prinzipienreiten und ihre Einsamkeit immer mehr zum Menschenfeind wird. Auch der soziale Konflikt, der bei diesem Grundsatzstreitigkeiten am Gartenzaun mitschwelt, rekurriert recht charmant auf deutsch-deutsche Befindlichkeiten: Wessi-Individualismus trifft hier auf Ossi-Gemeinschaftssinn. Beiden Haltungen ist etwas abzugewinnen. Zertz verzichtet auf Schwarzmalerei und so kann der Zuschauer durchaus zwischen den Fronten pendeln. Es ist natürlich ein Unding, dass nach 40 Jahren Mauerstaat die Frau aus dem Westen nach Brandenburg kommt, hier ihren Zaun aufbaut und den Bewohnern den Zugang zum See wegnimmt. Umgekehrt kann man sich wie die Heldin schon denken, was aus diesem Paradies wird, wenn sich die Kommunalpolitiker und die Bauwirtschaft das Seegelände unter den Nagel reißen würden. Bei diesen Gegensätzen winkt der Kompromiss natürlich früh mit dem Zaunpfahl. Dafür gibt es am Ende noch eine unerwartete politische Wende, die dieser leichten Sommerkomödie mit dezenten Ansätzen zur Parabel einen mehr als nur oberflächlich versöhnlichen Ausklang gibt. „Man sollte nicht besitzen, was einem nicht gehört.“
Während der 90 Minuten stimmt der Erzählton allerdings nicht immer. „Uferlos!“ von Rainer Kaufmann ist filmisch vor allem dann überzeugend, wenn sich die Gegensätze anziehen und wenn bei allen Konflikten Sympathie zwischen den beiden Hauptfiguren zu spüren ist. Lustvoll inszeniert ist auch der Besuch der „Familie“ des Schweden, drei Frauen und eine bunte Kinderschar, der in einem wilden Mittsommernachtsfest gipfelt. Um solche undramatischen Momente zu „ernten“, bedarf es wohl auch anderer Situationen, in denen beispielsweise die zwischenmenschlichen Konflikte hoch kochen. Die privaten lösen Hannelore Hoger und Julia Brendler noch auf recht stimmige Weise; die sozialen indes erinnern an die Rhetorik von Sat-1-Komödien – von wegen „Allein unter Ossis“. Unterhalb des Weißwurst-Äquators hat Kaufmann sein Gespür für Dorfgemeinschaften schon des Öfteren unter Beweis gestellt. Die brandenburgischen Schnauzen bekommen dagegen – gerade im Kontrast zu Hoger/Lassgard/Brendler – einen unangenehmen Fremdschäm-Beigeschmack. Obwohl sie emotional Recht haben, agieren sie (auch eine Sache des Buchs) wie die dumme „Masse Ossi-Mensch“. Fazit: „Uferlos!“ macht Laune, wenn’s entspannt und sinnlich dahinplätschert. Auch das Thema eignet sich nicht nur dramaturgisch gut. Dagegen ist die soziale Konfliktbewältigung der Knackpunkt des ansonsten so erfrischend inszenierten Films. (Text-Stand: 23.8.2013)