Martha und Paul, beide um die 30, sind ein Liebespaar. Auf den ersten Blick wirkt ihre Beziehung liebevoll, lustvoll – ein glückliches Akademikerpärchen. Und jetzt hat Paul nach seiner brillanten Doktorarbeit auch noch Glück, dass ihm gleich nach dem Studium in Marseille eine Stelle als Arzt angeboten wird. Martha findet das Timing perfekt. Keine Frage, sie geht natürlich mit nach Südfrankreich. Als Englischlehrerin kann sie schließlich auch dort arbeiten. Doch dann kommt das große Erwachen aus dem Traum vom gemeinsamen Glück. Paul hat sich das Leben genommen. Es war eine vorsätzliche, von langer Hand geplante Tat. Offenbar gab es für ihn keinen Ausweg aus einer verfahrenen Situation, einem Lügengebäude, bei dem es nichts mehr zurechtzurücken gab. Pauls Leben war eine einzige Lüge. Das gemeinsame Glück war eine Illusion. Die Taktgeberin in der Beziehung war allein Martha.
Foto: WDR / Pandora Film
„Was machst du denn für Sachen?“, spricht die völlig aufgelöste junge Frau auf die Mailbox des Toten. Sie kann den Selbstmord nicht realisieren. Schwerer als der Tod des geliebten Partners wiegt, dass ihr alle existenziellen Gewissheiten genommen wurden und dass diesen Medizinstudenten niemand kannte. „Es ist so, als hätte er alles mitgenommen – als gäbe es überhaupt keine Spur von ihm, gar nichts.“ Diese Verlusterfahrung ist der Ausgangspunkt für eine Trauerbewältigung der ungewöhnlichen Art. „Über uns das All“ sprengt den Rahmen eines realistischen (Doppelleben-)Dramas – und ergeht sich vielmehr in einem radikalen Versuch über das Wiederfinden der Liebe. „Lässt sich ein Mensch, den man geliebt hat, durch einen anderen ersetzen? Kann man einen Menschen so sehr vermissen, dass man ihn in jemand anderem wieder entdeckt? Kann die Sehnsucht nach einer vergangenen Liebe eine neue erzeugen?“ Diesen Fragen spürt Autor-Regisseur Jan Schomburg im zweiten Teil seines Debütfilms nach. Martha lernt Alexander kennen. Sie wird auf ihn aufmerksam, weil er sich die Haare aus dem Gesicht streift, wie es Paul tat. Sie nimmt ihn mit nach Hause, tut so, als würden sie sich schon ein Leben lang kennen. „Ich bin müde, kommst du auch ins Bett?“
Dieser Wahnsinn hat Methode. Und diese Liebe könnte sogar eine Zukunft haben, weil Alexander nachweislich Professor ist, weil auch er wie Martha nicht immer die Wahrheit sagt, weil er fast immer lächelt (stark: Georg Friedrich), wenn er von ihr auf die (Psycho-)Probe gestellt wird, und weil er sogar bereit wäre, mit ihr nach Marseille zu gehen. Auch anderes ist denkbar in dieser wunderbar rätselhaften, aber nie anstrengend verrätselten kleinen Kino-Koproduktion, die so glasklar und kompromisslos erzählt und in der Sandra Hüller ihre sprunghafte Martha, die stets für eine Überraschung gut ist, so himmlisch „unpsychologisch“ spielt. „Über uns das All“ fasziniert von der ersten bis zur letzten Minute. Es ist ein Film der Perspektivwechsel, die man als Zuschauer gern mitmacht. „Ein spannender, bewegender Film, gleichzeitig rätselhaft und offen, mit einer seltsamen und seltenen Herzlichkeit. Ein kleines Wunder.“ Das schrieb der „Spiegel“ zur Kinopremiere – und lag damit goldrichtig!