Turmschatten

Lauterbach, Steinbacher, Nosbusch, Grandl, Limmer, Salonen. Im Namen des Volkes

Foto: Sky / Viacom International
Foto Tilmann P. Gangloff

Hannu Salonens Verfilmung des Romans „Turmschatten“ ist ein famos fotografierter Hochspannungs-Thriller: Heiner Lauterbach spielt einen deutschen Juden und ehemaligen Mossad-Agenten, der zwei Neonazis für den Tod seiner Adoptivtochter verantwortlich macht. Er nimmt sie gefangen und macht ihnen, live als Stream im Internet übertragen, den Prozess: Der Mann zählt die Anklagepunkte auf, die beiden können sich verteidigen, das Volk stimmt ab. Die Sache hat jedoch einen gewaltigen Haken: Die Männer repräsentieren in der Tat ein Deutschland, wie es dunkler kaum sein könnte, aber die Tochter haben sie nicht auf dem Gewissen. Politusch bewegt sich „Turmschatten“ jedoch auf dünnem Eis.

Er nennt sich „Vollstrecker“, weil er angeblich nur den Willen der Mehrheit ausführt, aber in Wirklichkeit ist Ephraim Zamir Staatsanwalt, Richter und Henker in einer Person: Der deutsche Jude macht zwei Neonazis für den Tod seiner Adoptivtochter verantwortlich, und deshalb sollen sie sterben. Ein Live-Stream überträgt den „Prozess“ im Internet, ein Privatsender sorgt für noch mehr Reichweite: Zamir zählt die Anklagepunkte auf, die beiden können sich verteidigen, das Volk stimmt ab. Die Sache hat jedoch einen gewaltigen Haken: Die Männer repräsentieren in der Tat ein Deutschland, wie es dunkler kaum sein könnte, aber Esther haben sie nicht auf dem Gewissen.

TurmschattenFoto: Sky / Viacom International
Als professionell fotografierter Spannungsthriller (mit kleinen Ausstattungsfehlern) funktioniert „Turmschatten“, als politischer Film, der es ernst meint mit seinen Themen, indes weniger. SEK-Duo mit Vorgeschichte: Murathan Muslu, Anja Herden

Die Serie basiert auf Peter Grandls komplexem Roman „Turmschatten“ (Piper-Verlag), der Autor hat die Vorlage gemeinsam mit Christian Limmer adaptiert; Hannu Salonen hat das Drehbuch mit enormer Intensität umgesetzt. Ihre Spannung verdanken die sechs Folgen neben der fesselnden Handlung vor allem der preiswürdigen Bildgestaltung (Felix Cramer). Endgültig zu einer herausragenden Produktion wird die Serie durch die Besetzung. Sie hat entscheidenden Anteil daran, dass die beiden zentralen Figuren nicht eindeutig gut oder böse sind. Heiner Lauterbach verkörpert Zamir als leibhaftigen „Zorn Gottes“. Seine Motive sind nachvollziehbar, aber er ist auch ein kaltblütiger Killer. Klaus Steinbacher wiederum, ganz famos als Franz Beckenbauer in dem Sky-Film „Der Kaiser“ (2022), suggeriert mit seinem Spiel geradezu die Hoffnung, Karl Rieger möge sich als potenzieller Aussteiger erweisen. Er ist trotz seiner faschistischen Parolen und des Hakenkreuzes auf dem Rücken kein dumpfer Schläger, sondern ein kluger Kopf. Das gilt auch für den Anführer der dunklen Seite: Kommunalpolitiker Thielen (Michael Roll) sitzt für eine nationalistische Partei im Stadtrat, gibt sich in der Öffentlichkeit staatstragend und ist eine beunruhigend aktuelle Figur.

Der Roman spielt 2010. Limmer („Oktoberfest 1900“) und Grandl haben die Handlung ins Jahr 2005 vorverlegt; andernfalls wäre es wenig glaubwürdig, dass Zamir, der als Kind den Holocaust überlebt hat, fit genug ist, um die beiden nicht mal halb so alten Neonazis zu überwältigen. Geschickt platzierte Rückblenden erklären die Motive der Beteiligten. Der frühere Mossad-Agent hat mehrere Racheaktionen durchgeführt; „Zorn Gottes“ hieß die Vergeltung für die palästinensischen Morde während der Olympischen Spiele 1972 in München. Auch SEK-Anführer Schuster (Murathan Muslu) und Einsatzleiterin Koch (Anja Herden) bringen eine gemeinsame Vorgeschichte mit, die ihn antreibt und sie zögern lässt. Derweil macht sich eine Bewährungshelferin (Milena Tscharntke) Vorwürfe, weil sie Rieger nicht geglaubt hat, als er sie vorab über den Überfall informierte. Eine junge Journalistin (Sina Reiß) ergreift die Chance ihres Lebens und hält das Land mit ihrem Live-Bericht in Atem, und im TV-Studio wird eine erfahrene Kollegin (Désirée Nosbusch) vom Senderchef zurückgepfiffen, als sie dem Stadtrat allzu unbequeme Fragen stellt.

TurmschattenFoto: Sky / Viacom International
Wird Rieger (Klaus Steinbacher) zum Aussteiger? Der Holocaust-Leugner wird dramaturgisch jedenfalls mehr und mehr zur Sympathiefigur. Und welche Rolle spielt Shalhevet (Deleila Piasko), die in einer besonderen Beziehung zu dem Neonazi steht.

Trotzdem bewegt sich „Turmschatten“ auf dünnem Eis. Die hartnäckige Holocaust-Leugnung Riegers, der einst vom Großvater indoktriniert worden ist, folgt zwar der rechtsextremistischen Legende, aber er wird nun mal mehr und mehr zum Sympathieträger. Der charismatische Nationalist Thielen schließlich entspricht exakt den heutigen rechtsextremistischen Abgeordneten, die das verhasste System von innen zerstören wollen, sich öffentlich aber gern als Opfer inszenieren. Auf diese Weise ergibt sich eine interessante Parallele zu Zamir, der ebenfalls gleichzeitig Täter und Opfer ist.

Eine weitere wichtige Rolle spielt der Handlungsort: Der ehemalige Agent lebt in einem äußerlich mittelalterlich anmutenden Turm, bei dem es sich in Wirklichkeit um einen Hochbunker handelt; das eigens für die Dreharbeiten errichtete Bauwerk ist die reinste Festung. Parallel zur Belagerung des Gebäudes wird das TV-Studio zum zweiten zentralen Schauplatz, zumal die Journalistin den Faschisten mit einem Überraschungsgast konfrontiert; Deleila Piasko, Hauptdarstellerin der ZDFneo-Serie „Der Schatten“ (2023), nutzt ihre wenigen Szenen, um erneut bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Jenseits der politischen Ebene ist „Turmschatten“ vorzüglich gemachtes Spannungsfernsehen, zumal die Handlung mehrfach durch eigenmächtige Entscheidungen in eine andere Richtung katapultiert wird; und natürlich spitzt sich die Lage gegen Ende zu, als die Polizei bei Nacht und Nebel das Leben der Geisel mit einer gewagten Aktion retten will. (Text-Stand: 14.11.2024)

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Mit Heiner Lauterbach, Klaus Steinbacher, Désirée Nosbusch, Milena Tscharntke, Anja Herden, Murathan Muslu, Paul Wollin, Michael Roll, Deleila Piasko, Sina Reiß, Anton Spieker, Samuel Koch, Elena Carrière, Ilja Richter

Kamera: Felix Cramer

Szenenbild: Christian Kettler

Kostüm: Bettina C. Proske

Schnitt: Petra Scherer, Simon Gutknecht, Ronny Mattas

Musik: Martina Eisenreich, Michael Kadelbach

Produktionsfirma: The Amazing Film Company, Paramount Television International Studios

Produktion: Thomas Peter Friedl

Drehbuch: Peter Grandl, Christian Limmer

Regie: Hannu Salonen

EA: 15.11.2024 10:00 Uhr | Sky

weitere EA: 15.11.2024, 20.15 Uhr (Sky Atlantic)

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