Bereits 2002 begannen die Vorbereitungen für das Pro-Sieben-Eventmovie „Tsunami“. Ende Dezember 2004, als eine Riesenwelle über die Küstengebiete am Indischen Ozean, von Thailand bis Indonesien, hereinbrach und rund 300.000 Menschen zu Tode kamen, war der Film längst im Kasten. Aus Pietätsgründen verzichtete der Sender auf die vorgesehene Ausstrahlung des Katastrophen-Thrillers im Frühjahr. Neun Monate später sendet man ihn nun – und wieder toben parallel zur Fiktion die Naturgewalten in der Wirklichkeit. Was mehr Sorge bereitet ist der Titel „Tsunami“. So sollte der Film von Anfang heißen – und so heißt er nun auch. Alles andere wäre heuchlerisch, heißt es. Ob das die Zuschauer auch so sehen?
Um dem Film den Ruch des Spekulativen zu nehmen und eine positive Berichterstattung zu forcieren, lenkte Pro Sieben bei der Promotion von den realen Implikationen ab und zog im Vorfeld die beliebte Produktionstechnologie-Karte. Und so wurde in der Programmpresse unisono die perfekt digitalisierte Welle ausgemacht. Was der Computer heutzutage nicht alles kann! Aber auch der wissenschaftliche Aspekt wird von Pro Sieben ausgelotet. So gibt es heute im Anschluss an das TV-Movie ein „Galileo Spezial“ zum Thema Tsunami. Ist alles nur ein fiktionales Katastrophenszenario oder kann so eine Welle für Sylt Wirklichkeit werden?
Frank Schätzing („Der Schwarm“), dessen erdbiologische Schilderungen von der Wirklichkeit brutal eingeholt wurden, begleitet in der Sendung Aiman Abdallah nach Sylt, wo er zwei Augenzeugen des Tsunami in Thailand trifft. „Sie sagten mir, sie hätten ihr Überleben meinem Buch zu verdanken“, sagt Schätzing. „Sie hatten es gelesen und wussten deshalb, was passiert und haben einen Strand evakuiert.“ Der Kölner Autor war froh, von solchen Erfahrungen zu hören. Denn „es war schon ein sehr unangenehmes Gefühl“, beschreibt er die Situation zum Jahreswechsel. Alle Welt wollte Interviews mit ihm. Doch er zog sich erst mal zurück. „Ich wollte doch nicht, dass so eine Katastrophe Promotion für mein Buch wird.“
Zum Film wird Schätzing in der „Galileo“-Sendung nicht befragt. Wohlweislich. Denn ein Schmunzeln hätte er sich sicher nicht verkneifen können. „Das ist alles schon ziemlich an den Haaren herbeigezogen“, sagt er. Im Film ist von „thermokausaler Induktion“ die Rede, ein Phantasiebegriff. Auch an die „unkontrollierbare Kettenreaktion“, die Wissenschaftler auf einer Bohrinsel prognostizieren, wenn der Energiehoffnungsträger Methanhydrat unsachgemäß gefördert werde, hat mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun. „Bei solchen Sprengungen bekommt man schon eine Welle, aber nie und nimmer so ein Monster-Ding“, sagt Schätzing, der den 30-Meter-Brecher aus seinem Buch schon für „zart übertrieben“ hält. Der größte Witz aber ist für ihn der Versuch, die Mörderwelle, die auf Sylt zurast, zu stoppen. „Die bekomme man durch eine Sprengung an einer Sandbank nicht aufgehalten. „Wahrscheinlich richtet man dadurch eher noch ein größeres Desaster an“, vermutet Schätzing, der für seinen „Schwarm“ über zwei Jahre wissenschaftlich recherchiert hat.
Keine Sorge also, dieses Wasser-unter-Szenario wird Fiktion bleiben. Keine tickende Zeitbombe in der Nordsee. Film bleibt Film. Und „Tsunami“, verkauft in 73 Länder, ist nicht unbedingt ein guter. Zu stereotyp die Bedrohungsdramaturgie, zu unglaubwürdig (weil zu jung) die Helden. Und die Welle? „Abgesehen davon, dass sie als Ringwelle auch auf Island, Norwegen oder England zurollen müsste“, so Schätzing, „sah sie mir schon ziemlich künstlich und gebastelt aus.“ (Text-Stand: 29.9.2005)