Eine eigenartige Stadt, dieses Amsterdam. Auf den Plätzen und Straßen pulsiert das Leben, in mancher Gasse dagegen wirkt die Metropole wie eine Kleinstadt. Eine eigenartige Stadt auch, weil hier auf offener Straße ein Mann mit einer Plastiktüte erstickt wird – und es kein Mensch mitbekommt. Nur eine Prostituierte scheint etwas gesehen zu haben, doch gegenüber der Polizei hält sie sich bedeckt. Kommissar van Leuuwen bereitet der Fall Probleme – eigentlich bereitet ihm alles Probleme nach dem Tod seiner Frau: die Arbeit im Team, der Kollege, der die Verstorbene ebenfalls geliebt hat, der verordnete Gang zur Psychologin, jeder Tag, jedes Gespräch, jeder Schritt. Und dann führt ihn dieser Mord an einem Lehrer im Rotlichtmilieu ausgerechnet in ein Krankenhaus, das bekannt dafür ist, seinen Patienten bereitwillig beim Sterben zu helfen. Hat er die letzten Jahre nicht genügend Klinikflure gesehen? Hat er sich nicht schon zu oft gefragt, ob er das Leiden seiner an Alzheimer erkrankten Frau nicht hätte abkürzen können? Oder wird ihm vielleicht sogar die Nähe des Todes dabei helfen, die eigene Trauer zu bewältigen? Das genaue Hinschauen jedenfalls hat Bruno van Leeuwen nicht verlernt. Und so ist er bald einer ungewöhnlichen Mordserie auf der Spur.
Fragte man sich nach van Leeuwens Krimi-Alzheimer-Drama „Eine Frau verschwindet“, ob es nicht schon genügend Krimi-Reihen hierzulande gebe und ob Krimi-Deutschland neben dem Borowski-„Tatort“ und der ZDF-Reihe „Unter anderen Umständen“ noch einen weiteren deutschen Ableger skandinavisch angehauchter Seelenkrimis brauche, gibt „Totenengel – Van Leeuwens zweiter Fall“ eine klare Antwort. Bei einem so präzise erzählten Krimidrama vergisst man die vielen mittelmäßigen Spannungsproduktionen nach Dramaturgie-Schema F, mit denen viel zu viele ZDF-Montage und auch manch ARD-Sonntag bestückt werden. Gerade der Krimi, das Genre, das von Mord- und Todschlag angetrieben wird, tut gut daran, wenn er das Sterben ernst nimmt. Tod und Sterbehilfe als subjektive Projektionsfläche für die Hauptfigur in die Handlung des Krimidramas einzubeziehen, wie es die Drehbuchautoren Jörg Schlebrügge und Magnus Vattrodt tun, erweitert geschickt die Geschichte und verdichtet den Film zugleich dramaturgisch. Ein Spezialist in Sachen Verdichtung ist ohnehin auch der Regisseur von „Totenengel“: Matti Geschonneck. Der Hang, Momentaufnahmen von Blicken und Gesten zu dehnen, um innere Konflikte sichtbar zu machen, Seelenzustände zum Schwingen zu bringen, ist eine Methode, an der sich viele Drama-Regisseure versuchen, die aber keinem immer wieder so unprätentiös gelingt wie dem mehrfachen Grimme-Preisträger.
Die Voraussetzungen zum guten Gelingen freilich sind gegeben: Peter Haber ist eine sichere Bank für einen Geschonneck-Film. Ein (Skandinavien-Krimi) erfahrener, gestandener Schauspieler, einer, der wie Geschonneck keine Fülle an Emotionen sucht, sondern den wesentlichen Ausdruck, die Essenz einer Situation, eines Augenblicks, einer Geste. Auch Charakterköpfe wie Christian Berkel, Katja Riemann und Christina Hecke, die zuletzt mehrfach auf sich aufmerksam gemacht hat, sind ideale Kollegen, wenn es um Konzentration und Reduktion geht. Über die Motive Mord und Trauer schält sich in „Totenengel“ die Einsamkeit als das zentrale Thema aus den Bildern heraus. Eine cool angejazzte Trompete, eine die Atmosphäre des Alltäglichen suchende Kamera, eine Farbdramaturgie – trotz Rotlichtmilieu – ohne viel Farbe und eine fließende Montage als Gegengewicht zu den gelegentlichen Entschleunigungsmomenten erzeugen eine Stimmung, die lange Zeit über die Krimi-Spannung dominiert. Doch Geschonneck weiß, was er dem Zuschauer (noch!) schuldig ist. Im Schlussdrittel kommt Bewegung in den Fall und Dynamik in die Erzählung. Eine Mordserie mit Plastiktüte wird recherchiert. Mal mit suggestiven Rückblenden, mal sachlich in erzählter Rede, stets anschaulich, verständlich und ohne die tausendfach bemühten Serienkiller-Klischees wird Vergangenes, so auch der Tathergang des letzten Mordes, rekonstruiert. Anders als in herkömmlichen Ermittlerkrimis bleiben genügend Lehrstellen für das Thema Sterbehilfe, die in den Niederlanden legal ist. Am Ende kann man als Zuschauer auf eine wunderbare Freundschaft hoffen zwischen van Leeuwen und der kessen Kriminal-Psychologin. Das Lächeln von Katja Riemann ist ein Versprechen.