Eine Psychologin & ein Pfarrer – in der Jugend ein Paar, jetzt Kollegen
Was haben ein katholischer Pfarrer aus Bayern und eine Familientherapeutin aus Berlin gemeinsam? Nicht viel. Julia Schindel (Oona Devi Liebich) und Tonio Niederegger (Maximilian Grill) haben allerdings eine gemeinsame Vergangenheit. Die unstete junge Frau, Mitte 30, hat ihre Kindheit und Jugend ebenfalls in Bad Tölz verbracht – und der Kirchenmann war im Teenageralter noch nicht Gott versprochen… Julia hat von Berlin und ihrem verheirateten Dauerfreund Paul (Simon Böer) die Nase voll, will „endlich ankommen“. Und was tut sie? Sie geht zurück in ihre Heimat. Hier im Oberbayerischen nimmt sie eine Stelle in der katholischen Ehe- und Familienberatung an. Ihr neuer Kollege ist der alte Freund, der zunächst gar nicht davon begeistert ist, dass er mit seiner Jugendliebe zusammenarbeiten soll. Umso glücklicher über Julias Rückkehr sind ihre Eltern (Charlotte Schwab & Dietrich Adam), aber auch Tonios Vater Franz (Klaus Pohl), der nach dem Tod seiner Frau ein bisschen aus dem Tritt geraten ist, freut sich, dass das fesche „Mädel“ wieder im Land ist. Ein anderer Tölzer, der Bauer Hermann Lechner (Eisi Gulp), hat den Tod seiner Frau noch weitaus schlechter verkraftet, er hat eine Zwangsstörung entwickelt und er kann es nicht ertragen, dass sein Sohn Justus (Franz-Xaver Brückner) ausziehen will, um mit seiner Freundin (Lara Mandoki) zusammenzuleben. Für die brenzlige Situation ist Fingerspitzengefühl gefragt.
Persönlicher Einwurf:
Auf „Tonio & Julia“ prasselt nun gleich doppelt Kritik hernieder. Da ist die altbackene Dramaturgie der ersten Episoden, die die passable Ausgangsidee zunichte macht, da ist aber auch mein zunehmendes Unbehagen über die einfallslose Helferinnen-Welle in ARD & ZDF, für die nun die Reihe in dieser kritischen Analyse ein bisschen mitbezahlen muss! „Mutter-Teresa“-Genre-Kenner Tilmann P. Gangloff dürfte die Reihe vielleicht etwas positiver sehen. Sieht man bei solchen Filmen nur das Erzählte (wie viele Normalzuschauer) mag „Tonio & Julia“ zu den besseren Vertretern des Genres gehören. Ich aber bin der Meinung, dass die – vor allem dramaturgische – Umsetzung den Großteil der Musik macht.
Bei ARD & ZDF wird Ihnen geholfen: Mutter Teresa lebt weiter & weiter…
Gaben sich einst die männlichen Götter in Weiß die Fernsehserien-Klinke in die Hand, sind seit ein paar Jahren die 90minütigen Reihenformate im leichten Fach in Obhut von Mutter Teresa. Frauen dürfen „traditionsgerecht“ in ihrer Helferrolle aufgehen – und als Ärztin („Die Inselärztin“ / „Praxis mit Meerblick“), Versorgungsassistentin („Die Eifelpraxis“), als Hebamme („Lena Lorenz“), Dorfhelferin („Frühling“-Reihe) oder bei der Freiwilligen Feuerwehr („Marie fängt Feuer“) die Grenzen ihres Jobprofils menschlich & emotional, mal mehr, mal weniger liberal austesten. Da das geneigte Publikum offenbar von Beratung, Hilfe, Zuspruch und Trost selbst in fiktionaler Form nicht genug kriegen kann, basteln die öffentlich-rechtlichen Zuschauerfänger an weiteren Protagonisten mit Helfer-Syndrom und häufig wenig Talent fürs eigene Glück. Da es mit Psychologen, die beim gemeinen Volk ein ähnlich schlechtes Image haben wie Journalisten oder Politiker, offenbar nach wie vor schwer ist, ein Massenpublikum zu erreichen, hat das ZDF für „Tonio & Julia“ die Kombination Familientherapeutin und katholischer Pfarrer (der Mann in Schwarz geht immer) gewählt: Psychologie & Seelsorge Hand in Hand gegen all die zwischenmenschlichen Unwägbarkeiten des Lebens. Unter der Maßgabe, Quote zu machen, anstatt etwas zu wagen, ist das Konzept einleuchtend. Aber es verspricht auch eine tiefere Ausrichtung der Konflikt-Lagen, mehr Alltagsdrama und weniger Dramatik & Triviales in den Fall-Geschichten.
Tausendmal gesehen, alles vorhersehbar: Drehbuchautoren sind überflüssig
Von ihren anspruchsvolleren Möglichkeiten schöpft die neue ZDF-Reihe allerdings wenig aus. The same procedure. Man hat es unzählige Male so ähnlich gesehen: die Hauptfigur zurück in der Heimat; ein kleinstädtisch familiärer Mikrokosmos wird entwickelt; die Motive für die Rückkehr werden deutlich („Ich will einfach nur nach Hause – ankommen“); der unausgesprochene Konflikt zwischen den Helden wird etabliert; es gibt Startschwierigkeiten, die Dorfbevölkerung fremdelt mit der Heimkehrerin, dann aber weiß sich „die verlorene Tochter“ mit ihrem ersten Fall zu behaupten und alle sind plötzlich ganz angetan von dem frischen Wind in der Gemeinde. Man fragt sich, weshalb man überhaupt Drehbuchautoren braucht, wenn jeder Zuschauer mit ein bisschen Fernseherfahrung sich die Geschichte ganz allein zu Ende erzählen kann. Selbst die Antwort auf die Frage „warum so einer (wie Tonio) Pfarrer wird?“ ahnt man als Zuschauer früh. Die einzige Frage, die lange Zeit offen bleibt: Wie wird die neue Reihe wohl das „Dornenvögel“-Motiv lösen? Der Cliffhanger am Ende des zweiten Teils jedenfalls setzt den einzigen Überraschungseffekt der 180 Minuten.
Es ist falsch zu glauben, Erzählökonomie sei nur für Krimis, Thriller, Dramen gut
Noch ärgerlicher als der stereotype Handlungsverlauf ist die Umständlichkeit der Dramaturgie. Es ist ein Fehler zu glauben, Erzählökonomie sei nur für Krimis, Thriller oder Dramen gut. Die Exposition könnte aus den 1980er Jahren stammen: Berlin – Bad Tölz – Berlin – Bad Tölz. Warum überhaupt noch Berlin? Die Sache mit dem Freund lässt sich per Handy oder Skype regeln, dazu eine kurze Aussprache der Heldin und ihrer Freundin, ein paar Tränen: Das hätte gereicht bis zum zweiten Film, in dem der gute Paul plötzlich in Bayern auf der Matte steht und in dem der Plot des „Falls“, eine sehr asymmetrische Liebesbeziehung, eine ähnliche Problematik enthält. So hätte man Zeit gespart für das „Wesentliche“, für mehr Tiefe, für lebendigere Nebenfiguren, für mehr Alltag und mehr Beiläufigkeit. Es gibt handlungsarme Unterhaltungsfilme, deren Erzählrhythmus angenehm entspannt wirkt, weil man nicht genau weiß, wohin ihre Geschichten steuern und wie sie es anstellen, an das mögliche Ziel zu kommen. Bei „Tonio & Julia“ ist es genau anders herum. Es dauert lange, bis die Heldin ihre alte Brücke abgebrochen und ihre neue Stelle angetreten hat, bis die Eltern und der Bruder überdeutlich gemacht haben, wie sie zur Heimkehrerin stehen. Man möchte ständig schieben. Mit einer frischeren Dramaturgie und frecheren Bildsprache wäre da auch einiges gewonnen.
Die zwei von der Seelen(heil)feuerwehr. Und Psychologie hat wenig zu melden
Zur Halbzeit von „Kneifen gilt nicht“ wird es besser. Die Voraussetzung dafür: Der Zuschauer hat bereits einige Informationen über die Lechners bekommen und weiß um einen schwelenden Konflikt zwischen dem Vater, dem Sohn und dessen Freundin. Jetzt darf die Julia zeigen, dass sie Menschenkenntnis besitzt und weiß, wie man mit einem in Panik geratenen Zwangsneurotiker umzugehen hat. Therapiert wird im Off. Julia und Tonio sind Retter in privaten Angelegenheiten: quasi die zwei von der Seelen(heil)feuerwehr. Die TV-erprobte Variante des Helfersyndroms wird dem neuartigen Berater-Duo einfach übergestülpt. Psychologie hat hier wenig zu melden; eine seelische Störung wird allenfalls benutzt, um einen Konflikt zu etablieren und um ein Mal pro Film etwas Dramatik zu generieren. Die moralische Erbauung findet indes etwas offensiver statt. Immerhin kommt uns der angenehm aufs Diesseits gerichtete Pfarrer in beiden Filmen kurz vor Schluss mit einer bedenkenswerten Botschaft; verkündet wird sie auf Augenhöhe mit der Gemeinde, nicht von der Kanzel.
Sympathie auf den ersten Blick: Oona Devi Liebich und Maximilian Grill
Ein gutes Pärchen ist zumindest schon mal die halbe Miete für eine neue Unterhaltungsfilm-Reihe. Oona Devi Liebich und Maximilian Grill sind auf jeden Fall zwei, bei denen das fürs leichte Fach so elementar wichtige Prinzip der Sympathie auf den ersten Blick gegeben ist. Beide sind eine gute Besetzung: Sie ist hübsch, besitzt einen klaren Gesichtsausdruck, einen unverstellten Blick, er wirkt ähnlich offen und besticht durch eine sehr markante Physiognomie. Sie wirkt weicher, er härter; das ist nicht gerade innovativ, was die Geschlechterrollenbilder angeht, aber für diese verkappte Beziehungsgeschichte passt das nicht schlecht. Dass beide ausgerechnet in den Szenen, in denen die persönliche Beziehung, eine eventuelle Kränkung in der Vergangenheit und die intime Verunsicherung heute, im Mittelpunkt steht, am wenigsten überzeugen können, hat vor allem Gründe, die nicht die Schauspieler zu verantworten haben. Sie sollen Bedeutung spielen, sollen spielen „als ob“: als ob sie etwas mit sich herumtragen, als ob sie den anderen (vielleicht!) noch lieben, als ob sie gute Freunde sein könn(t)en. Jede Geste ist nur dazu da, eine Bedeutung, eine Ahnung zu transportieren. Wenn man als Zuschauer aber von diesem Früher nichts weiß, kann dieses „als ob“, diese gespielte Unsicherheit, leicht als schlechtes, steifes Spiel empfunden werden.
Die Gegen-Meinung von TV-Spielfilm:
„Der Zusammenprall von sturer Seelsorge in Kutte und forscher Neuzeittherapie kommt nicht ohe´ne Klischees aus, ist aber mit einem Augenzwinkern inszeniert, gut gespielt und allemal lebensechter als der ARD-Quotenhit ‚Um Himmels Willen.‘ Rauf auf die Couch! Unseren Segen haben die zwei!“
(Der Eindruck von der Sympathie auf den ersten Blick scheint sich zu bestätigen. Dass es bei Kritikern bei Filmen der leichten Machart – egal, mit welchem Urteil – für den zweiten Blick nicht reicht, ist so alt wie die TV-Unterhaltung.)
Ein deutscher Unterhaltungsfilm-Fehler, der längst überwunden sein sollte
Überhaupt wird hier mal wieder der häufige deutsche Unterhaltungsfilmfehler gemacht: dem Zuschauer etwas zu präsentieren, Geschichte auf ihre Signalwirkung zu reduzieren (ein Begriff, eine Pointe, eine Botschaft), anstatt den Zuschauer die Geschichte selbst lesen und mitempfinden zu lassen. Für ein solches Mitempfinden aber braucht man die entsprechenden Informationen. Ahnungen reichen nicht. Warum nicht eine atmosphärisch dichte Sequenz aus der Vorgeschichte dem Film voranstellen? Aufgeladen mit persönlichen „Symbolen“ der beiden, mit expliziten Zeichen, ein Anhänger, ein Musikstück, ein Streit, ein typisches Interaktionsmuster… Mit alldem hätten die Autoren dann später in der Gegenwart spielen können. Und das hätte darüber hinaus noch den großen Vorteil gehabt, dass sich der Zuschauer Teile der Geschichte selbst hätte erschließen können, anstatt der uninspirierten Und-dann-und-dann-Narration zu folgen; er wäre emotional viel näher am Geschehen, würde mit dem (einst sitzengelassenen?) Pfarrer mitfühlen, hätte entsprechendes Bauchgrummeln in manch einer Szene, anstatt auf Grills vermeintlich ungelenkes Agieren zu starren. Diese dramaturgische Variante hätte natürlich Auswirkungen auf die Tonlage. Statt mit unverbindlicher Berg-Wald-Wiesen-Aura hätte es der Zuschauer mit mehr (Melo-)Drama zu tun, hätte mehr Substanz und wäre entsprechend mit Empathie bei der Sache. Autoren wie Katja Kittendorf (die „Schnitzel“-Komödien mit Rohde/Pistor) und Gabriele Kreis (Krohmers „Die Zeit mit Euch“) könnte man diesen reizvollen Spagat zutrauen. Dass er gelingen kann, zeigen in diesen Tagen zwei besondere Filme der leichteren Gangart: die Komödie „Opa wird Papa“ (ARD, 6.4.) und die neue ZDF-Reihe „Ella Schön“ (8.+15. 4.), die mit einer Asperger-Persönlichkeit das „Herzkino“ in seinen Grundfesten erschüttert, ja geradezu ad absurdum führt (und im Übrigen viel besser auf dem Donnerstagssendeplatz aufgehoben wäre).
Redakteurs-TV & offenbar die Hoffnung auf ein paar „Bergdoktor“-Millionen
Zu dem anderen Tonfall gehört neben der anderen Dramaturgie auch und vor allem eine andere filmästhetische Anmutung in Bild und Ton. Ein stimmiges Musikkonzept (statt dem üblichen harmlosen Gesäusel) wäre auch und gerade bei einem Unterhaltungsfilm ein Gewinn. Apropos, die Musik sorgt doch noch für einen zweiten – kleinen – Überraschungsmoment: In Episode 2, „Zwei sind noch kein Paar“, wird beim zünftigen Seefest getanzt auf Van Morrisons Popjazz-Klassiker „Moondance“… Regisseurin Kathrin Kulens Feistl ist zwar eher eine Schauspieler- als eine Bild-Regisseurin, doch zuletzt in „Nele in Berlin“ hat sie eine vorzügliche Synthese, eine zeitgemäß luftige Inszenierung, geschaffen. Auch an ihr dürfte es nicht gelegen haben, dass „Tonio & Julia“ weit hinter den Möglichkeiten zurückbleibt. Auch die Produktionsfirma steht – mit dem Arthaus-Preisabräumer „Zeit der Kannibalen“, dem Berliner „Tatort – Dein Name sei Harbinger“ oder dem Ausnahme-Märchenfilm „Das singende, klingende Bäumchen“ – normalerweise für Qualität. Es sieht also so aus, als ob der Schwarze Peter in dem Fall mal wieder beim Sender liegt, der für den Donnerstagssendeplatz offensichtlich auf qualitätsmindernde Vorgaben besteht. Mit dieser Art Redakteurs-TV (das auch bei der ARD-Degeto wieder im Kommen ist), das auf eine gleichermaßen inhaltliche wie dramaturgisch-ästhetische Konzeption verzichtet, wird man aber den Unterhaltungsfilm nicht erneuern können. Vielleicht will man es aber auch gar nicht. Sechs bis sieben Millionen „Bergdoktor“-Zuschauer sind halt auch ’ne geile Sache…