Geburtshelfer Toni Hasler (Leo Reisinger) hat mal wieder alle Hände voll zu tun. Sind es sonst die von ihm zu Betreuenden, gelegentlich seine zickige Ex-Frau Hanna (Kathrin von Steinburg) oder sein chaotischer WG-Kumpel Franzl (Frederic Linkemann), die ihn beanspruchen, braucht nun neben seiner Praxiskollegin Luise (Wolke Hegenbarth), die sich auf einem ungesunden Rachefeldzug gegen den Vater ihrer kleinen Lotta befindet, vor allem seine 17jährige Tochter Josie (Maria Monsorno) Unterstützung. Mit ungewollt Schwangeren kennt sich die männliche Hebamme aus – nun ist es die eigene Tochter. Nur durch Zufall erfahren die Eltern, was Sache ist. Die leistungsorientierte Hanna flippt aus, und Toni versucht, seine Tochter zu verstehen. Hilft alles nichts. Josie hat sich mit ihrer Freundin Roxy (Matilda Tafel) in den Kopf gesetzt, mal eben schnell die Welt zu retten. Das geht nicht mit Baby. Unmöglich auch eine Abtreibung zwischen Tür und Angel, wie ihr Frauenärztin Luise erklärt. Also wird wohl nichts aus der Reise mit dem Containerschiff nach Australien. Oder doch? Die beiden Teenager machen sich jedenfalls aus dem Staub. Und das Trio Toni, Hanna und Luise hinterher – mit einem eigenwilligen Campingbus und einer „narrischen“ Quiche.
„Nestflucht“, die fünfte Episode der launigen ARD-Reihe „Toni, männlich, Hebamme“, wird über weite Strecken als Road-Movie erzählt; dabei bekommt es der sympathische Titelheld schonungslos mit seinen drei Frauen zu tun. Da ist die Tochter, die mit der dominanten Mutter im Dauerclinch liegt, ein Papakind, bei dem Tonis Vermittlerfähigkeiten gefragt sind. Und da sind die zwei Frauen, die ihm den Kopf verdreht haben. Die eine vor fast zwanzig Jahren, die andere vor noch gar nicht so langer Zeit. Das birgt ausreichend Potenzial für temporeiche Unterhaltung. Der Plot, insbesondere die ökologische Rettungsaktion der beiden Girlies, wirkt dramaturgisch ein bisschen ausgedacht. Doch läuft das Komödien-Maschinchen mit der kleinen, durch Tonis Souveränität relativierten Drama-Beigabe erst einmal, schaut man über solche Drehbuch-„Erfindungen“ locker hinweg. Außerdem gilt fürs Road-Movie: Bewegung im Film generiert Flow beim Zuschauer. Tempo und Abwechslung liefern nicht nur das Hin und Her zwischen den Flüchtigen und den Verfolgern, sondern auch die recht amüsanten Versuche vom ewigen Kindskopf Franzl als Babysitter. Die besonderen Schmankerln dieser ersten neuen Episode sind allerdings dank halluzinogener Pilze und des gut harmonierenden Schauspielertrios die Toni-Luise-Hanna-Szenen. Die Gaudi reicht vom Nacktbaden im See übers Komplimente-Machen in einer Kiesgrube („Viel zu nett für diese Welt – und für Frauen wie uns“) bis hin zu einer Nacht-und-Nebel-Aktion, die in einer Arrestzelle enden wird.
Das in den Camper-Szenen durchgespielte Motiv Ein Mann zwischen zwei Frauen findet in der zweiten Episode „Gestohlene Träume“ seine Fortsetzung. Jetzt allerdings zumeist in Zweierkonstellationen, in denen der Dritte wieder zum Störfaktor wird und in denen Toni sein Ein-Mann-für-gewisse-Stunden-Image unterschiedlich variiert: Für Luise muss er den Ehemann und Handwerker spielen, damit Lotta endlich einen Kita-Platz bekommt, während er sich mit Luise regelmäßig zum Schäferstündchen im Hotel trifft. Etwas kompliziert wird es erst, als Luise auch wieder die „anderen“ Qualitäten von Toni zu entdecken scheint. Ungestraft darf heutzutage ein Mann mit zwei Verehrerinnen (in einem Fernsehfilm) natürlich nicht bleiben – was für die amüsanteste Szenen dieser Dramödie sorgt: Toni, der Helfer mit Herz, ist zwar kein Heiliger, aber er ist – was seine Beziehungen zu Frauen angeht – das absolute Gegenstück von Oscar Olsen (Johannes Allmayer), einem berühmten Musikproduzenten. Der will Jella (Antonia Bill), Luises Arzthelferin mit Gesangsambitionen, von seiner als Produzentin nicht minder renommierten Frau Katja (Isabell Gerschke) produzieren lassen. Aber er ist nicht nur Jellas „Entdecker“, sondern auch ihr Vergewaltiger. Als Toni davon erfährt, drängt er darauf, „das Schwein“ anzuzeigen. Jella sieht die Sache anders. Und das nicht allein, weil sie mit den Olsens Karriere machen möchte. Luise als Frauenärztin kann Jellas Haltung verstehen. Sie kennt die demütigenden Befragungen, denen sich vergewaltigte Frauen aussetzen müssen, und sie weiß, wie schwer die Beweisführung ist und wie gering die Verurteilungsrate. Andererseits: Wenn man schon eine Anwältin im Freundeskreis hat…
Es ist konsequent, aber nicht selbstverständlich, dass „Toni, männlich, Hebamme“, diese Unterhaltungsfilm-Reihe der ARD-Tochter Degeto über das – gewollte und ungewollte – Kinderkriegen ihre Erzählmotive aus den Dingen des Lebens schöpft, die damit unmittelbar zu tun haben. Das reicht von der Kinderversorgung, beispielsweise der verzweifelten Suche nach einem Kita-Platz, bis zu den Vorbedingungen des „Gebären und Gebärenlassens“, wie es die im Drogenrausch sexy liberal gewordene Anwältin Hanna nennt: der Sex in seiner natürlichen und in seiner pervertierten Variante. Es ist sicher kein Zufall, dass der Drehbuchautor und Ideengeber der Reihe, der 32jährige Sebastian Stojetz („Der Lack ist ab“), und Ko-Autorin und Regisseurin Sibylle Tafel („Für eine Nacht … und immer?“) in dieser Episode in A- und B-Plot Sexualität zum Thema machen: die individuelle, die das Beziehungsdreieck dieser Reihe lustvoll verändert, und die kriminelle, die die Justitia beschäftigen sollte und die im Film für etwas Drama sorgt. Das Drama wird gegen Ende zusätzlich beflügelt vom Lebenspartner der vergewaltigten jungen Frau (Deniz Arora), einem heißblütigen Italiener.
Schön, dass das angedeutete Aktionspotenzial der Charaktere nicht voll ausgeschöpft wird. So erkennt man als Zuschauer zwar das im Drehbuch angelegte Spiel mit zahlreichen Versatzstücken und gesellschaftlichen Stereotypen (Schwangerschaft, Rache), nimmt dies aber nicht unbedingt als künstliche Dramatisierung wahr. Und dass in beiden Geschichten am Ende alles so „wunderbar“ aufgeht und sich zum Bestmöglichen wendet, das ist zwar Genre-Konvention, aber auch die passende „Lösung“ für Filme dieser Tonart. Denn trotz Problemzugabe besitzt die Reihe doch einen komödienhaften Kern, wie der Vorspann und die Besetzung unmissverständlich zeigen. Ein Pfundskerl als Hauptfigur, das Sidekick-Liebespaar, der ewige Bub Franzl und seine Angebetete (kurz & knackig im Einsatz: Juliane Köhler), die erwachsenen Doktorspiele, die Liebe als Achterbahnfahrt – was dem Themenfilm(freund) Nebensache sein mag, das ist die besondere Stärke dieser Reihe. Die Kunst der Dramödie ist ohnehin, dem vermeintlich Leichtgewichtigen (Liebe und Beziehung) neben dem Unterhaltungseffekt eine gewisse Bedeutung zu geben, und das Problematische (schwanger mit 17, Vergewaltigung, Machtmissbrauch) nicht zu entwerten durch die leichte Gangart. Vom Kopf her ist dieses Genre bei einem Thema wie Vergewaltigung eine gewagte Tonlagen-Mixtur. Gefühlt ist das allerdings ganz gut gelaufen. (Text-Stand: 12.9.2021)